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Vor 100 Jahren Düstere Weihnachten in Sachsen-Anhalt

Was bewegte die Menschen im heutigen Sachsen-Anhalt vor 100 Jahren? Der Dezember 1917 brachte die vierte Weihnacht im Ersten Weltkrieg.

25.12.2017, 08:12

Magdeburg l Am ersten Adventsonntag hatte Adolf Reble die Volksstimme mit besonderer Ungeduld erwartet. Nun durchblätterte er die Zeitung. Er suchte die Anzeige für sein Juweliergeschäft in der Magdeburger Himmelreichstraße. Auf der letzten von 14 Seiten der Sonntagsausgabe entdeckte er sie. 

Alles schien genau so, wie er es gestern am Telefon mit Willi Plumbohn, dem Inseratenchef der Volksstimme, besprochen hatte. Sein Angebot an seine Kundschaft, bei ihm „Künstlerschmuck, Juwelen, Gold- und Silberwaren" als Weihnachtsgeschenke zu erwerben, war nicht zu übersehen.

Zufrieden wollte der Juwelier die Zeitung wieder zusammenfalten, als sein Blick auf ein Inserat fiel, das genau über seinem stand: „Was hilft dir alles Gold und Geld, wenn Deutschland drob in Stücke fällt" Hilf, deutsche Frau, denk nicht an Tand, es gilt ja unser Vaterland", hatte die in der Münzstraße ansässige Goldaufkaufstelle gedichtet. Rebles Gesicht erstarrte. Rund 500 Mark hatte er sich das Inserat kosten lassen. Nun fühlte er sich verhöhnt. Am Montag würde er ein ernstes Wort mit Herrn Plumbohn reden, nahm er sich vor.

Nicht die einzige unliebsame Bescherung, die Volksstimme und andere Zeitungen der Provinz ihren Lesern und Anzeigenkunden vor Weihnachten bereiteten. Am zweiten Adventssonntag kündigten 62 Blätter – von der Akener Zeitung bis zum Weferlinger Anzeiger – zum 1. Januar 1918 höhere Inseraten- und Abonnementspreise an. „Es werden durch diese Erhöhungen die den Verlegern entstandenen Mehrkosten trotzdem nicht annähernd gedeckt", baten sie um Verständnis: „In Friedenszeit bezahlten wir für 100 Kilogramm Papier 22,40 Mark, ... vom 1. Januar 1918 an 60 Mark."

In der Harzstadt Thale wurde noch anders gehandelt. „Die beiden hiesigen Zeitungen haben auf behördliche Anordnung ihre Betriebe vereinigen müssen", berichtete die Volksstimme zwei Tage vor Heiligabend, nicht, ohne hinzuzufügen: „Die Redaktionen der beiden Zeitungen werden hoffentlich ... nicht in schwere Konflikte geraten."

Es war kalt geworden.  Unmittelbar vor Weihnachten stürzte die Quecksilbersäule des Thermometers auf minus acht Grad. „Vor dem Kriege sah man nach einem solchen Kältemerkmal kaum hinaus", erinnert die Volksstimme an bessere Zeiten. „Da wurden einfach ein paar Kohlensteine mehr angelegt... Wer heute durch verstärktes Heizen der plötzlich eintretetenden Kälte Herr werden will, läuft Gefahr, eines schönen Tages kein Heizmaterial mehr zu haben."

„Not kennt kein Gebot", meint die Redaktion und schildert einen Fall aus Gardelegen. Dort seien mehrfach Kohlen von Transportzügen für die Gasanstalt entwendet worden. Schließlich fand die Polizei bei einer Frau drei Zentner Steinkohle, die aus diesen Transporten stammen sollten. Die Beschuldigte gestand, dass sie gemeinsam mit einer anderen Frau die von den Waggons heruntergefallenen Kohlen stückweise aufgehoben und nach Hause getragen hatte. Das sozialdemokratische Blatt äußert Verständnis dafür, dass „notleidende Familien auf Abwege geraten". Statt nach solchen Kleinigkeiten sollte man lieber nach den großen Spitzbuben suchen.

Andere Haushalte in Gardelegen bekamen kurz vor Weihnachten Ärger mit der städtischen Gasanstalt. Bei einer Kontrolle zeigten viele Gasuhren mehr Verbrauch des meist zur Beleuchtung genutzten Gases an als erlaubt war. Nun musste nicht nur nachbezahlt, sondern auch eine Strafe von sechs Mark erstattet werden. Und im Wiederholungsfall drohte eine Sperre der Gaszufuhr.

Die Betroffenen, meinte die Volksstimme verständnisvoll, würden „gewiß nicht zuviel Gas verbrauchen, wenn sie genügend Petroleum erhielten".

Magdeburgs Stadtväter waren bemüht, den elektrischen Stromverbrauch einzudämmen. „Besonders sind in Privaträumen von einem Beleuchtungskörper mit mehreren  Lampen mindestens die Hälfte, mit mehr als 6 Lampen mindestens 3/5 der Lampen herauszuschrauben", ordneten sie an. Lampen mit einem Stromverbrauch von mehr als 50 Watt durften nicht mehr verwendet werden. An den Nachmittagen mussten die Fahrstühle zeitweilig stillgelegt werden. Nur mit diesen Einschränkungen sei es möglich, die Ladenöffnungszeiten vor Weihnachten zu verlängern, argumentierte der Magistrat.

Kurz vor dem Fest beriefen Polizeipräsident und Magistrat ehrenamtliche Kontrolleure. Ihre Aufgabe sollte es sein, in Verkaufsstellen, Gast- und Schankwirtschaften, in Anstalten und Privathäusern „die Einhaltung der Verordnungen über Kohlen- und Lichtersparnis" zu prüfen.

Auch die für die weihnachtliche Stimmung schier unverzichtbaren Kerzen gab es kaum. „Der Konsumverein verkaufte kürzlich recht ansehnliche große Lichte für 25 Pfg. das Stück", hieß es in der Volksstimme. Allerdings hätte jedes Mitglied nur ein Licht erhalten. In einem anderen Geschäft hätten Kerzen gleicher Größe 75 Pfennig pro Stück gekostet und ein paar Tage später sogar 1,50 Mark.

Wie im Jahr zuvor drückten sich  kurz vor Weihnachten am Schaufenster des Kaufhauses Palis viele Mädchen die Nase platt. Hinter der Scheibe war auch zur vierten Kriegsweihnacht wieder ein Puppenhaus aufgebaut worden. Das Objekt der Begierde für viele kleine Magdeburgerinnen sollte zugunsten des Säuglingsheimes versteigert werden.

Doch zahlreiche Wünsche blieben unerfüllt. In den meisten Familien zeigte der Gabentisch am Heiligabend Lücken. Es fehlten Süßigkeiten, oft auch Spielwaren. Die waren  sehr teuer geworden. Auch das Buchangebot litt am Papiermangel.

Die Volksstimme-Buchhandlung  in der Münzstraße hatte immerhin ein paar Klassiker-Ausgaben aus Friedenszeiten für fünf Mark, ein Blumenmärchen für 1,50 Mark und eine bronzene Bebel-Figur zu fünf Mark angeboten. Im Warenhaus Wittkowski am Breiten Weg gab es Eisenbahnen für 3,25 Mark, Dampfmaschinen zu 8,75 Mark oder Luftgewehre zu 11,25 Mark.

Am 23. Dezember eröffnete im Magdeburger Fürstenhof die vorab in der Presse gerügte Kriegs-Luftfahrt-Ausstellung. Sie bescherte erst einmal Arbeit. Die Veranstalter hatten noch vor wenigen Tagen Personal gesucht: Büffetiers und Büffetfräuleins, Buchhalterin und Kassiererin, Kellner und Kellnerinnen, Hausdiener, Mädchen für alles, Garderoben- und Toilettenfrauen.

Zwar sollte – „soweit es geht" - an Licht und Heizung gespart werden, dennoch war es in den Ausstellungsräumen wärmer und heller als in mancher Weihnachtsstube. In Spitzenzeiten kamen täglich mehr als 6000 Besucher.

Auch sonst wurde das Vergnügen wieder zur Stiefschwester der Sorge. Die Theater - im Stadttheater gab es „Aschenbrödel" und „Aida" –, das Gastspiel des Circus Corty-Althoff im Circus Blumenfeld oder die Gaststätten waren immer gut besucht. 

Und manchmal wird Verzweiflung in Zeiten wie Weihnachten bedrückender empfunden.  Und auswegloser. In Westerhausen bei Quedlinburg fanden Nachbarn am dritten Adventssonntag die junge Frau Klinder tot in ihrer Wohnung,. Sie hatte sich und ihre beiden Mädchen von vier und acht Jahren erhängt. Der Mann erfuhr davon an der Front. Bereits ein paar Tage zuvor hatte sich in Westeregeln der Lehrer B. mit seinem Jagdgewehr erschossen. Am 9. Dezember vergiftete sich die verwitwete Luise Bley auf dem Magdeburger Südfriedhof am Grab ihres Sohnes mit Zyankali. Und eine in der Magdeburger Alten Elbe entdeckte weibliche Leiche stellte sich nach längeren Untersuchungen als eine in der Agnetenstraße wohnhaft gewesene Selbstmörderin heraus.

Ein Tod machte in der Adventszeit trotz des tausendfachen Sterbens an der Front besonders betroffen.  Fritz Bergholz aus der Westerhüser Straße in Magdeburg hatte seinen Freunden die im elterlichen Garten aus Angst vor Dieben ausgelegte Selbstschussanlage zeigen wollen. Ein Schuss ging los und tötete den Zehnjährigen  auf der Stelle.

Dann war 1917 zu Ende. Wieder folgte einem Kriegsjahr das nächste. Anders als in Friedenszeiten war es zu Silvester ruhig auf den Straßen, trotz gefüllter Gasthäuser.

Wie üblich grüßten Geschäftsleute zum Jahreswechsel per Zeitungsinserat ihre Kundschaft. Der Burger Obst- und Südfruchthändler Paul Huhk und Frau sprachen in der Volksstimme vielen aus dem Herzen: Möge das neue Jahr bald einen gesegneten Frieden bringen.