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Prozess Zwangsräumung endet im Drama

Ein 33-jähriger Halberstädter muss sich vor dem Magdeburger Landgericht wegen versuchten Mordes an seinen tauben Eltern verantworten.

Von Matthias Fricke 15.02.2018, 18:55

Halberstadt l Immer wieder zieht sich der Angeklagte Lars Z. ein Taschentuch aus der Verpackung, als Staatsanwalt Klaus Bleuel die Anklage verliest. Sein Vorwurf: Zweifacher versuchter Mord. Der 33-Jährige soll am 5. September 2017 gegen 7 Uhr in Halberstadt seine schlafenden gehörlosen Eltern eingeschlossen und ein Feuer gelegt haben, um diese zu töten. Er wollte ihnen eine drohende Zwangsräumung ersparen, die er selbst zu verantworten hatte.

Seine Mutter Marlies Z. (64), die mit ihrem Mann Rainer bei dem Prozess als Nebenkläger auftritt, lässt sich alles von Gebärdensprachdolmetschern simultan übersetzen.

Auch sie bricht in Tränen aus, als ihr Sohn ein umfassendes Geständnis ablegt. Er erzählt den Richtern, dass er schon seit vier Jahren nicht mehr Hartz IV beantragt hat und sich deshalb die Schulden auf inzwischen bis zu 30.000 Euro angehäuft haben. Seine Eltern erhalten nur 1.100 Euro Rente von denen alle drei gemeinsam lebten. Weil das Sozialamt keine Wohnkosten mehr übernahm, häuften sich die Schulden über die Jahre an. Die Post zu Mietrückständen habe er immer abgefangen, so dass die Zwangsräumung am 5. September bevorstehen sollte. Seine Eltern wussten davon offenbar nichts.

Lars Z. ist seit Jahren arbeitslos, spielte seit Jahren exzessiv Computerspiele, hat nie einen Beruf gelernt und wohnte bis auf eine kurze Ausnahme schon immer bei seinen Eltern. Sie machten seine Wäsche, Mutter Marlies kochte das Essen. Mit 14 Jahren hat er dafür bereits als Dolmetscher für seine Eltern die Übersetzung und Behördengänge übernommen. „Dabei habe ich solche Angst vor anderen Menschen“, sagt er später.

Etwa 2007 gab es wegen Geldnot und Schulden wohl schon einmal eine Zwangsräumung in der alten Wohnung der Familie in Osterwieck. „Dieses Schicksal wollte ich ihnen diesmal ersparen“, begründet er seine Tat.

Am Tag vor dem Brand, am 4. September, hatte er aber zunächst den Entschluss gefasst, nur seinem Leben ein Ende zu bereiten. „Ich wollte von einer Brücke springen. Doch die war nicht hoch genug. Dann wollte ich erst vor einen Zug und später vor einen Lkw springen. Das habe ich am Ende aber gelassen, weil ich den Fahrern das nicht antun wollte“, sagt er. So ging er nach Hause und schmiedete eine neuen Plan. „Wegen der Zwangsräumung wollte ich erst meine Eltern umbringen, dann alles anstecken, zur Polizei gehen und mich später im Gefängnis töten. Die Wärter hätten damit umgehen können“, meint er.

Lars Z. stellte sich für den nächsten Morgen um 5 Uhr den Wecker, um noch vor dem Aufwachen seiner Eltern den neuen Plan in die Tat umzusetzen. Doch zunächst sah er sich auf seinem Computer zwei Serien bis etwa 6 Uhr an. Dann ging Lars Z. in die Küche der gemeinsamen Wohnung im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses und holte sich aus einer Schublade ein Messer. Er gesteht: „Da lagen beide und schliefen. Als ich meine Mutter sah, konnte ich es nicht tun.“ Dabei habe er zuvor im Internet alles dazu herausgesucht und gelesen, wie man am besten einen Mensch ersticht. Der Angeklagte: „Ich wollte doch, dass sie dabei möglichst keine Schmerzen haben.“ Nach einigen Minuten sei er aber wieder zurück in die Küche gegangen.

Den Plan, die Wohnung anzustecken, wollte er dennoch umsetzen. Im Flur und im Wohnzimmer baute Z. dazu die Rauchmelder ab und wollte sie später zerstören. „Ich habe sie dann aber in einen Rucksack gepackt und auf den Balkon gestellt“, so der Angeklagte.

Der 33-Jährige zog bei seinen noch immer schlafenden gehörlosen Eltern den von innen steckenden Schlüssel aus der Schlafzimmertür ab und verschloss diese von außen. Anschließend nahm Lars Z. mehrere Bekleidungssachen und legte diese in drei Haufen vor die Schlafzimmertür im Flur. Dann goss er eine Alkohollösung zur Schimmelentfernung als Brandbeschleuniger darüber. „Ich bin dann raus und zu Fuß zur Polizei gegangen“, sagt der Angeklagte. Ein Polizeibeamter, der eine halbe Stunde später den Mann auf der Wache empfing, erinnert sich: „Er kam zu uns und sagte, dass er gerade seine Eltern eingeschlossen und die Wohnung angesteckt hat.“ Lars Z. wurde festgenommen.

Was er zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Seine Eltern waren inzwischen wach geworden und winkten am Fenster um Hilfe. Sie konnten von der Feuerwehr ohne größere Verletzungen gerettet werden. Der Brandschaden belief sich auf 32.000 Euro, weil sich die Flammen nicht weiter ausgebreitet haben.

In der JVA Halle versuchte sich Lars Z. später erneut das Leben zu nehmen. „Ich habe ein bei der Kontrolle übersehenes Marmeladenglas auf dem Boden zerschlagen und mir die Arme aufgeschnitten“, erklärt er. Doch wegen der Kamera­überwachung konnten die Beamten rechtzeitig eingreifen.

Marlies und Rainer Z. haben inzwischen eine neue Wohnung. Sie machen im Prozess von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Nach Angaben des Justizministeriums gibt es jährlich 1.800 Zwangsräumungen im Land. In etwa 800 Fällen wurde dabei nur das Schloss ausgewechselt. Die Zahlen blieben in den letzten Jahren nahezu konstant. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.