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Lärmschutz Biederitzer kämpfen um Schlaf

Nach Erfolgen vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg steht eine Biederitzer Bürgerinitiative vielleicht vor einem Sieg.

16.11.2016, 01:00

Biederitz/Leipzig l Es wäre ein Stück Rechtsgeschichte. Die Bürgerinitiative „Lärmschutz Biederitz“ steht vor einem historischen Prozess. Am Donnerstag soll unter Umständen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden werden, ob die Geschwindigkeit der Züge beim Lärmschutz Beachtung findet.
Seit 2010 hat die damals neu gegründete Bürgerinitiative nur ein Ziel: Die Biederitzer Bürger wollen beim Ausbau der Eisenbahnstrecke von der Nordsee bis Osteuropa an ihrer Ortslage einen angemessenen Lärmschutz erhalten. Dafür unterstützen sie seit 2011 vier Biederitzer Kläger moralisch und vor allem finanziell. „Die Verhandlungen haben mittlerweile mehrere Zehntausend Euro gekostet. Für einzelne Kläger sind solche Summen kaum zu stemmen“, erklärt Johann Lottmann, Sprecher der Bürgerinitiative, die sich vor allem durch Spenden finanziert.
Sechs Jahre ist es her, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) Planungsunterlagen für den Bau einer neuen Ehle-brücke und den vierspurigen Ausbau der Gleise bei Biederitz vorlegte. Die Bürger wurden angehört, eine Vielzahl erhob Einwände gegen den Plan. Grundlage für den geplanten Lärmschutz waren Berechnungen des bahneigenen Umweltzentrums. Diese wurden überarbeitet und der Plan beschlossen.
Vier Bürger gingen damals gerichtlich gegen den Beschluss vor: „Das EBA erklärte sich zu einem Mediationstermin bereit. Das war ein bundesweites Novum“, so Lottmann. Die Bürgerinitiative konnte ihren ersten Erfolg verzeichnen und ein neues Gutachten wurde erstellt. Dabei erhöhte sich die Zahl der Schutzfälle von 39 auf 286. Die Initiative wollte eine Kombination aus passiven (Schallschutzfenster- und türen) und aktiven Maßnahmen durch Lärmschutzwände oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung.
„Das große Problem sind die Güterzüge, die nachts und am Wochenende durch den Ort fahren. Daher wäre eine Reduzierung von fünf Dezibel angebracht“, fordert Lottmann und erklärt, „das würde in etwa bedeuten, dass ein Güterzug statt 85 nur noch 60 km/h über die knapp zwei Kilometer lange Strecke durch Biederitz fahren dürfte.“
Doch das EBA sah in seiner Beschlussänderung davon ab. Also zogen die Biederitzer erneut vor das Oberverwaltungsgericht Magdeburg und erwirkten, dass das EBA die Geschwindigkeitsbegrenzung als Mittel des Lärmschutzes in Erwägung ziehen müsse. Zudem sollen die betroffenen Haushalte mit schalldämmenden Fenstern und Türen ausgerüstet werden. Das Amt ging in Revision.
Die Lärmschutzbeauftragte der Deutschen Bahn, Ines Jahnel, äußerte sich damals dazu: „Aufgrund der Konkurrenzfähigkeit spielen Geschwindigkeitsbegrenzungen bei der Bauplanung weiterhin keine Rolle.“ Ebensowenig kam aus Kostengründen eine Lärmschutzwand infrage. Die Kosten in sechsstelliger Höhe seien unverhältnismäßig. Stattdessen soll bis 2020 der komplette Wagenpark der Deutschen Bahn mit Flüsterbremsen ausgestattet werden. Dies sorge für eine Halbierung des Lärms von Güterwagen.
Für Johann Lottmann ist dies zwar durchaus ein Fortschritt, jedoch längst nicht die Lösung: „Die ausgerüsteten Wagen sind natürlich leiser. Das Problem ist jedoch, dass eben nicht nur die Bahn die Strecke nutzt, sondern auch viele Private, ohne solche Flüsterbremsen.“
Hans-Georg Zimmermann, Sprecher der Deutschen Bahn für Lärmschutz, erklärt: „Etwa ein Drittel der Waggons gehört der Deutschen Bahn. Die restlichen zwei Drittel sind andere deutsche und ausländische Wagenhalter.“ Außerdem gibt er an, dass sie bei der Ausrüstung mit Flüsterbremsen im Zeitplan liegen und bis Ende des Jahres 2016 die Hälfte der Wagons ausgestattet haben werden. Bis 2020 sollen dann alle Waggons mit Flüsterbremsen fahren.
Ein Urteil zugunsten der Bürgerinitiative hätte nicht nur Auswirkungen auf Biederitz. Das gesamte deutsche Bahnnetz stünde plötzlich auf dem Prüfstand. Den Reduzierungen der Geschwindigkeit bei Güterzügen müssten sich auch Personenzüge anpassen. Zeitliche Änderungen wären die Folge. So stünde eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Widerspruch zum Ausbau des Bahnnetzes. Dieser solle schließlich für schnelle Anbindungen sorgen.
Ob es am Donnerstag bereits ein Urteil geben wird, steht noch nicht fest. Eventuell geht der Kampf um die Nachtruhe in die nächste Runde. Egal wie es ausgeht, schon jetzt hat die Bürgerinitiative einiges erreicht.