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Sportprojekt Die Multikulti-Kicker

Roter Stern Sudenburg aus Magdeburg hat es ins Finale eines Bundeswettbewerbs geschafft.

Von Elisa Sowieja 07.02.2016, 01:00

Magdeburg l Sami und Adnan wollen nicht lange quatschen. Während der eine auf der Vorderkante seines Stuhls hin- und herrutscht, bleibt der andere lieber gleich stehen. Dabei ist es hier im Vereinsheim muggelig warm. Draußen hingegen fegt ein fieser Regen übers Fußballfeld. Doch den syrischen Brüdern ist das egal: Sie wollen schnell raus und weitertrainieren. Na gut, dann gibt‘s die Fragen von der Zeitungstante eben im Turbo-Durchgang.

16 und 14, 6 und 2 – damit wären die ersten auch schon beantwortet: jene nach dem Alter der beiden und die nach der Zahl der Monate, die sie jetzt in Magdeburg leben und die sie hier trainieren. Auch die nächste Frage ist fix abgehakt: Habt ihr im Verein schon Freunde gefunden? „Klar, viele!“

Sami sagt das, als sei es selbstverständlich. Doch für einen Fußballclub wie den Roten Stern ist es etwas Besonderes, wenn die Kinder und Jugendlichen zusammenwachsen. Denn sie kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. In den sechs Kinder- und Jugend-Teams sind 30 Prozent Migranten - syrisch, serbisch, russisch, ägyptisch. Der hohe Anteil erklärt sich vor allem dadurch, dass der Verein in unmittelbarer Nähe eines Asylbewerberheims liegt. Dort spricht sich das Angebot herum.

Auf dem Fußballplatz funktioniere die Integration ganz einfach, sagt Abteilungschef Karsten Heine: „Unseren Kindern ist es egal, wer aus welchem Land kommt. Du legst den Ball in die Mitte, und dann verstehen sich alle.“

Für ihre ehrenamtliche Arbeit mit den Mulikulti-Kickern standen die Magdeburger Ehrenamtler nun im Bundesfinale für den „Großen Stern des Sports“ in Gold, ausgelobt vom Deutschen Olympischen Sportbund und den Raiffeisen-Banken. Im September hatte die Jury sie zum Regionalsieger gekürt, einen Monat später folgte der Landessieg – und damit die Qualifikation fürs Bundesfinale.

Vergangene Woche nun reiste Abteilungschef Heine mit ein paar Vereinskollegen zur großen Preisverleihung nach Berlin. Selbst die Kanzlerin war da. Allerdings überreichte die den Goldenen Stern dann doch an den Konkurrenten aus Hessen - auch für ein Flüchtlingsprojekt. Bei dem geht der Verein aktiv auf Migranten zu und bietet ihnen eine kostenlose Mitgliedschaft an. „Im ersten Moment waren wir schon enttäuscht“, sagt Heine. „Aber als das Projekt vorgestellt wurde, haben wir gemerkt, dass sie es verdienen.“

Dabei müssen sich auch die Magdeburger mit ihrem Projekt nicht verstecken. Denn die Ehrenamtler machen mehr, als Migrantenkindern beizubringen, wie man Tore schießt. Sie helfen auch den Familien beim nötigen Papierkram. Der Antrag beim Sozialamt auf Übernahme des Mitgliedsbeitrags ist noch das geringste Problem. Wenn die Kinder nicht nur mittrainieren, sondern auch in der Liga spielen wollen, wird‘s oft haarig.

Denn dafür muss man einen Antrag beim Fußballverband stellen, und der hat es in sich. „Mit den Erklärungen ist er acht Seiten lang. Für jedes Herkunftsland werden andere Unterlagen gefordert“, erzählt Lutz Schwertner. Er arbeitet beim Roten Stern als Platzwart und kümmert sich in seiner Freizeit um die Anmeldung von Kindern aus Flüchtlings- und sozial schwachen Familien.

Bei Sami und Adnan war das damals kein Problem. Seine Eltern brachten jemanden mit zum Verein, der den Antrag für sie ins Arabische übersetzte. Das sei aber die Ausnahme, sagt Schwertner. Meist muss er sich anders behelfen: „Manchmal können wir den Kindern irgendwie auf Englisch klarmachen, welche Unterlagen wir von den Eltern brauchen. Teils schreiben wir ihnen auch mit einem Übersetzungsprogramm im Internet einen Brief auf Arabisch oder Serbisch.“ Und zur Not springt Juliana Gombe ein. Die Integrationshelferin aus Angola spricht sechs Sprachen und stattet Kicker-Eltern auch mal einen Besuch ab.

Die Sprache ist aber nicht das einzige Problem. Manche Familien sind ohne Papiere nach Deutschland gekommen. Und in einigen Ländern gibt es keine Geburtsurkunden. Hinzukommt: Um sicherzustellen, dass ein Kind nicht bei zwei Nationalverbänden gemeldet ist, stellt der Deutsche Verband bei dem des Herkunftslandes einen Antrag auf Freigabe – der bleibt aber oft unbeantwortet. Für die letzten zwei Probleme, erzählt Schwertner, hat der Deutsche Fußball Bund inzwischen eine Lösung: Statt einer Geburtsurkunde wird nun auch ein Dokument der Eltern akzeptiert, auf dem das Kind mit vermerkt ist. Und kommt vier Wochen lang keine Rückmeldung vom Nationalverband, gibt‘s den Spielerpass auch so.

Der Aufwand lohnt sich nicht nur für die Flüchtlinge, sondern oft auch für den Verein. „Wir haben ein paar Jungs dabei, die einiges draufhaben“, berichtet Abteilungschef Heine stolz. „Einer, der hier angefangen hat, spielt jetzt sogar beim FCM.“

Allerdings verliert der Verein auch viele Spieler wieder: „Wenn sie vom Asylbewerberheim auf Wohnungen verteilt werden, ist ihnen der Weg zum Training oft zu weit.“

Sami und Adnan wohnen zehn Straßenbahn-Haltestellen vom Verein entfernt. Ihnen macht die Entfernung aber genauso wenig aus wie der Regen auf dem Fußballfeld.

Apropros Fußballfeld: So langsam wollen sie aber wirklich wieder raus. Immer öfter schweifen ihre Blicke in Richtung Fenster ab. Ok, dann jetzt die letzte Frage: Was lernen die zwei hier von den anderen? Sami überlegt kurz, dann sagt er in gutem Deutsch: „Wenn ich zum Beispiel frage: Wo ist der Toilette?, dann sagen sie, es heißt die Toilette.“ Und schon flitzen sie in den Regen. Der Trainier wirft Adnan eine Weste fürs Team Gelb zu, Sami geht ins Team Bunt - die einzige Unterscheidung, die es hier gibt.