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Telefonseelsorge Anonyme Helfer in Lebenskrisen

Einsamkeit und psychische Erkrankungen sind die Hauptprobleme der Anrufer der Telefonseelsorge Halle. Sara Barth hört seit 25 Jahren zu.

24.04.2017, 12:22

Halle (dpa) l Sara Barth stellt die Kaffeetasse auf den Tisch. Draußen ist es dunkel, Mitternacht ist nicht mehr weit. Vor ihr auf dem Tisch das Telefon. Durchatmen. Bis zum Morgengrauen wird sie Menschen zuhören, die Probleme haben. Frauen und Männern, die einsam sind, ihren Job verloren haben oder denen ihr Leben nichts mehr wert zu sein scheint. Sie wird ein paar Minuten oder eine Stunde mit ihnen sprechen, Ratschläge geben und vielleicht auch versuchen, lenkend und mahnend auf sie einzuwirken. Auf jene Menschen, die einen Ausweg aus Lebenskrisen suchen und hoffen, ihn in der Telefonseelsorge zu finden. Bei Freiwilligen wie der 59-Jährigen, die seit 25 Jahren zuhört.

Ihr Nachtdienst für die Telefonseelsorge Halle dauert neun Stunden. Sie arbeitet gern, wenn es dunkel ist. "Probleme kennen keine Uhrzeit", sagt Barth, die eigentlich ganz anders heißt. Ihren richtigen Namen darf sie nicht nennen, auch wo Telefon und Schreibtisch stehen, muss geheim bleiben. "Das Dienstzimmer ist ein Rückzugsort. Keiner hört zu, alles bleibt dort", sagt sie.

Denn Telefonseelsorge habe nichts mit der Arbeit in einem Callcenter zu tun. Die Ehrenamtlichen laufen auch nicht zu Hause mit dem Telefon herum, während sie Essen kochen oder Wäsche waschen. "Wir betreiben Seelsorge in einem geschützten Rahmen und an einem geschützten Ort." Sehr wichtig ist Anonymität – auch zum Selbstschutz der Seelsorger, die anderen eine Stütze sein wollen.

Als Barth mit dem Freiwilligendienst am Telefon anfängt, ist sie 34 Jahre alt, in der Kirchengemeinde aktiv und familiär sozial geprägt. "Ich habe schon immer gern zugehört und geholfen", sagt sie. Wer sich mehr als ein Vierteljahrhundert lang immer wieder mit Anderen und deren Problemen auseinandersetzt, muss nicht nur kommunikativ, sondern auch psychisch belastbar sein. "Einen Teil erwirbt man sich, einen Teil hat man in sich", sagt Barth, die in Halle geboren ist und als Sekretärin arbeitet. 

Sich Probleme auf dem scheinbar antiquierten Telefonweg von der Seele zu reden, ist auch in Zeiten sozialer Netzwerke nicht aus der Mode gekommen. Doch die Probleme sind heute andere, weiß Barth aus Erfahrung. "Einsamkeit ist das Thema Nummer eins. Und psychische Erkrankungen." Sie schätzt, dass etwa jeder dritte Anrufer davon spricht, "in Behandlung" zu sein. "Als ich 1992 anfing, ging es viel um Partnerschaft und Trennung. Darüber sprechen heute nur noch wenige mit mir. Und Betrunkene rufen auch kaum noch an. Früher wollten mehr über ihre Sucht reden."

Nicht immer geht es am Telefon gesittet zu. Manche werden laut, einige sexistisch und manchmal gehen die Telefonseelsorger Scherzanrufern auf den Leim. Barth darf jederzeit das Gespräch abbrechen und auflegen. Sie sagt: "Ich habe gelernt, Grenzen zu setzen". Wie lange ein Telefonat dauert, ist nicht reglementiert. "Aber nach 30 bis 45 Minuten ist die Konzentration einfach am Ende", sagt Barth, die auch Beratung per E-Mail macht. Auch dieser Service wird von der Telefonseelsorge angeboten. In jeder Hinsicht gilt: "Man darf sich nicht verbiegen und den Leuten nach dem Mund reden." Vieles, sagt sie, kommt aus dem Bauch heraus. 

Barth ist die dienstälteste Ehrenamtliche bei der halleschen Telefonseelsorge, die in diesem Jahr 25. Geburtstag feiert. Weitere Seelsorgestellen gibt es in Magdeburg und Dessau-Roßlau. Pfarrerin Dorothee Herfurth-Rogge leitet die Telefonseelsorge Halle, in deren Dienst mehr als hundert Freiwillige stehen. "Wir haben keine Altersgrenze", sagt sie. "Unsere Telefonseelsorger sind zwischen Anfang 20 und 81 Jahre alt." Alle, so Herfurth-Rogge, haben eine seelsorgerische Haltung, sind also geübt im seelsorgerischen Gespräch. "Wir sind die Kehrseite der schnellen Welt des Internets und ihrer Netzwerke. Wir sind verschwiegen."