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Sommelier  Ein Herz für Biere

Am Sonntag ist Tag des Deutschen Bieres. Der Harzer Brauereibesitzer Norbert Gehring ist ausgebildeter Biersommelier.

Von Elisa Sowieja 23.04.2017, 02:00

Wippra l Norbert Gehring mag das Oktoberfest nicht. Das ist ganz schön seltsam für einen Mann, durch dessen Adern Pils-gelbes Blut fließt. Aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten offenbart sich: Gerade seine innige Leidenschaft für Bier ist es, die diese Abneigung erklärt. Denn beim Oktoberfest hat Bier im Grunde nur eine Funktion: Es hilft seinem Verwerter, sich schön einen anzuzwitschern. Welch Frevel.

Er sieht im Bier mehr. Viel mehr. Versammlungsort für Tausende Geschmacksnoten. Würdige Begleitung für ein edles Menü. Und, jawohl, sogar ein jahrtausendealtes Kulturprodukt. „Bier galt schon beim Bau der Pyramiden als Zahlungsmittel“, erzählt der Verehrer mit bedeutungsvoller Stimme. Zudem habe früher die Frau aus dem Gebräu Suppe gekocht und so die Familie ernährt. Nur, und das lässt sein Herz bluten, wird Bier heute meist doch auf Umdrehungen reduziert. Welch Oberflächlichkeit.

Gehring ist 55 Jahre alt, trägt Schnauzer, ist selbstbewusst, aber kein Angeber. Und er kennt sich aus mit Bier – nachweislich. Nicht nur, weil er seit 15 Jahren zusammen mit seinem Bruder die alte Traditionsbrauerei im Südharz-Städtchen Wippra führt. Sondern auch, weil er ausgebildeter Biersommelier ist. Rund 1500 gibt es davon deutschlandweit. Laut Absolventen-Liste des Verbandes der Diplom-Biersommeliere ist Gehring der einzige in Sachsen-Anhalt.

Für seinen Abschluss musste er zwei Wochen lang die Schulbank drücken, zur einen Hälfte in München, zur anderen in Österreich. Dort hat er Dinge gelernt, über die sonst Weinkenner philosophieren. Zum Beispiel, was man alles so aus einem Schluck Nass herausschmecken kann – Noten von Marzipan und reifer Ananas, einen schlanken Körper (wenn das Malz im Hintergrund bleibt), einen warmen Abgang (wenn man zum Schluss den Alkohol noch gut erschmeckt).

Oder Gläserkunde: Ein Pils etwa, erklärt Gehring mit viel Eifer, trinkt man nicht ohne Grund aus einem schmalen Glas: So bleibt die Kohlensäure länger erhalten und das Bier wird zuerst auf den Zungenrand gespült, wo die Rezeptoren fürs Bittere liegen. Für ein Bockbier hingegen greift man zum Kelch, damit das Geblubber schneller entweicht und das Gebräu als erstes auf die Zungenspitze zu den Rezeptoren fürs Süße fließt.

Zwei Wochen Biertrinken für ein Diplom, das klingt wie ein wahrgewordener Studententraum. Doch so feuchtfröhlich, wie man vermutet, lief‘s dort gar nicht ab, sagt der gebürtige Magdeburger: „Dort hat sich niemand betrunken. Sonst hätten wir ja gleich zum Oktoberfest fahren können.“ Da ist es wieder, das böse O-Wort. Abgesehen davon musste Gehring ja aufpassen. Zum Schluss gab‘s nämlich eine Prüfung.

Für die Ausbildung hat der Harzer ein paar Tausender hingeblättert – zuzüglich Unterkunft. Aber es war ja ein Geburtstagsgeschenk seiner Frau zum 50. „Außerdem hat sich der Kurs mehr als gelohnt“, sagt er.

Denn inzwischen experimentiert Gehring in seiner kleinen Brauerei mit Bierstilen, die er vorher nicht kannte. Zum Beispiel mit sogenanntem Barley-Wine. Das ist Bier, das man monatelang in einem Holzfass veredelt hat, in dem zuvor Wein lagerte.

Außerdem klärt er kraft seines Wissensschatzes auf. Denn den Spelunken-Ruf des Bieres, den kann und will er nicht so stehenlassen. Also organisiert der Sommelier Führungen und Verkostungen, bei denen er sein Publikum mit vielen Erklärungen in die verkannte Welt des Bieres einführt. Das kann er deshalb sehr gut, weil er sich ursprünglich mal zum Lehrer hat ausbilden lassen.

Beim Probeschluck – den gibt‘s übrigens stets in putzigen 0,1-Liter-Gläschen, und zwar ohne Ausspucken – erzählt er dann zum Beispiel, warum Bier sogar mehr Aromen hat als Wein: „Es gibt allein rund 240 Sorten Hopfen, dazu kommen 80 Hefen und rund 60 Arten von Malz. Die kann man alle miteinander kombinieren.“

Apropos kombinieren: Dem Bier wird ja nicht nur mit seinem Ruf Unrecht getan. Nein, man nutzt auch einfach sein Potenzial nicht aus, tadelt Gehring. Und liefert, damit das auch wirklich deutlich wird, gleich wieder passende Zahlen: „In der Welt gibt es 140 bis 150 Bierstile. Von den 6000 Marken in Deutschland sind aber 4000 Pilsener – also ein einziger Stil.“

Dabei könnte man hierzulande vor allem viel mehr Frauen erreichen, findet er. Die machen ja um Bier bekanntlich oft einen Bogen, weil‘s ihnen zu herb ist. Die Belgier etwa überzeugen ihre Damen mit Lambic – einem Gebräu, das mit Früchten vergoren ist. In Deutschland würde das zwar das Reinheitsgebot torpedieren. „Aber man muss ja nicht Bier draufschreiben.“

Ungenutztes Potenzial sieht Gehring auch in der Gastronomie. „In Restaurants sollte es nicht nur Wein, sondern auch Bierkarten geben.“ Bisher bietet das kaum jemand an – und wenn, dann stehen meist nur die Sorten aus eigener Produktion darauf.

Außerdem, sagt der Sommelier aus Sachsen-Anhalt, braucht‘s mehr Kellner, die sich mit Bieren auskennen. Woher soll der Gast denn sonst wissen, was zu seinem Rehrücken passt? Oder zum Dorsch? In Bayern bietet die Industrie- und Handelskammer bereits Kurse an, in denen Kellner eine Schnellbesohlung bekommen.

Bis so ein Kurs auch in Sachsen-Anhalt ankommt, wird‘s wohl noch ein Weilchen dauern. Doch Norbert Gehring hat trotzdem Hoffnung, dass sein Bier nach und nach die Würdigung erfährt, die es verdient. Das liegt einerseits an der Craft-Beer-Szene, die auch in Sachsen-Anhalt nach und nach wächst: Immer mehr Menschen setzen auf handwerklich gebrautes Bier mit ausgefallenen Geschmäckern wie Cocos oder Marone. Andererseits erfindet der Harzer immer neue Veranstaltungen, um immer mehr Einheimische und Touristen mit seiner Leidenschaft anzustecken. Zu Ostern etwa hat er ihnen zum ersten Mal ein Gourmet-Menü mit Bierbegleitung kredenzt.

Was es zu essen gab? Das handelt Gehring im Nu ab: Frühlingssuppe, Sauerbraten, Tartufo. War lecker. Als das Gespräch aber auf die Getränke kommt, da holt er wieder mit Liebe zu ausführlichen Erklärungen aus. Und erklärt. Und erklärt.

Am 2. September gibt‘s in der Wippraer Brauerei einen Verkostungsabend mit Craft Beer.