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Rave-Party Der Sound von Berlin

Nach 20 Jahren tanzen zwei Techno-Fans wieder auf einer Rave-Party in Berlin. Ihr Fazit: Alles ist noch wie damals, nur anders.

22.03.2017, 01:00

Berlin l Am 12. Juli 1997 stehe ich auf der Ernst-Reuter-Platz in Berlin. Mitten auf der Straße. Gelockte Haare, blauen Strähnen. Trillerpfeife im Mund und ein Kleid wie die Kittelschürze meiner Oma. Einen Moment lang ist es ganz still. Dann höre ich die Melodie: Das Intro "Sonic Empire" (Members of Mayday, 1997) setzt ein. Meine Trillerpfeife geht los. Schätzungsweise eine Million anderer Trillerpfeifen auch. Die Drums. Der Rhytmus. Die Menschen jubeln und tanzen. Einfach so. Weil wir zusammen sind. Weil die Musik gut ist. Weil Loveparade ist. In diesem Moment ist die Welt volkommen.

Als ich "Sonic Empire" das nächste Mal wieder höre, bin ich auf einer 90-Jahre-Rave-Party in Berlin höre, ist der Effekt ähnlich. Das Intro setzt ein, die Menschen jubeln und tanzen. Diesmal allerdings "nur" 7000 an der Zahl. Die Trillerpfeifen fehlen. Meine auch. Meine Haare sind nicht mehr gelockt, sondern glatt und blond. Die Kleidung ist schlicht und sportlich. Die Menge tobt. Ich tobe mit. Neben mir meine Freundin Anja. Und wie früher, toben wir alle zusammen. 

Erst als uns eine kleine süße Partymaus anstubst und sagt "Ey, wir sind ja wohl die Senioren hier!", sind wir endgültig im Jahr 2017 angekommen. Gleiche Musik, gleiche Stimmung, andere Menschen, anderes Event. 90-Jahre-Rave mit den Stars von damals. Und wir tanzen nach unser Musik von damals. Mit Marusha, Kai Tracid, Dune und Jam & Spoon. Die sind auch alle noch von damals. Und nachdem wir das erkannt haben, ist die Welt wieder vollkommen.

An diesem Abend im Berlin 2017 wollen wir "Alten" es nochmal wissen. Als Marusha 1994 ihren Hit "Somewhere over the Rainbow" rausgebracht hat, gingen wir noch zur Schule, nahmen das Lied von Radio auf Kassette auf und spielten sie uns auf dem Schulhof mit dem Walkman vor, indem wir die Kopfhörer weiterreichten. Lautsprecherboxen waren noch Luxus. Daran müssen wir denken, als die DJ-Göttin ans Pult tritt und uns mit ihrem Sound beschallt. Egal, ob 20 Jahre älter oder nicht: Diese Lady hat's immer noch drauf. Für uns ist sie die Techno-Göttin schlechthin, die von ihrem Pult auf uns herunterstrahlt und uns zum Beben bringt.

Und ganz schnell merken wir: Wir haben ihn nicht verloren, den Groove. Das geht auch nicht, denn Techno kann man nicht verlieren. Techno ist mehr als nur Musik, Techno ist ein Lebensgefühl. Und wer Techno hört muss sich zu bewegen. Zwangsläufig. Der Sound wirkt extrem maschinell, kalt und unemotional. Die Rhythmen sind im Viervierteltakt aneinandergereiht. Bumm, bumm, bumm. Die Bassdrum treibt stur voran – oft ohne Unterbrechung. Techno eignet sich dazu, sich in Trance zu tanzen. Wer zu Techno tanzt, braucht dabei weder eine Gruppe noch einen Partner. In den Clubs tanzen viele Menschen stundenlang alleine, in sich selbst versunken.

Auch uns gelingt es auf dieser 90er-Rave-Party, tanzend im Hier und Jetzt zu verschwinden. Getragen von den Beats, den satten Sounds der Musik, vom Überschießen der Energie. Um uns herum: Lachende Gesichter, kurze Blicke, Kontaktaufnahme - wenn auch nur für einen Moment, bis der Sound uns wieder gefangen nimmt.

Als Dune und Jam von Jam & Spoon an diesem Abend auflegen und nicht nur die eigenen, sondern auch Tracks von Darude, RMB, The Prodigy und Westbam auf legen, fängt die kleine Partymaus neben uns an zu weinen. Vor 20 Jahren habe sie diese Musik zum letzten Mal gehört. Es sei sooo schön. Sie habe das so vermisst. Sie habe sogar noch die gleichen Klamotten von damals. Die Turnschuhe und das bauchfreie Top, mit dem sie vor 20 Jahren auf der Love-Parade tanzte.

Anja und ich sind jetzt ein bisschen neidisch. Nein, die Klamotten wie damals haben wir nicht mehr. Dafür haben wir Kinder. Wir sind wohl aus den 90ern rausgewachsen. Und als ich mir mein Bier greifen will, dass ich hinter ein Geländer gestellt habe, damit es nicht umkippt, zerre ich mir den Nacken und kann den Hals nicht mehr drehen. "Soweit ist es also gekommen", denke ich mir. "Jetzt hole ich mir schon Zerrungen beim Tanzen. Beim Fox-Trott passiert mir sowas nicht."

Auch Anja hat zu kämpfen. Nach knapp drei Stunden des Herumtobens muss sie sich setzen. "Hatte Frühdienst", sagt sie. Ich nicke verständnisvoll. Es ist eben 2017 und nicht mehr 1997.

Das ist der Punkt an dem wir merken: Ja, wir sind 20 Jahre älter geworden. Aber hey, die anderen sind es auch. Und solange die Musik noch da ist, solange wir uns immer noch in Trance tanzen können und solange Berlin immer noch die Mutter aller Techno-Locations ist, solange ist alles egal. Denn wir, der kleine Kreis von knapp 7000 Menschen in der Arena-Halle in Berlin, die wir auf der 90er-Rave-Party den Sound von damals wieder aufleben lassen, sind immer noch eine Familie mit der Sonne im Herzen und dem Techno im Blut, so, wie Dr. Motte es auf der Love-Parade 1997 verkündet hat.

In diesem Jahr wird es auch einen 90er-Jahre-Rave in Magdeburg geben. Zugesagt hat bisher Da Hool (Meet her at the Love-Parade, 1997). Weitere Acts sind noch in Planung. Karten gibt es derzeit zum Frühbucherpreis von 15 Euro.