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Wahlaffäre Stendal Anklage in 300 Fällen

Die Staatsanwaltschaft klagt den ehemaligen Stendaler CDU-Stadtrat Holger Gebhardt wegen Urkunden- und Wahlfälschung in 300 Fällen an.

25.10.2016, 23:01

Stendal l Sachsen-Anhalts bislang größter Wahlskandal wird in einem Mammutprozess verhandelt. Allein 162 Zeugen bieten die Strafverfolger für die 300 Straftaten auf, die sie dem Ex-Kommunalpolitiker zur Last legen. Die Strafermittler gehen von 960 gefälschten Stimmen bei der Kommunalwahl im Mai 2014 aus.

Ihr Vorwurf: Gebhardt soll für die Kommunalwahl im Mai 2014 insgesamt 140 Briefwahlvollmachten gefälscht haben. In 20 Fällen soll er zwar Vollmachten von Vollmachtgebern erhalten, deren Wahlunterlagen dann jedoch selbst ausgefüllt haben.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Gebhardt so in 160 Fällen Briefwahlunterlagen gefälscht hat, erklärt ihr Sprecher Thomas Kramer auf Anfrage. Da bei der Kommunalwahl je drei Stimmen für die Stadtrats- und Kreistagswahl zu vergeben waren, wären demnach von ihm insgesamt 960 Stimmen gefälscht worden.

Gebhardt nutzte dabei ein Netzwerk aus Familie, Bekannten und der CDU-Kreisgeschäftsstelle. Insgesamt elf Personen holten für ihn die 160 Wahlunterlagen im Stendaler Rathaus ab – und verstießen damit gegen die Kommunalwahlordnung, wonach eine Person nicht mehr als vier Vollmachten einreichen darf.

Die Staatsanwaltschaft hat die Verfahren gegen diese elf – darunter neben CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel und Kreisgeschäftsführerin Yvette Below auch Gebhardts Lebensgefährtin Conny B. – jedoch eingestellt. Man habe, so Kramer, nicht mit „der notwendigen Sicherheit“ nachweisen können, dass sie von der Fälschung der Vollmachten wussten und dass die Wahlunterlagen dann auch gefälscht worden sind.

Im Fall von Antje M. verbinden die Strafverfolger die Einstellung jedoch mit einer Auflage: Die Geschäftsfrau aus dem westlichen Teil des Landkreises muss 1000 Euro an das Stendaler Tierheim zahlen. M. hat demnach eine ihrer Mitarbeiterinnen zu einer Falschaussage gegenüber Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt angestiftet. Gebhardt und M. hatten nach Bekanntwerden der ersten gefälschten Vollmacht eine Legende erfunden, um Kleefeldt von einer Strafanzeige abzubringen – letztlich erfolglos.

Nach Volksstimme-Informationen hat Gebhardt dafür auch 100 Euro an die Mitarbeiterin gezahlt.

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf die Befragung von rund 250 Zeugen und die Auswertung von bei mehreren Hausdurchsuchungen „in erheblichem Umfang“ sichergestellten elektronischen Speichermedien sowie weiterer Dokumente. Die Ermittlungsakten umfassen fast 3000 Seiten.

Wie es heißt, hat sich Gebhardt bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Mit dem Beginn des Prozesses vor der Ersten Strafkammer des Stendaler Landgerichts ist 2017 frühestens Mitte des ersten Halbjahres zu rechnen.

 

Urkunden- und Wahlfälschungen können mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Justizkreise davon aus, dass Holger Gebhardt eine Freiheitsstrafe auf Bewährung erhalten könnte, sofern er die Taten gesteht

 

Die politische Aufarbeitung der Wahlaffäre wird hingegen auch außerhalb des Gerichtssaal weitergehen. Noch immer sind die Rollen maßgeblicher Christdemokraten in Stadt und Landkreis sowie einzelne Umstände der Wahlaffäre ungeklärt. So musste im Sommer der Stendaler CDU-Politiker Hardy Peter Güssau bereits vom Amt des Landtagspräsidenten zurücktreten.