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Landeskriminalamt Datenschutz ist wie ein eiserner Vorhang

LKA-Chef Jürgen Schmökel spricht über Hintergründe und Probleme bei der Ermittlungsarbeit.

Von Matthias Fricke 04.08.2015, 01:01

Wenn man das Landeskriminalamt mit einem Auto vergleichen würde, ist das noch ein Kleinwagen oder schon eine Luxus-Limousine?

Jürgen Schmökel: Als Kleinwagen habe ich es schon nicht empfunden, als ich 2008 das Amt übernommen habe. Das war schon eine ordentliche Limousine, aber sie hatte natürlich gemessen an der heutigen Zeit nicht die modernsten Assistenzsysteme.

Und wie ist es jetzt?

Es wurde nachgerüstet. Wir sind soweit, dass wir unserem polizeilichen Gegenüber mit gleicher Geschwindigkeit folgen können. Leider gibt es noch Schwierigkeiten beim Überholen. Dazu reicht es noch nicht, aber daran arbeiten wir noch.

Also kein Sportwagen?

Nein (lacht).

Sie würden das LKA aber doch gerne als Sportwagen sehen?

Ja klar. Nach Möglichkeit möchte man als Polizist schon die richtigen Antworten parat haben, wenn die jeweiligen Fragen gestellt werden. Es gibt dazu ja auch technische Ansätze, wie Predictive Policing.

Was heißt das?

Das bedeutet, dass die Vielzahl von Daten, über die wir mittlerweile verfügen, auch softwaregestützt analysiert und ausgewertet werden könnten. Damit werden geografische Schwerpunkte, Tageszeiten, Witterungsumstände sowie andere äußere Faktoren herausgefiltert, zu denen Straftaten eher wahrscheinlich sind als zu anderen Zeiten. Also ein Blick in die Glaskugel.

Das würde ja bedeuten, dass Sie bei einer Einbruchserie die nächste Tat vorhersagen könnten?

Genau. Das heißt jetzt nicht, dass die Polizei in einer bestimmten Wohnung wartet, um den Einbrecher dort festzunehmen. Es bedeutet vielmehr, dass in der Planung Kräfte in einem Bereich konzentriert werden können, weil die Wahrscheinlichkeit einer Straftat dort sehr hoch ist.

Und warum gibt es das nicht schon längst?

Das steckt noch in den Kinderschuhen. Es laufen zurzeit auch Pilotprojekte. Und es gibt private Anbieter auf dem Markt, die eine entsprechende Software anbieten. Die wird zurzeit auch bei einigen Polizeien getestet. Man muss aber auch sehen, dass das sehr viel Geld kostet, wenn man sich solche Software anschafft. Und man muss auch ein Konzept haben.

Geld ist ein gutes Stichwort. Die Polizei muss sparen, wo sehen Sie die Grenze. Ist sie nicht schon überschritten?

Bisher haben wir es als Landeskriminalamt eigentlich immer noch alles gewuppt. Wir laufen aber an der Grenze. Ich kann zum Beispiel keine Ermittlungsgruppe aufmachen, die im Sachverhalt A vorgeht, eine weitere im Sachverhalt B und eine dritte im Sachverhalt C und jede bekommt so viele Leute, wie sie braucht. Das bekommen wir nicht hin. Man muss dann vernetzt handeln und irgendwie improvisieren. Darunter leidet natürlich auch ein Stück weit aus Sicht der Ermittler die Qualität der Arbeit. Das betrifft auch die großen Fälle. Da leihen wir uns von den Polizeidienststellen eben auch Leute aus.

Die Herausforderung an die Verbrechensbekämpfung wird immer größer. Internationale Banden agieren im Internet oder ziehen durch Europa. Sind Sie dem eigentlich noch gewachsen?

Wir müssen uns auf die neuen Begehungsweisen der Täter einstellen. Dazu braucht es zum einen das kriminalistische Know-how, welches zweifellos vorhanden ist. Zum anderen benötigen wir die technische Ausstattung. Wenn wir diese gut begründen, erhalten wir sie auch. Rechtliche Voraussetzungen und Strukturen in der Zusammenarbeit, das sind Dinge, die länger dauern.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Nehmen wir an, eine Tätergruppe hat sich auf hochwertige Fahrzeuge spezialisiert und reist aus Osteuropa ein. Die Täter gehen dann mit einer hoch konspirativen Verfahrensweise vor, weil sie wissen, was die Polizei wo in welchem Bundesland darf. Sie reisen also ein, haben ausländische Kennzeichen an ihren Fahrzeugen. Am Tatort tauschten sie an den gestohlenen Fahrzeugen die Motorsteuergeräte aus und überwinden so die Wegfahrsperre. Mit eingeschalteten Jammer (Störsender von GPS-Signalen d. Red.) fahren sie schließlich zurück, wechseln zwischendurch die Kennzeichen und fahren in Sachsen-Anhalt auf die Autobahn bis Brandenburg, wo sie wiederum über Landstraße fahren. Denn dort ist das automatische Auslesen von Kennzeichen im Gegensatz zu Sachsen-Anhalt nämlich erlaubt.

Wie könnte man denn im Idealfall auf solche professionellen Ganoven reagieren?

Das ist schwierig. Wenn mit Störsendern gearbeitet wird, hat man kaum eine Chance. Da wüsste ich auch keine technische Lösung. Irgendwann wird das Gerät aber ausgeschaltet und dann müsste man an die GPS-Daten herankommen. Das ist auch im Werden. Es gibt ja schon Joint-Investigation-Teams (Gemeinsame Ermittlungsgruppen d. Red.) mit den polnischen Behörden. Aber wenn es über Ländergrenzen geht, gibt es eben unterschiedliche Befugnisse. Wir müssen als Kriminalpolizei auch über Grenzen agieren können. Es gibt zum Beispiel schon ein Europäisches Informationssystem (EIS). Das müssen wir nutzen. Auch auf Bundesebene wird an einem System gearbeitet. Das heißt PIAV.

Was heißt das?

PIAV heißt Polizeilicher Informations- und Analyseverbund. Das ist im Aufbau und eine ungeheuer zähe Geburt, weil es auch Probleme mit dem Datenschutz gibt. Wenn Sie anfangen zu versuchen, polizeilich über Grenzen hinweg zu arbeiten, stoßen Sie sofort auf die Grenze der Datenschützer. Und die ist manchmal stabiler als der Eiserne Vorhang. Mit PIAV hätten wir erstmals die riesige Möglichkeit, einen großen Schritt zu tun, um über Ländergrenzen hinweg noch erfolgreicher zu ermitteln.

Wo liegt denn das Problem?

Gespeichert werden die Daten in dem System nur, wenn sie von erheblicher Bedeutung sind oder auch für andere Länder relevant sind. Angenommen, ich habe in Sachsen-Anhalt eine Straftatenserie, bei der die Täter immer rote Autos nutzen. Dann darf ich das erst in PIAV speichern, wenn es einen Hinweis darauf gibt, dass die Täter auch außerhalb des Bundeslandes agieren. Das weiß ich doch vorher aber nicht.

Was wäre der Vorteil von PIAV?

Wenn es in einem anderen Bundesland auch eine Serie mit roten Autos gibt, dann hat der Ermittler dort sofort den Hinweis, dass es so etwas auch in Sachsen-Anhalt gibt. Umgekehrt natürlich auch.

Das bedeutet, dass jede Polizei in den Ländern für sich ermittelt und nur selten Zusammenhänge auffallen?

Ja, genau das ist das Problem. Genau dort soll PIAV ansetzen. Aber die datenschutzrechtliche Einschränkung muss eben noch überwunden werden. Das ist Sache des Gesetzgebers auf Bundesebene.

Was würden Sie sich denn noch von der Politik für Handlungsspielräume wünschen?

Zum Beispiel auch die Nutzung der Maut-Daten halte ich für sinnvoll. Da gab es auch schon Fälle, bei denen man hätte prima darauf zurückgreifen können. Kennzeichenlesegeräte haben auch schon ihren Beitrag zur Aufklärung von Verbrechen geleistet. Zum Beispiel der Autobahnschütze, der über Jahre aus seinem Fahrzeug entgegenkommende Lkw in ganz Deutschland beschossen hat. Der ist letztendlich überführt worden, weil die Routen eingegrenzt und mit mobilen Lesegeräten Kreuztreffer erarbeitet wurden. Irgendwann blieb nur noch er als Verdächtiger über.

Bei den Automatensprengern im Jerichower Land war es ähnlich?

Nicht ganz. Da waren es Daten der Mobilfunkgeräte, die zu Kreuztreffern geführt haben. Bei diesen Daten geht es ja nicht um Inhalte, sondern nur darum, wann welches Gerät sich wo einloggt. Es wäre hier übrigens sinnvoll, wenn es eine längere gesetzliche Mindestgrenze zur Speicherung dieser Verbindungsdaten gibt. Es passiert zurzeit Folgendes: Wir hätten zwar nach einem richterlichen Beschluss die Möglichkeit, zurückliegende Verbindungsdaten einzusehen, jedoch nützt das nichts, wenn sie schon vom Provider gelöscht sind. Am Ende muss der Staatsanwalt eine Telekommunikationsüberwachung beim Richter beantragen. Das ist jedoch ein viel größerer Grundrechtseingriff als die Herausgabe der Verbindungsdaten. Deshalb wird nach meiner Meinung die gesamte Diskussion zur Datenspeicherung auch sehr oberflächlich geführt.

Wo klemmt die Säge noch?

Zum Beispiel haben wir uns im Bereich der Prostitution sehr liberal aufgestellt. Das hat aber zur Folge, dass wir überhaupt nicht mehr wissen, was im Rotlichtbereich überhaupt vor sich geht. Es ist unklar, woher die Frauen kommen, die ihre Dienste anbieten. Wir gehen aber davon aus, dass sie aus dem Ausland kommen und hier in Deutschland sexuell ausgebeutet werden. Da sind wir jetzt immer auf konkrete Hinweise angewiesen, um näher hinzusehen. Möglichkeiten wie in anderen Ländern, wo anlasslose Kontrollen in Bordellen vorgenommen werden können, haben wir hier nicht.

Frustriert es, wenn es in Ermittlungsverfahren zum Beispiel beim Brandanschlag auf die Bundeswehrkaserne in Havelberg oder das künftige Asylheim in Tröglitz nicht vorangeht?

In Havelberg haben wir einen atypischen Fall. Das heißt, wir glauben an einen politischen Hintergrund, aber es steht eben kein Bekenner dazu. Es gibt zwar genug in der Szene, die sagen, Militärgeräte interessieren uns brennend. Aber keiner sagt, wir haben die Fahrzeuge angesteckt. Deshalb mussten wir nach den vorhandenen Spuren gehen. Diese hatten etliche gute Ansätze gebracht, aber wir kamen irgendwann an einen Punkt, an dem wir nicht weiterkamen. Das hat aber Gründe, die ich an dieser Stelle nicht öffentlich machen möchte.

Und Tröglitz?

Da sind wir auch noch ganz schwer dabei. Dort gibt es viele Ansätze, die nach und nach abgearbeitet werden. Es hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fremdenfeindlichen Hintergrund, aber der Beleg dafür fehlt. Wir haben eine Art Standfoto entwerfen können, wann sich wer wo befunden hat. Da haben wir einige als Zeugen identifiziert und suchen noch Personen, die in diesem Bereich gesehen wurden.

Wenn es um Terrorismus geht, wie gut ist Sachsen-Anhalt mit seinen Sondereinheiten auf einen möglichen Anschlag vorbereitet?

Da sehe ich uns gut aufgestellt. Wir sind auch im ständigen Informationsaustausch mit den Bundeszentren. Das klappt hervorragend. Wobei man sagen muss, wir können so etwas eben nie ausschließen. Für den Ernstfall stehen sehr gut ausgebildete Spezialkräfte und die entsprechende Infrastruktur bereit. Das Spezialeinsatzkommando ist innerhalb kurzer Zeit bei solchen Lagen zur Stelle. Wir haben zum Glück noch einen Polizeihubschrauber im Land, der die Einsatzkräfte vor Ort bringen kann. Und es gibt genügend Fahrzeuge, auch wenn wir uns wünschen würden, dass diese weniger Kilometer auf der Uhr hätten.