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Pokémon Go Über Frust und Sammelwut

Spiel Pokémon-Go fürs Smartphone verbreitet sich weltweit - und auch wir Stendaler kommen nicht daran vorbei, es auszuprobieren.

Von Anne Toss 27.07.2016, 01:01

Stendal l Unzählige Nachmittage verbrachte ich als Grundschüler in den Sommerferien zusammen mit meinen Nachbarn auf dem Gehweg vor unserem Haus. Jeder brachte eine Tupperdose voll mit Pokémon-Karten mit. Dann wurde getauscht und geklatscht was das Zeug hielt. Als ich von dem Handyspiel Pokémon-Go hörte, war eigentlich sofort klar, dass ich es spielen muss – ein Stück Kindheit war auf einmal wieder greifbar, dieses Mal sogar realer als je zuvor.

Also habe ich fix die App installiert, mich angemeldet, meinen Avatar erstellt und bin losgetrabt. Ob ich dabei groß über Datenklau nachgedacht habe? Nicht wirklich. Die Vorfreude auf das Spiel war einfach zu groß.

Mein Spaziergang führte mich erst einmal von der Breiten Straße an den Stadtsee, von dort ging es am Landgericht vorbei wieder zurück Richtung Innenstadt. Zum Schluss machte ich noch einen kleinen Abstecher durch den Bebelpark am Ostwall. Das Fazit des ersten Tests fällt ernüchternd aus: Die Hinweise „Serverfehler. Bitte erneut versuchen“ und „Authentifizierung fehlgeschlagen. Versuche es nochmal“ lassen den Spielspaß gar nicht erst aufkommen. Am Stadtsee lege ich genervt eine Pause ein – bis dahin habe ich meine Zeit nur damit verbracht, die App neu zu starten. Frustrierend!

Aber zumindest auf dem Rückweg kann ich phasenweise einen kurzen Einblick ins Spiel gewinnen. Am Dom stoße ich auf einen Pokéstop, der mir nach mehrmaligem Probieren sogar drei Pokébälle einbringt. In der Karlstraße am Stolperstein von Dr. Julius Charig wartet bereits der nächste. Nur der Zutritt zur Arena an der Sperlingsida bleibt mir verwehrt, da ich mich zu der Zeit noch im popeligen ersten Level befinde – erst ab Level fünf darf man rein.

Hätte ich das Spiel nur für diesen einen Tag ausprobiert, ich hätte es direkt wieder von meinem Smartphone gelöscht. Die ständigen Server-Probleme gingen mir gehörig auf die Nerven, denn das, was ich eigentlich wollte – Pokémon fangen – war dadurch fast unmöglich.

Aber so leicht will ich dann doch nicht aufgeben. Gleich am nächsten Tag starte ich einen zweiten Anlauf, verbinde die Tour zur Altglasentsorgung mit einer erneuten Jagd auf Pokémon-Monster. Und siehe da, die App funktioniert reibungslos. Endlich stellt sich auch der Spaß am Spiel ein, das mich dann doch recht schnell in seinen Bann gezogen hat. Fast im Minutentakt tauchen Pokémon in meiner Nähe auf, die ich einfangen kann. Überraschenderweise hat mein Gehirn einige Namen sogar noch drauf: Taubsi, Bisasam oder auch Rattfratz – seit Jahren habe ich nichts mehr über sie gelesen, geschweige denn ihre Namen benutzt, und doch war die Erinnerung an Fähigkeiten und Attacken auf einmal wieder da.

Und so schön es auch ist, Realität mit Fiktion verknüpft zu erleben, so birgt es doch auch einige Gefahren. Zum Beispiel diese: Direkt vor meiner Haustür vibriert mein Handy, ein Hornliu schaut mich von der anderen Straßenseite an. Mein Blick ist auf mein Smartphone gerichtet, ich laufe einfach drauf los, will es sofort einfangen. Da eine befahrene Straße zwischen mir und dem Pokémon liegt, muss ich mich erst einmal selbst bremsen.

Der ständige Blick aufs Handy lässt mich die Umgebung um mich herum nur noch schemenhaft wahrnehmen. Als ein Radfahrer hinter mir klingelt, erschrecke ich mich so sehr, dass ich einen Sprung zur Seite mache. Ich mutiere immer mehr zum „Smombie“ und entschließe mich deshalb, den Blick fortan wieder nach vorne zu richten. Das Handy vibriert ja sowieso, sobald ein Taschenmonster auftaucht.

Bisher konnte ich mich schon des Öfteren relativ schnell für ein Handyspiel begeistern. Aber nach mehrmaligem Spielen verschwand es monatelang unbeachtet in einem Ordner, ehe ich die App dann gänzlich von meinem Handy löschte. Ob es bei Pokémon-Go nun anders ist? Ich weiß es nicht. Ja, es macht Spaß und war für mich eine neue Spieleerfahrung, aber ich kenne mich dann vielleicht doch zu gut: Für monatelanges Sammeln und Trainieren bin ich einfach zu ungeduldig. Meine Tupperdose mit Karten habe ich ja auch irgendwann verschenkt.