1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Petition verlangt Entfernung eines Reliefs

Kirche St. Marien Petition verlangt Entfernung eines Reliefs

An der St.-Marien-Kirche in Wittenberg prangt ein antijüdisches Relief aus dem Mittelalter. Ein Londoner Theologe verlangt, es zu entfernen.

Von Petra Buch, dpa 04.10.2016, 09:50

Wittenberg (dpa) l Etwas ungläubig schauen Schüler hinauf zur Stadtkirche Sankt Marien in Wittenberg. Den Teenagern erklärt ein Historiker ein antisemitisches Relief, das dort hoch oben an einer Ecke prangt. Die verhöhnende und demütigende Darstellung wird als "Judensau" bezeichnet. Die Stadtkirche gilt immerhin als Mutterkirche der Reformation und gehört heute wie alle Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt zum Unesco-Welterbe. Der Reformator Martin Luther (1483-1546) hat in St. Marien gepredigt.

Das mittelalterliche Schmährelief an deren Außenwand hat jetzt heftige Kritik ausgelöst. Anlass ist das Reformationsjubiläums 2017. Ein Theologe jüdischer Herkunft aus London hat via Internet eine Petition veröffentlicht. Er fordert darin die sofortige Entfernung der Jahrhunderte alten Darstellung. Auf der Plattform unterstützen bisher rund 4400 Menschen sein Anliegen. In mehreren Sprachen, darunter in Hebräisch und auf Chinesisch, hat Richard Harvey seine Position veröffentlicht.

"Diese Skulptur ist bis heute ein Angriff auf Juden und verspottet sie und ihren Glauben", heißt es in der Petition. Sie müsse an einem anderen Ort in einem Rahmen ausgestellt werden, in dem der historische Bezug hergestellt werden könne. Die antisemitische Darstellung sei auch obszön und aufhetzend.

Das Bild aus Sandstein zeigt einen Rabbiner, wie er einem Schwein unter den Schwanz schaut, und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken. "Im jüdischen Glauben gilt ein Schwein als unrein", erklärt unterdessen der Stadtführer den Jungen und Mädchen die verunglimpfende Darstellung aus dem Jahre 1305. Seit dem Mittelalter seien Menschen jüdischen Glaubens nicht nur mit derartigen Bildern beleidigt worden. "Sechs Millionen Juden wurden von den Nazis getötet", erläutert der Historiker den Jugendlichen die Grausamkeiten der deutschen Geschichte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe es in Wittenberg große Diskussionen um diese Schandtafel gegeben, sagt er. Die Stadt entschied sich: Das Relief solle bleiben "als Warnung und Mahnung der Geschichte". Am 9. November 1988 – 50 Jahre nach der von den Nationalsozialisten organisierten Pogromnacht des Jahres 1938 – wurde unter der Skulptur ein in den Boden eingelassenes Mahnmal aus Metall enthüllt. "Wir lassen das Relief an der Kirche damit nicht unkommentiert", sagt die Sprecherin der rund 50 000 Einwohner zählenden Kommune, Karina Austermann.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagt, das Mahnmal helfe zum historischen Verständnis des antisemitischen Reliefs wenig weiter. Aus seiner Sicht gebe es zwei Möglichkeiten: Das Relief zu entfernen oder es mit einer erklärenden Tafel zu ergänzen. "Das wäre ein guter Weg, um diese antisemitische Abbildung einzuordnen."

Nach Angaben des Historikers Mirko Gutjahr von der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt gibt es in Mitteleuropa etwa 30 Darstellungen der sogenannten "Judensau" an Kirchen und Einrichtungen. Er findet eine öffentliche Diskussion, wie jetzt mit der Petition angeschoben, gut. "Damit es im Gedächtnis bleibt, was den Juden angetan wurde".

Die Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, sagt mit Blick auf Luthers Verhältnis zu Juden, der Reformator habe in schrecklichen Schriften gegen das Judentum gehetzt. Die Bischöfin der Evangelischen Kirchen in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, ist für den Verbleib des Reliefs. "Wir sollten nicht nur die Zeugnisse der hellen Seiten der Geschichte bewahren, sondern ganz bewusst und als Mahnung auch die der dunklen und tiefdunklen Seiten."

Das Steinrelief sei ein Zeugnis für eine Zeit und Haltung von Antisemitismus und Judenfeindlichkeit, die schlimmste Folgen und unzählige Opfer hatte. Es erinnere daran, wie unbarmherzig auch Christen sein konnten. Das Mahnmal am Boden sei ein Zeichen der Buße und Umkehr, sagt Junkermann.

Nur etwa 500 Meter davon entfernt treffen täglich Busse mit Besuchern aus dem In- und Ausland ein, die vor allem den markanten Turm und die berühmte Thesentür der Wittenberger Schlosskirche fotografieren wollen. Dort soll Luther der Überlieferung nach am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche – sich von Sünden freikaufen zu können – angeschlagen haben. Dieses Ereignis gilt als Beginn der Kirchenreformation, in deren Folge die evangelische Kirche entstand.

Der Thesenanschlag jährt sich 2017 zum 500. Mal. Wittenberg erwartet dann zahlreiche Gäste aus der ganzen Welt. Bereits im Mai (24.-28.5.2017) kommt der Deutsche Evangelische Kirchentag mit voraussichtlich mehreren zehntausend Teilnehmern in Berlin und Wittenberg zusammen.