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Kirchentag Auch die Katholiken helfen mit

22 Bühnen, rund 400 Programmpunkte, Hunderte ehrenamtliche Helfer - in Magdeburg wird das Reformationsjubiläum groß gefeiert.

23.05.2017, 23:01

Magdeburg l Dritter Stock eines bekannten Magdeburger Tagungsgebäudes. Junge Frauen und Männer laufen hektisch über den Flur. Telefone klingeln ununterbrochen, überall kleben bunte Zettel. Die Luft ist merklich von den Abgasen der summenden Computer geschwängert. Es herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Die Szenarie wäre alles andere als ungewöhnlich – wäre da nicht der Ort. Eingerichtet ist das Organisationsbüro des Kirchentags im Roncalli-Haus, der Begegnungsstätte des Bistums Magdeburg. Die Schaltzentrale der Protestanten arbeitet im Haus der Konkurrenz – mit Bildern des Kirchenspalters Martin Luther an den Wänden. Da sage noch einer, Christen hätten keinen Humor. Die Evangelen feiern 500 Jahre Reformation und sogar die Papst-Getreuen sind irgendwie mit an Bord.

Bernd Günter kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Das ist doch toll, oder? Wir verstehen uns gut“, sagt er. Günter ist so etwas wie „Mister Kirchentag“. Seit 1981 ist der Polizist aus Braunschweig stets zum Helfen bei den Veranstaltungen dabei. Er hat sich Urlaub genommen, um den Magdeburger Kirchentag als Organisationschef über die Bühne zu bringen. 16 Stunden pro Tag kümmert sich Bernd Günter darum, dass an den Veranstaltungsorten und bei der Sicherheit alles glattgeht. Rund 20.000 Besucher werden in den nächsten Tagen in der Landeshauptstadt erwartet. Warum tut er sich das ehrenamtlich an, ist der Polizist nicht ausgelastet?

„Ich fühle mich der Kirche und den Menschen verbunden“, lautet Günters schlichte Antwort. Und er mag Magdeburg. Die Stadt hat er einst bei einer Fahrradtour an der Elbe kennen und schätzen gelernt. „Was für ein Gegensatz – dieses Stadtbild und gleichzeitig die vielen Schätze und reiche Kultur. Da leiste ich gerne meinen Beitrag, das hervorzuheben“, sagt er.

Magdeburg hat während der Reformation Geschichte geschrieben. Die Elbestadt bekannte sich als erste deutsche Großstadt zur lutherischen Lehre und war einst Medienzentrum der Bewegung. Mit Hilfe des Buchdrucks hatte Magdeburg erheblichen Anteil an der Verbreitung von Luthers Schriften. Thematisch steht bis zum Sonnabend deshalb die Digitalisierung und ihre Wirkung auf Gesellschaft und Kirche im Mittelpunkt. Rund 400 Veranstaltungen an 22 Orten sind geplant – unter Beteiligung von Reformationsbotschafterin Margot Käßmann über Linken-Urgestein Gregor Gysi bis hin zu Konzerten mit Gerhard Schöne und vielen anderen Künstlern.

Tok, tok, tok. Am Petriförder arbeiten schon seit Tagen Dutzende schwarz gekleidete Installateure mit ihren Hämmern an Bühnenteilen. Gabelstapler karren zentnerweise Material heran. Bis zu 14.000 Menschen sollen dort ab Donnerstag Platz finden. „Wir liegen gut in der Zeit. Am Mittwoch wird der Aufbau abgeschlossen sein“, sagt Gaby Friedrich-Bräunig. Sie ist eine von 200 ehrenamtlichen Helfern, die sich an den Veranstaltungsorten um die Organisation der Abläufe kümmern. Die Schulleiterin aus Marburg hat schon bei vielen Kirchtagen mitgearbeitet, diesmal kümmert sie sich am Petriförder um die größte Bühne in Magdeburg. „Ich mag die Atmosphäre des Kirchentags. Diese ist besonders – das wird auch hier zu spüren sein“, sagt Gaby Friedrich-Bräunig.

Die gesamte Innenstadt wird in eine riesige Veranstaltungsfläche im Freien verwandelt: vom Stadtpark Rotehorn über Wissenschaftshafen und Festung Mark bis zum Dom. Der logistische Aufwand ist enorm. Die Kirche will nicht unter sich bleiben, sondern raus in die Stadt. Rund 50 Firmen und Berufsgruppen wirken dabei mit, unter ihnen Bühnenbauer, Techniker, Hafenmeister, Musiker, Wasserschutzpolizisten, Gesundheitsinspektoren, Ingenieure, Fahrradkuriere und Sicherheitsfachleute. Die Johanniter kommen mit 80 zusätzlichen Kräften, um bei Notfällen schnell vor Ort zu sein.

Ob sich der ganze Aufwand lohnt für eine Region, in der gerade einmal rund zehn Prozent protestantisch sind? „Ja klar. Da habe ich gar keine Zweifel“, sagt Organisationschef Bernd Günter. „Es gibt ja nicht nur Gottesdienste.“ Günter erinnert sich an eine Begegnung mit einer Dame bei einem Kirchentag vor ein paar Jahren in Dresden. „Die Frau sagte mir damals, mit Kirche und Glauben könne sie gar nichts anfangen. Aber die vielen Veranstaltungen und die Kultur, die wir in die Stadt gebracht hätten, würden sie begeistern.“

Am Freitagabend findet in der Landeshauptstadt ein großes Volksfest statt: Auf der Elbe gibt es ein Schiffstreffen mit Dutzenden Booten (20 Uhr), danach wird eine Theaterinszenierung mit mehr als 200 Darstellern geboten, die die Magdeburger Geschichte der Reformation erzählt.

Während man die Schiffsprozession von den Elbwiesen und Brücken sicher auch kostenlos erleben kann, muss für den kulturellen Höhepunkt am Petriförder Eintritt bezahlt werden. Zehn Euro kostet eine Einzelveranstaltungskarte, für ein Tagesticket werden 26 Euro fällig – angesichts der hohen öffentlichen Zuschüsse für den Kirchentag hat dafür nicht jeder Verständnis: 300.000 Euro gibt die Landeshauptstadt für das Reformationsfest, 950.000 Euro kommen vom Land. Den Rest der geplanten Ausgaben in Höhe von 2,4 Millionen Euro will die Kirche aus Eigenmitteln (250.000 Euro) sowie über Spenden und eben Teilnehmerbeiträge decken.

„Kirchentage sind immer extrem knapp kalkuliert. Ich persönlich finde, bei 400 Veranstaltungen ist für jeden etwas dabei. Da sind 26 Euro für ein Tagesticket oder 59 Euro für eine Dauerkarte nicht viel“, sagt Stephan von Kolson, Leiter der Kommunikationsabteilung. Außerdem gebe es in Magdeburg auch viele kostenlose Veranstaltungen wie das Kinder- und Familienzentrum im Stadtpark Rotehorn.

Drei Tage wird in Magdeburg gefeiert, am Sonntag geht es in Wittenberg weiter. Die Protestanten hoffen auf die Offenheit einer ganzen Region. „Hier wird man oft belächelt, wenn man sagt, dass man Christ ist. ‚Was hast du denn damit zu tun?‘, werde ich oft gefragt“, sagt Annette Berger, die das Programm mitgestaltet hat. „Ich wünsche mir, dass das Christsein wieder selbstverständlicher wird und man nicht nur verwunderte Blicke erntet. Besinnung gehört zu unserer Gesellschaft. Das heißt ja nicht, dass alle in die Kirche eintreten müssen.“