1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Auf das Staatsgebiet der DDR verirrt

Letzter Wolf Auf das Staatsgebiet der DDR verirrt

Bei Nielebock im heutigen Jerichower Land hat der Bauer Anton Türp 1982 den ersten und letzten Wolf im Bezirk Magdeburg erlegt.

Von Alexander Walter 05.06.2017, 18:05

Magdeburg l Es ist ein verregneter Maiabend vor 35 Jahren, als der Jäger und Genossenschaftsbauer Anton Türp auf seiner Kanzel im Jerichower Land auf der Lauer liegt. Normalerweise laufen ihm hier zwischen den Dörfern Nielebock und Derben Rehe und Wildschweine vor die Flinte, manchmal sind auch ein paar Füchse dabei. An diesem Abend aber passiert etwas Ungewöhnliches. Aus einer Kieferndickung trabt um 21 Uhr plötzlich ein großer Schäferhund aufs Feld. Ein wildernder Haushund – glaubt der Jäger – der hat im Wald nichts zu suchen. Als das Tier stoppt, drückt Türp ab. Der Hund fällt getroffen zu Boden.

Erst als der Jäger nähertritt, dämmert ihm, was er da gerade geschossen hat. Der vermeintliche Schäferhund entpuppt sich als junger Wolfsrüde. Untersuchungen in der Wildsammelstelle Genthin werden das später bestätigen.

Es ist der erste und der letzte Wolf, den ein Jäger seit 1945 im Bezirk Magdeburg erlegt hat. Wölfe gelten in der DDR als ausgerottet. Nur vereinzelt wandern Tiere aus den Wäldern Polens ein. In der Jagd-Literatur der Zeit wird der Wolf als „Irrgast“ bezeichnet. „Anders als heute standen Wölfe nicht unter Schutz“, erklärt Wolfhard Meerkatz. Der 65-Jährige aus Brettin war damals Jäger in der benachbarten Jagdgesellschaft Genthin. Einen Wolf hatte er bis dahin nie gesehen. „Der Wolf galt in der DDR als potenzieller Nahrungskonkurrent“, erzählt er. Die Volkswirtschaft habe schließlich jedes Stück Wildbret gebraucht.

Der Abschuss galt dann auch als Attraktion. Eine Woche lang habe es nur Feiern gegeben, erinnert sich Meerkatz. Partei und Staat hätten Türp gelobt. „Er hat seine Pflicht hervorragend erfüllt“, habe es geheißen. Am Abschussort ließ man einen Gedenkstein errichten. „An dieser Stelle wurde am 17. Mai 1982 der achte Wolf in der DDR erlegt“, stand darauf. Viele Leute seien damals mit dem Fahrrad zum Stein gefahren. Auch der Brettiner Meerkatz war mehrfach dort.

In den Wirren der Wende ging der Stein dann verloren. Meerkatz glaubt, dass ihn irgendjemand mitgenommen hat. Die Wölfe sind unterdessen zurückgekehrt. Meerkatz selbst hat inzwischen mehrere gesehen. Das letzte Mal im Winter in der Stadtwirtschaft Genthin. „Der Wolf hat sich dort an den Mülltonnen bedient“, erzählt der Jäger. Der Brettiner alarmierte die Polizei. Doch als die eintraf, war der Wolf verschwunden. Zu befürchten hätte er ohnehin wenig gehabt. Die Zeiten haben sich geändert, sagt der Rentner.

Der Wolfsrüde aus dem Nielebocker Forst hingegen bezahlte seine Begegnung mit dem Jäger Türp mit dem Leben. Heute steht der „Irrgast“ der DDR präpariert im Haus des Waldes in Schloss Hundisburg bei Haldensleben. Ein Schild davor erzählt von seinem Abschuss. Besucher können ihn durch einen Glaskasten bestaunen.