1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Die Preisbremse wirkt nicht

EIL

Stromkosten Die Preisbremse wirkt nicht

Der Strom in Sachsen-Anhalt wird teurer und die Hälfte der Kunden bleibt aus Unwissenheit in zu teuren Tarifen.

Von Jens Schmidt 10.05.2017, 01:01

Magdeburg l Die von der Bundesregierung versprochene Strompreisbremse zieht vielerorts nicht. In den ersten fünf Monaten des Jahres haben acht von 13 Stadtwerken und Regionalversorgern im Norden Sachsen-Anhalts die Preise für Privathaushalte angehoben. Besonders teuer wurde es für Eon-Kunden in der Altmark. In Salzwedel stieg der Tarif innerhalb eines Jahres um fast 12 Prozent. Deutlich teurer wurde es auch für Kunden in Zerbst (8 %) und Schönebeck (fast 4  %).

In den letzten zehn Jahren sind die Preise saftig angestiegen. Ein vierköpfiger Haushalt zahlte 2007 im Mittel 760 Euro im Jahr. Jetzt sind im Schnitt 1060 Euro fällig. Größte Kostentreiber sind die EEG-Umlagen für Wind- und Solarstrom sowie die arg gestiegenen Netzkosten.

Viele Kunden schmeißen allerdings auch Geld zum Fenster raus, weil sie in viel zu teuren Tarifen stecken. „Dabei müssten sie nicht mal den Anbieter wechseln, sondern nur bei ihrem Stadtwerk vom teuren Grundversorgertarif zu einem günstigeren Familien- oder Spartarif wechseln“, sagt Energieberater Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. So kann auch eine Familie in Sachsen-Anhalt vielerorts locker einen Hunderter im Jahr sparen.

In Schönebeck etwa zahlt unsere vierköpfige Beispiel-Familie im Jahr in der Grundversorgung 1219 Euro – im Familientarif aber 1046 Euro: Schon wären 173 Euro gespart. Das Ganze kostet ein Anruf beim Stadtwerk oder ein paar Klicks auf der Internetseite.

Etwa 50 Prozent der Haushalte stecken nach Angaben der regionalen Versorger noch im teureren Grundversorgertarif. In ganz Sachsen-Anhalt sind das etwa 500.000 Haushalte. Würden alle in die günstigeren Tarife wechseln, könnten jährlich 30 bis 40 Millionen Euro Stromgeld gespart werden.

Die Städtischen Werke Magdeburg haben in diesem Jahr die Preise im ohnehin teureren Grundversorgertarif weiter angehoben – den Familien-Spartarif jedoch konstant gelassen. Und obwohl man die Kunden in Anschreiben und im Internet auf die günstigeren Alternativen hinweist, bleibt dennoch etwa die Hälfte der 150.000 Kunden im teuren Tarif hocken.

Bei vielen Stadtwerken rechnet sich der Wechsel für jeden - unabhängig vom Verbrauch. Bei manchen Anbietern wie in Blankenburg oder Haldensleben ist er für familientypische, höhere Verbräuche günstiger; dort fahren Alleinstehende mit dem Grundversorgertarif besser. Beim Stadtwerk Haldensleben gibt es neben dem Familientarif seit 2016 einen noch günstigeren: den SWH Konstant. Allerdings steht der weder auf der Internetseite des Unternehmens noch in den gängigen Preisvergleichsportalen – anders als andere Stadtwerke stellen die Haldensleber aus Konkurrenzgründen nicht all ihre Tarife und Preise ins Netz. In Haldensleben muss der Kunde direkt beim Stadtwerk nachfragen, wenn er sparen will.

Die günstigeren Tarife haben meist eine längere Laufzeit von 12 Monaten, manche auch von zwei Jahren. Beim Grundversorgertarif kann man schneller kündigen – doch wer braucht das schon? Die wenigsten haben Lust auf permanenten Anbieterwechsel.

Wer hoppen will, kann natürlich auch sein Stadtwerk verlassen und beim nicht-lokalen Stromdiscounter Energie einkaufen. Da lassen sich im Jahr oft weitere 100 Euro sparen. Aber Verbraucherschützer raten zur Vorsicht: Die meisten Billiganbieter haben im ersten Jahr ein verführerisches Lockangebot, danach wird’s nicht selten teurer als beim heimischen Stadtwerk.

Dabei geht es nicht nur um den Neukunden- oder Wechselbonus, den man nur einmalig erhält: Auch der reine Strompreis (also der Preis pro Kilowattstunde) springt bei den Discountern in den nachfolgenden Jahren oft deutlich nach oben. In den Vergleichsportalen aber steht nur der günstige Preis fürs erste Jahr. Wer also immer den günstigsten Anbieter will, muss sich darauf einstellen, jedes Jahr zu wechseln.

Die Preisschere geht bei den Regionalversorgern immer weiter auseinander. So zahlt eine vierköpfige Familie (Jahresverbrauch 3600 kWh) in Magdeburg 992 Euro im Jahr – in Blankenburg muss sie für dieselbe Leistung 1139 Euro hinblättern. Ein Unterschied von 15 Prozent. Vor zehn Jahren lag der Unterschied zwischen dem günstigsten (Staßfurt: 722 Euro) und dem teuersten (Eon Salzwedel: 793) bei nicht mal zehn Prozent.

Warum? Ein großer Kostentreiber sind die Netze und die Energiewende. Im Osten Deutschlands sind – auch wegen der vielen Windparks – hohe Investitions- und Regelkosten angefallen, die aber auf jede Kilowattstunde umgelegt werden. Hat ein Stadtwerk wenige Kunden und – vor allem kaum Großbetriebe – muss es hohe Kosten auf wenige Kilowattstunden verteilen. Das wird teuer. (Ähnlich wie beim Wasser: Je mehr wir sparen, desto höher der Kubikmeterpreis.) So versorgt Blankenburg nur 10.000 Kunden – Großunternehmen gibt es nicht. Anders sieht es im benachbarten Wernigerode aus, wo Metallverarbeiter und Brauerei deutlich mehr Strom abnehmen. Blankenburgs Stadtwerkschefin Evelyn Stolze: „Unser Aufwand ist ähnlich hoch, wir haben aber deutlich weniger Umsatz.“ Resultat: In Blankenburg zahlt unsere Beispiel-Familie 1139 Euro, in Wernigerode 995 Euro.

Bei den Netzkosten sind die Unterschiede zwischen Ost und West noch gravierender. Eine Blankenburger Familie zahlt mit ihrem Stromgeld im Jahr allein gut 300 Euro Netzentgelt. In Köln sind es 100 Euro weniger. Auch hier spielen Energiewende und Demografie eine große Rolle. Windparks und Solardächer produzieren wetterbedingt oft mehr Strom, als der mit Haushalten und Betrieben eher dünn besiedelte Osten verbrauchen kann. Dann muss Strom aus den regionalen Netzen in die Hochspannungsnetze übergeleitet werden. Das geht ins Geld. Mehr als man dachte. Als vor 15 Jahren die Ökostromproduktion angekurbelt wurde, nahm man an, die Windparks und Solardächer in den Gemeinden würden nur die lokalen Stromleitungen benötigen, um die Verbraucher in der Region zu versorgen. Doch nun muss der viele Ökostrom zu den Wirtschaftszentren geleitet werden. Und das geht nicht ohne teure Stromautobahnen.

Seit Jahren versucht die Landespolitik, Netzkosten bundesweit und gerecht auf alle zu verteilen. Die Energiewende ist schließlich eine nationale Sache. Doch ein bundesweites, einheitliches Netzentgelt ist noch nicht beschlossen, obgleich die Große Koalition in Berlin das zugesagt hatte. Das Gesetz steckt im Bundestag fest – wohl auch mit Rücksicht auf die Wähler im Westen ist wohl kein Beschluss vor der Wahl zu erwarten.

Denn: Für Westkunden würde es teurer, würde das Netzgeld vereinheitlicht. Sachsen-Anhalt will dennoch im Juni einen weiteren Vorstoß in Berlin unternehmen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) meint: „Die Benachteiligung von privaten Haushalten und Industrie im Osten durch höhere Strompreise muss beendet werden. Der Bund muss seine Zusagen endlich umsetzen.“

Ein weiterer Preistreiber ist die EEG-Umlage für Ökostrom. Nun sinken zwar auch die Öko-Vergütungssätze seit einiger Zeit, allerdings hängen noch viele Anlagen aus den goldenen Zeiten am Netz: So bekommt ein Hausbesitzer für seine Solaranlage aus dem Jahre 2007 gut 47 Cent je Kilowattstunde – und das noch bis 2027. (Zum Vergleich: Der Marktpreis an der Strombörse liegt bei gut 3 Cent.) So kommt es, dass die EEG-Gesamtausgaben mittlerweile auf 23,5 Milliarden Euro im Jahr gestiegen sind.