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Jura Hilfe für Magdeburger Schöffen

Inmitten des Burger Ortstteils Schartau liegt ein Findling mit juristischer Bedeutung. Das Schartauer Recht galt in strittigen Fällen.

Von Bernd Kaufholz 30.04.2017, 23:01

Schartau l Mitten im Burger Ortsteil Schartau, unmittelbar am Elberadweg, liegt ein dicker Findling. Der Brocken erinnert an das „Schartauer Recht“ aus dem 12. Jahrhundert. Die Bewohner haben somit ständig Justitia im Ort. Eine ebenso interessante wie beinahe unbekannte juristische Historie.

Der Findling, nur einen Steinwurf von der Freiwilligen Feuerwehr in der Schartauer Hauptstraße entfernt, ist nicht zu übersehen. Wer näher tritt, blickt auf die aus Messing nachempfundene Elbe, die sich von Magdeburg bis zur Schartauer Kirche erstreckt. In der Mitte die Inschrift: „Schartauer Recht 12. Jhd.“ Eigentlich gehört noch das Metallschild mit der ersten urkundlichen Erwähnung „Schartau 946“ nach links oben – dorthin, wo nur noch zwei kleine Nippel im Fels stecken. Doch die Platte ist gerade mal wieder „abhanden“ gekommen.

Aufgestellt wurde der Gedenkstein 1999, als die Friedensstraße eingeweiht wurde. Bereits drei Jahre zuvor - anlässlich der 1050-Jahr-Feier - hatte der inzwischen verstorbene Peter Gensecke das lange in Vergessenheit geratene und nur noch bei einigen Insidern im Gedächtnis haften gebliebene „Schartauer Recht“ wieder ausgegraben.

Der urkundliche Beweis ist eine Passage in niederdeutscher Handschrift auf Pergament aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die sich mit dem „Magdeburger Recht“ befasst. Dieses Recht bildete die Grundlage für die rechtlichen Verhältnisse im Osten bis tief nach Russland hinein. Außerdem ist im besagten Pergament auch das „Burger Landrecht“ niedergeschrieben.

In der Passage zum „Schartauer Recht“ heißt es unter anderem übersetzt: „Hört und vernehmt, wenn zu Magdeburg ein Urteil angefochten wird, wo sie denn das holen sollen. Sie sollen ziehen nach Schartau über die Elbe und sollen nehmen der alt-angesessenen Männer vier, die sie da finden können.“ Mit jenen vier Schartauern solle man dann wieder nach Magdeburg vor die Pfalz („am Ende des Domes“) ziehen „auf den Hof, der des roten Königs Otto war“.

Das soll heißen, dass man eine Streitsache nicht vor den König selbst bringen musste. Die „Kaiser-Pfalz“ vertrat den königlichen Hof als Gerichtsstätte. Um das Berufungsverfahren rechtskräftig durchführen zu können, bedurfte es allerdings der erwähnten vier Alteingesessenen aus Scartowe (Schartau).

Am Ende des 13. Jahrhunderts, als das Schartauer Recht niedergeschrieben wurde, ist allerdings die Zeit, da man sich rechtlichen Beistand in Schartau geholt hat, längst vorbei gewesen. Zu dieser Zeit gab es bereits den „Sachsenspiegel“, das Rechtsbuch Eike von Repgows, entstanden zwischen 1220 und 1235, das bedeutendste und gemeinsam mit dem Mühlhäuser Reichsrechtsbuch, älteste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters. Und auch das „Magdeburger Weichbildrecht“, das Rechtsbuch der Stadt Magdeburg, das im 13. Jahrhundert von den Schöffen der Stadt zusammengetragen worden war, existierte schon. Es ist somit davon auszugehen, dass das Schartauer Recht auf diese Zeit zurückgeht, da das Recht mündlich vererbt wurde.

Der Magdeburger Schöppenstuhl (rechtsgelehrte Schöffen) genoss während des Mittelalters im gesamten Osten großes Ansehen. Dass die Magdeburger Schöffen in Streitfällen Rat bei den Schöffen in Schartau geholt haben, zeugt von der hohen Anerkennung für die Rechtsweisheit der Menschen des Dorfes am Rande des Slawenreichs.

Ortsbürgermeister Hans Horst Borg ist mächtig stolz auf die außergewöhnliche Rechts-Historie seines 675-Einwohner-Örtchens. Er sagt mit einem Augenzwinkern: „Möglicherweise hat die Wiege des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in Schartau gestanden.“

Und dann fügt er schmunzelnd an: „Das heißt aber nicht, dass jeder Schartauer Recht hat - doch das wissen die meisten Schartauer selbst.“

Dass das „Schartauer Recht“ nicht aus der Erinnerung der Menschen verschwindet, hat sich der Heimatverein des Ortsteils „schartau-er-leben“ auf die Fahnen geschrieben. „Das Recht selbst ist nur mündlich überliefert“, weiß die Vereinsvorsitzende Petra Seidel. Was man wisse, ist, dass es unter anderem darum ging, bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, Erbschaftssachen und Diebstahl Recht zu sprechen.

„Wie solch eine Gerichtssitzung ausgesehen haben könnte, haben wir vor einiger Zeit in der Kirche nachgespielt. Denn was die Menschen sehen, prägt sich ihnen stärker ein, als wenn sie es lesen“, erzählt die Vorsitzende des Heimatvereins Petra Seidel.

Mit ihrem „Alleinstellungsmerkmal“ wollen die Schartauer auch bald ein Ausrufungszeichen bei der Landesgartenschau 2019 in Burg setzen. „Wir haben uns überlegt, wie wir uns einbringen können“, sagt Seidel. „Unsere Idee ist es, auf der Kunstmeile an das Schartauer Recht zu erinnern.“ In welcher Form stehe allerdings noch nicht fest. „Wir sind erst im Anfangsstadium unserer Überlegungen“, so die Chefin des Vereins, der bislang 17 Mitglieder hat.