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Weihnachten Ein sorgenvolles Fest

Seit 1914 tobte Krieg in Europa. Wir berichten über diese Zeit im heutigen Sachsen-Anhalt. Heute: Dezember 1916.

Von Manfred Zander 26.12.2016, 08:42

Magdeburg l Wie in jedem Jahr kündigten sich die ersten weihnachtlichen Vorboten bereits lange vor der Adventszeit an. Die Schaufenster der Kaufhäuser und Geschäfte in den Innenstädten begannen vorweihnachtlich zu glitzern. Das Magdeburger Warenhaus Wittkowski brachte auch Kinderaugen zum Leuchten, als es Anfang Dezember im zweiten Stockwerk eine Spielwaren-Ausstellung eröffnete.

„Wir haben ganz entzückende Neuheiten ausgestellt“, versprach Wittkowski in den Zeitungen der Provinzhauptstadt den Besuchern. Das größte Gedränge im Kaufhaus am Breiten Weg 67 herrschte sonnabends, sonntags, montags und dienstags. Dann, an „Wittkowskis 48 Pfennig Tagen“, gab es vieles zum Einheitspreis, ganz gleich, ob ein großer Karton mit Blechsoldaten, ein extra starker Säbel, ein feldgrauer Soldatenhelm, ein Stickkasten mit vielen Mustern, ein Puppen-Waschtisch oder eine Drehorgel.

Für die Zeitungsverlage konnte das Weihnachtsgeschäft gar nicht früh genug einsetzen. Willi Plumbohm, Anzeigenchef der Volksstimme, hatte bereits Mitte November die erste Weihnachtsanzeige an die Christbaumschmuckfabrik C. Siebert in der Karlstraße 4 verkauft. Mehrfach in den folgenden Wochen bot Siebert nun in der Volksstimme „für unsere tapferen Truppen ... zusammenlegbare Weihnachtsbäume u. Zweige aller Art“ an.

Wer Angehörigen Weihnachtspakete an die Front schicken wollte, durfte allerdings nicht zu lange warten. „Für die in Siebenbürgen und auf dem Balkan kämpfenden Truppen bestimmte Weihnachtspakete müssen bis zum ersten Dezember bei dem zuständigen Sammelpaketamt eintreffen“, mahnte die Volksstimme schon im November. Die Front im Westen war näher.

Da erschien es seltsam, dass die monatliche Haussammlung des Mobilmachungsausschusses vom Roten Kreuz erst am 16. Dezember stattfand. „Mit Herz und Hand wollen wir derer gedenken, deren unermüdlicher Tapferkeit wir es verdanken, daß wir zum dritten Mal in Kriegszeiten das Weihnachtsfest in Ruhe und Sicherheit begehen können“, warb der Ausschuss um Spenden. Aber nicht nur er. Für Buckauer Krieger sammelte die Sankt-Gertrauden-Gemeinde im Magdeburger Industrievorort bis Dezember 3000 Mark. „Damit kein Gemeindemitglied übergangen wird, werden die Angehörigen der Krieger gebeten, die Adressen an den Vorsitzenden des Gemeindekirchenrates gelangen zu lassen“, bat Oberpfarrer Rentz in einem Zeitungsbeitrag.

In Olvenstedt wurden Gelder für die Kriegerfamilien gesammelt. „An die Einwohner richten wir das Ersuchen, sich je nach den Verhältnissen an dieser Sammlung zu beteiligen“, bat die Gemeinde. In Burg sammelten die Gewerkschaften Geld für Kinder der an der Front gefallenen Mitglieder. Die Firma Tack & Co. spendete 3000 Mark. Gleich drei der früheren Mitarbeiter des Schuhherstellers waren in den ersten Dezembertagen gefallen.

Die dritte Kriegsweihnacht war für die meisten Familien ein sorgenvolles Fest. „In diesem Jahr fällt das Schenken schwerer“, schrieb die Volksstimme einen Tag vor dem Heiligen Abend. Was sonst alltäglich war, fehlte in vielen Familien: Zuckersachen, Äpfel und Nüsse, selbst der Lichterglanz eines Weihnachtsbaumes.

Zum Beginn des Monats waren die Vorräte an Kartoffeln und Kohlrüben beschlagnahmt und ihre Rationen verringert worden, die Kohlen verteuert, Rübensaftverkauf verboten, die Fleischrationen herabgesetzt und Weißkohl verteuert. Kurz vor dem Fest wurde der Verkauf von Sauerkraut von der zuständigen Kriegsgesellschaft untersagt, weil die Versorgung der kämpfenden Truppe noch nicht abgesichert war. Je näher Weihnachten rückte, umso häufiger ließ die Not den einen oder anderen Recht und Gesetz vergessen. Auch ein Auszug aus dem Magdeburger Polizeibericht für die ersten Dezembertage offenbart diese Entwicklung: „Gestohlen wurden in der Nacht zum 2. d. M. aus einem verschlossenen Stalle eines Grundstücks am Ottersleber Weg drei weiße Enten und drei Gänse, die an Ort und Stelle durch Abschneiden der Köpfe getötet worden sind (auf Ermittlung der Diebe sind 50 Mark Belohnung ausgesetzt); in der Nacht zum 3. aus einem verschlossenen Fabrikraum in der Großen Diesdorfer Straße sieben verschiedenartige Kaninchen; aus einem verschlossenen Stalle, der sich in einer Gartenparzelle an der Sudenburger Wuhne befindet, zwei schwarze Hühner, aus einem verschlossenen Stalle am Lorenzweg zwölf Hühner; aus einem verschlossenen Stalle in der Wielandstraße elf verschiedene Kaninchen; in der Nacht zum 4. aus einer verschlossenen Wohnung in der Kruppstraße ... eine geschlachtete Ente, Schmalz, Rotwürste, Speck und eine Sparbüchse mit 6 Mark.“

Schlimmeres ereignete sich an einem Sonntagabend im Jerichower Land. Am 10. Dezember machte sich der Bauarbeiter Wilhelm Ulrich aus Burg auf den Weg in die Feldmark bei Groß Lübars. In einem Sack hatte er ein Frettchen dabei. Mit dessen Hilfe wollte er ein paar Wildkaninchen fangen. Das war Wildern. Ulrich hatte Pech. Ein 15-jähriger Forstlehrling aus Wüstenjerichow überraschte ihn beim Frettieren. Ulrich war unbewaffnet, wehrte sich aber gegen die Festnahme. Es kam zum Handgemenge. Schließlich schoss der Jugendliche auf den Wilderer. Der war sofort tot. Er hinterließ eine Frau und sieben Kinder.

Das Wetter passte sich der Stimmung an. Weihnachten begann kalt und stürmisch. Wo das Geld reichte, lagen neben Spielzeug auch Bücher und Platten unter dem Weihnachtsbaum. „Die kleinen Mädchen müsst ihr fragen“, war der Schlager der Saison. Viel gekauft und verschenkt wurde auch „Die Ballade von der Marmelade“ des Gardelegeners Otto Reutter. Gabriel Ferrys „Der Waldläufer“ für Jungen und „Schön Suschen“ von L. Fredrich für Mädchen verliehen dem weihnachtlichen Gabentisch zeitgemäße literarische Tupfer.

Am ersten Feiertag lud in Magdeburg der Zirkus Blumenfeld zu einem Gastspiel des Hamburger Tierparks Hagenbeck ein. In den Lichtspieltheatern liefen „Das Liebes Abc“ und „Menschen, die den Weg verloren“, jeweils mit der unvergleichlichen Asta Nielsen in der Hauptrolle.

Im Magdeburger Wilhelm Theater gab es „Aschenbrödel“ und im Stadttheater Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Im Großen Saal des „Fürstenhofs“ spielte das Städtische Orchester unter Stabführung von Kapellmeister Dr. Walter Rabl auf. Ein Militär-Konzert erklang in Freddrichs Festsälen und im Magdeburger Dom sang der Königliche Hof- und Domchor aus Berlin. In Schüttes Gasthaus in der Prälatenstraße unterhielt man sich beim Preis-Skat und im neu eingerichteten Café Hammonia am Breiten Weg beim Kaffeekränzchen.

Bald war Weihnachten vorbei und der meist geäußerte Weihnachtswunsch blieb unerfüllt. Am 12. Dezember hatte die Reichsregierung den Kriegsgegnern ein Friedensangebot gemacht. Sieben Tage später wurde es vom britischen Premier David Lloyd George abgelehnt.

Er versprach Kampf bis zum bitteren Ende. Das sollte noch fast zwei Jahre auf sich warten lassen.