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Neurochirurgie Wissenschaft überwindet Grenzen

Deutsche und britische Neurochirurgen tagten in Magdeburg. Der Tagungspräsident spricht über Folgen des Brexits für die Wissenschaft.

18.05.2017, 23:01

Volksstimme: Herr Prof. Firsching, 1936 fand der erste Kongress von Neurochirurgen in Magdeburg statt. In dieser Woche sind die Fachmediziner zu ihrem Ursprungsort zurückgekehrt. Mehr als 1000 Ärzte tauschen Forschungsergebnisse aus. Was hat sich getan in mehr als 80 Jahren Neurochirurgie?
Raimund Firsching: Das Fach hat eine extrem stürmische Entwicklung erlebt. Die Neurochirurgie war eine Disziplin mit hoher Sterblichkeitsrate und geringen Möglichkeiten wirklich helfen zu können. Das sieht heute völlig anders aus. Die Lebenserwartung nach Operationen ist deutlich besser geworden. Der Grund dafür liegt in vielen technischen Entwicklungen.

Sie haben gemeinsam mit britischen Neurochirurgen getagt. Warum ist der internationale Austausch mit Ärzten wichtig?
Die deutschen Neurochirurgen haben in den vergangenen Jahren ihre Tagungen häufig mit Fachgesellschaften aus anderen Ländern abgehalten, da dies den Blick über den Tellerrand des eigenen Tuns ermöglicht. Das ist sehr hilfreich. Es gibt ja technische Entwicklungen in allen Ländern der Erde. Und der Austausch über die Erfahrungen ist von großer Bedeutung für die tägliche Routine und für künftige Entwicklungen.

Was unterscheidet britische und deutsche Neurochirurgen?
Die britischen Neurochirurgen leiden unter einer großen Personal-Knappheit im Vergleich zu deutschen Kollegen. Bei dem National Health Service, der das Gesundheitssystem in Großbritannien organisiert, sind ungefähr 300 Neurochirurgen vorgesehen bei 62 Millionen Menschen. In Deutschland haben wir bei 82 Millionen Einwohnern hingegen 1600 Neurochirurgen. Hierzulande gibt es deswegen auch eine wesentlich höhere Spezialisierung der Kollegen. Andererseits kann man von den britischen Kollegen lernen, wie man gute Ergebnisse mit weniger Aufwand erreicht.

Welche Rolle spielt der Brexit?
Die Wissenschaft ist international und überwindet politische Grenzen. Das ist auch in der Vergangenheit so gewesen. Die Freundschaft mit den britischen Kollegen geht auf ein erstes Treffen von 1937 zurück. Seitdem haben wir uns sieben Mal getroffen. Auch ein Zweiter Weltkrieg hat diesen Erfahrungsaustausch nicht behindert. Nach der Brexit-Entscheidung hatten wir zunächst einige Befürchtungen. Wir gehen aber davon aus, dass der Brexit kaum eine Rolle spielen wird.

In Deutschland erleiden etwa 250.000 Menschen eine schwere Hirnverletzung, 2750 überleben nicht. Wie ist es aus Ihrer Sicht möglich, mehr Menschen zu retten?
Im Wesentlichen durch Prophylaxe, Vermeidung von Unfällen. Die Therapie der Schädel-Hirn-Verletzten ist in unserem Lande bereits gut organisiert. In Deutschland gibt es kurze Wege. Es ist möglich, die Patienten schnell in ein Krankenhaus zu bringen, wo ein Neurochirurg zur Verfügung steht. Die Blutungen als Folge von Verletzungen brauchen ohnehin eine gewisse Zeit, bis sie entstehen. So bleibt ungefähr eine Stunde für Hilfe am Unfallort und den Transport.

Warum ist dann eine schnelle Operation wichtig?
Das menschliche Gehirn kann nur einen gewissen Druck über eine eng begrenzte Zeit ertragen und reagiert außerordentlich empfindlich auf mangelnde Durchblutung. Weil es im Schädelinnenraum keine Ausweichmöglichkeit gibt, kommt es sehr rasch zur Hirnfunktionsstörung. Zum Schutz lebensnotwendiger Hirnstrukturen, insbesondere des Hirnstammes, kann eine Entlastungsoperation, entweder zur Ausräumung einer Blutung oder eine großflächige Schädeleröffnung, lebensrettend sein.

Wann tagen Neurochirurgen wieder in Magdeburg?
Das kann man natürlich in keiner Weise voraussehen, weil das von dem Zufall abhängt, wer in der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie bei der Abstimmung eine Mehrheit erringt. Aber es ist Usus, dass die Veranstaltungen gleichmäßig über Deutschland verteilt werden. Magdeburg war ja 40 Jahre ausgeschlossen, weil das ursprünglich eine westdeutsche Vereinigung gewesen ist. Deshalb denke ich, dass es nicht wieder ganz so lange dauern wird.