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Jugendfilmcamp Action für den Hollywood-Nachwuchs

Hunderte Jugendliche aus Europa kommen in diesem Sommer ins Altmarkstädtchen Arendsee. Dort lernen sie, wie man Filme dreht.

Von Elisa Sowieja 01.07.2016, 01:01

Arendsee l „Und jetzt nehmt eure ausgedachte Figur und geht mit ihr eine halbe Stunde lang spazieren.“ Solche Aufforderung an eine Gruppe Jugendlicher wäre normalerweise ja schon psychologisch bedenklich – sollte doch die Phase mit den imaginären Freunden in diesem Alter eigentlich abgeschlossen sein. In diesem Fall aber besteht keinerlei Grund zur Sorge. Denn die schräge Aufgabenstellung ist nur eine Übung zum Drehbuchschreiben.

Sechs junge Kreative haben es sich an diesem Dienstagvormittag auf zwei Bierbänken gemütlich gemacht. Auf dem Tisch liegen Block und Federtasche, einen Steinwurf entfernt stehen Fahrräder und eine Torwand, der Boden ist voll von Kienäppeln. Ferienlageratmosphäre für Große. Auf einem Waldgelände am Arendsee – einst machten hier tatsächlich Knirpse ohne Eltern Urlaub – tummelt sich in dieser Woche der erste Schwung Teilnehmer des Jugendfilmcamps. Neben den Drehbuchautoren gibt‘s noch zwei weitere Gruppen: die Kameraleute und die Schauspieler. Bis zum Sonntag drehen sie in gemischten Teams ihren eigenen Film.

Alexandra Iglesias hat im Team Drehbuch und Regie keinen Platz mehr bekommen. Macht aber nichts, jetzt ist sie in der Kameratruppe und lernt einfach nächste Woche, wie man Szenen schreibt. Bei zwei Wochen lohnt sich auch die Anreise mehr, denn die 17-Jährige kommt aus Spanien. „Ich bin auf das Camp gestoßen, als ich im Internet nach Kursen im Filmemachen gesucht habe. Denn nach der Schule möchte ich das studieren“, erzählt sie auf Englisch.

Alexandra ist bei Weitem nicht der einzige internationale Teilnehmer. Von den 240 Jugendlichen, die sich bisher für die zehn Wochen angemeldet haben, kommt rund ein Drittel aus dem Ausland – die meisten aus Österreich und der Schweiz. Der Rest reist aus der ganzen Bundesrepublik an. Insgesamt ist die Teilnehmerzahl seit dem ersten Durchgang vor zwei Jahren um knapp die Hälfte gestiegen. „Ein großer Teil will herausfinden, ob ein Job beim Film etwas für sie ist; viele kommen aber auch, um ihre Medienkompetenz zu erweitern“, sagt Norman Schenk, Organisator des Ganzen.

Er verdient sein Geld als Schauspieler und Synchronsprecher, stand schon auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin und des Staatsschauspiels Dresden, war im Polizeiruf 110 und im Baader Meinhof Komplex zu sehen. Nebenbei stellt er jeden Sommer das Camp auf die Beine. Ursprünglich habe er begonnen, mit Schauspielern selbst Filme zu drehen, um mehr Einfluss auf den kreativen Prozess zu haben. „Aber vielen ging es eher um Selbstdarstellung, mir um die Geschichten.“ Also beschloss er, mit Jugendlichen zu arbeiten.

Schenk, gebürtiger Altmärker, holte sich Geldgeber ins Boot – das Land, die Friedrich-Ebert-Stiftung, Firmen und Privatleute. So wird die Teilnehmergebühr auf Ferienlagerniveau gehalten. „Auch die Dozenten leisten einen Beitrag“, sagt er. „In der Vorbereitungszeit arbeiten sie ehrenamtlich, außerdem stellen sie Technik zur Verfügung.“

Zu ihnen gehört Giovanni Zeitz – ein tiefenentspannter Typ mit riesigen Rissen in der Jeans. Er arbeitet sonst als Kameramann für den RBB. Leicht gebückt steht er mit seinen Schützlingen hinter zwei schnickschnackreichen Kameras und erklärt Knöpfe und Anzeigen. Welches die wichtigsten Regeln sind? Giovanni überlegt kurz: „Achtet auf die Belichtungszeit. Und verliert nicht die Kleinteile!“ Gleich zeigt er seinem Team dann noch, wie man ein gutes Motiv für einen Film gestaltet.

Währenddessen lernen die Drehbuchleute, wie man einer Filmfigur Charaktereigenschaften verpasst. Und die Schauspieler malen mit den Augen Dreiecke und gucken dabei mal zornig, mal ängstlich – denn wegen der Nahaufnahmen spielen die Augen im Film eine besonders wichtige Rolle, erklärt der Fachmann.

Ab dem dritten Tag arbeiten die Teilnehmer immer am eigenen Film. Sobald das Konzept steht, werden Holzwände als Kulisse bemalt und in ein kleines Studio gestellt. Am Ende der Woche ist dann eine Rohfassung fertig, die die Jugendlichen zu Hause mit einem Computerprogramm schneiden – die Dozenten stehen als Telefonjoker bereit. Alle fertigen Filme werden eingereicht, die besten auf einem Filmfestival gezeigt.

Ins einstige Ferienlager ist das Camp erst vor ein paar Monaten gezogen, das alte Gelände war zu klein geworden. Ohne helfende Hände wäre das nicht zu stemmen gewesen, sagt Schenk. An den Wochenenden seien stets Arendseer vorbeigekommen, auch der Bürgermeister. Aus einem Carport zimmerte man das Studio, ein Bau ohne Türen und Fenster wurde zum Mini-Kino, vier DDR-Bauwagen machte man schlafplatztauglich. Manch einer spendete auch Material – Fliesen, alte Sofas, Fenster.

Geht es nach Schenk, muss hier bald noch viel mehr gewerkelt werden. Er will aus dem Gelände eine Filmstadt machen, in der das ganze Jahr über Kurse und Klassenfahrten laufen. Magdeburger Betriebswirtschafts-Studenten erstellen gerade einen Businessplan, sagt der Wahlberliner.

Um das Filmcamp noch bekannter zu machen, rühren auf der Internetseite des Camps prominente Schauspieler die Werbetrommel. Ex-„Tatort“-Kommissar Jörg Schüttauf gehört dazu und Claudia Schmutzler, bekannt aus „Für alle Fälle Stephanie“. Ein Schauspieler will sogar in Arendsee vorbeischauen: Tom Wlaschiha, der in der US-Erfolgsserie „Game of Thrones“ den Auftragsmörder Jaqen H’ghar spielt. Schenk kennt ihn aus seiner Zeit beim Kindertheater in Dresden.

Nora Knist wird den Hollywood-Star leider verpassen. Wenn er Mitte Juli kommt, ist sie längst wieder im Wendland. Die 24-Jährige aus dem Team Drehbuch und Regie ist aber ohnehin aus einem anderen Grund hier: „Ich arbeite als Ergotherapeutin und will herausfinden, ob ich noch eine Ausbildung oder ein Studium hinter der Kamera machen möchte.“ Deshalb muss sie auch gleich los. Eine Runde drehen mit Lena – 18 Jahre alt und nach einem Fahrradunfall an den Rollstuhl gefesselt.

Mehr Infos gibt‘s unter www.jugendfilmcamp.de