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NeuregelungNicht ohne Not in die Notaufnahme

Patienten, die mit Bagatell-Erkrankungen in Sachsen-Anhalts Notaufnahmen gehen, haben keinen Anspruch mehr auf Behandlung.

Von Alexander Walter 16.05.2017, 01:01

Magdeburg l Mit Kopfschmerzen oder Husten in die Notaufnahme: Das ist seit Kurzem nicht mehr vorgesehen. Stattdessen müssen sich Patienten mit Beschwerden, die nicht lebensbedrohlich sind, darauf einstellen, abgewiesen und zum Kassenarzt geschickt zu werden.

Grundlage ist eine neue bundesweite Regelung. Ab sofort sollen Ärzte binnen zwei Minuten entscheiden, ob es sich um einen Notfall handelt oder nicht. Für den Patienten kann das bedeuten, dass er mehrere Stunden wartet, um dann nach kurzem Gespräch zu erfahren, dass er nicht behandelt wird.

Hintergrund für die Reform ist die Verteilung von Geld im Gesundheitssystem: Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung wollen, dass die Behandlung von Patienten mit Bagatellbeschwerden in Klinik-Notaufnahmen nicht mehr selbstverständllich ist. Die Krankenhausgesellschaft als Vertreter der Kliniken hatte dagegen gestimmt, konnte sich aber nicht durchsetzen.

Nach der neuen Regelung bekommen die Kliniken Geld von den Kassen, wenn sie Patienten mit Bagatellbeschwerden zu den niedergelassenen Ärzten schicken. Gösta Heelemann von der Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt hält die Zwei-Minuten-Medizin für patientenfeindlich: In diesem Zeitraum seien weder ein ausführliches Gespräch noch laboratorische Diagnostik möglich.

Aus ethischen und haftungsrechtlichen Gründen werde kein Arzt einen hilfebedürftigen Patienten ohne ausführliche Abklärung wegschicken. „Auch hinter scheinbar banalen Symptomen kann eine schwere Erkrankung stecken“, warnt Heelemann. Eine gefährliche Hirnhautentzündung etwa könne sich mit ähnlichen Symptomen wie eine Erkältung bemerkbar machen.

Den Kliniken selbst bringe die Reform vor allem Nachteile: Der Dokumentationsaufwand erhöhe sich massiv. Krankenhäuser müssten im Einzelfall begründen können, warum sie Patienten abgewiesen haben.

Vor allem aber verschlechtere sich die finanzielle Situation: Während bisher 13,37 Euro pro Notfall gezahlt wurden, gibt es nun nur noch eine „Abklärungspauschale“ von 4,74 Euro am Tag sowie 8,42 Euro in der Nacht. Dabei arbeiteten die Notaufnahmen schon bislang mit Verlusten. Einnahmen von 32 Euro pro Notfall stünden Kosten von 120 Euro gegenüber, sagt Heelemann. Bei elf Millionen Patienten bundesweit beliefen sich die Defizite auf eine Milliarde Euro pro Jahr. „Die unzureichende Vergütung der Notfallversorgung in den Kliniken ist nicht mehr hinnehmbar“, sagt Heelemann.

Auch Markus Rettig, Leiter der Notfallaufnahme im Magdeburger Uni-Klinikum, bewertet die Reform kritisch: Schon vor der Neuregelung habe seine Einrichtung ein Minus eingefahren, sagt er. Andererseits kämen seit Jahren immer mehr Menschen in die Notaufnahmen. Allein das Magdeburger Uniklinikum verzeichnet Zuwächse von fünf Prozent pro Jahr. Von 40.000 Patienten im vergangenen Jahr waren nach Schätzungen mehr als 20 Prozent keine Notfälle.

Sechs Wochen nach Einführung des neuen Systems glaubt Rettig trotzdem, dass nur wenige Patienten abgewiesen werden: „Wenn einer zwei, drei Stunden wartet und nicht behandelt wird, ist das Unverständnis groß.“ Der Arzt rechnet mit einer Quote abgewiesener Patienten von nicht mehr als zwei bis fünf Prozent.

Die Politik fordert der Arzt auf, für Aufklärung zu sorgen: „Patienten müssen wissen, dass wir nur zuständig sind, wenn Gefahr für Leib und Leben oder unzumutbare Schmerzen bestehen.“ Bislang hätten viele Patienten ein zu hohes Anspruchsdenken. Rettig: „Manche kommen einfach zu uns, weil sie erst nach Dienstschluss zum Arzt gehen wollen.“