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Wettkampf mit Kuh Ein Herz für Rinder

Rinderzüchter zu sein, ist kein typisches Hobby für junge Leute. Und doch ist manches Landkind nichts lieber als das. Ein Besuch in Bismark.

Von Alexander Walter 05.03.2017, 00:01

Bismark l Lisa Sophie Vorreier kann ihr Glück noch kaum fassen. Gerade ist sie mit ihrem Bullen beste Landes-Jungzüchterin der Altersklasse über 15 Jahre geworden. Jetzt sitzt die Auszubildende mit ihrer Chefin auf einem Heuballen bei den Tieren und köpft eine Flasche Sekt. „Ich bin total überrascht, das hätte ich nie erwartet“, sagt sie.

Zwei Stunden zuvor ist Lisa noch eine von 33 jungen Startern aus Sachsen-Anhalt, die sich am Donnerstag beim Jungzüchterwettbewerb der Rinderallianz im altmärkischen Bismark präsentieren. Der Kontest ist Teil der 25. Fleischrindertage der Züchtervereinigung der Länder Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Tage lang ist das 3000-Einwohner-Städtchen damit Mekka der Rinderzüchter im Nordosten Deutschlands.

Durch die Wettkampfhalle an der sonst tristen Büster Straße weht an diesem Abend ein Hauch von mittlerem Westen. Bauern mit Basecaps und Cowboy-Hüten lehnen sich auf die Geländer um die Arena. Zum schweren Stallduft gibt‘s Bier, Kaffee und Kuchen. Die Stimmung ist fröhlich. Aus Lautsprechern röhrt AC/DCs „Highway to hell“. Höhepunkt der Fleischrindertage war am Nachmittag die sogenannte Körung der Jung-Bullen. Jetzt am frühen Abend sind die Nachwuchszüchter dran. Dabei wird allerdings nicht etwa die schönste Kuh prämiert. Gesucht wird vielmehr der begabteste Nachwuchs-Tiervorführer.

Vorm Wettkampf schwankt die Stimmung hinten an den Boxen zwischen Hektik und Anspannung. Jugendliche in feinem Zwirn striegeln ihre Tiere, gleich muss jede Strähne sitzen.

Auch Jamie Lynn Dressel aus Ihleburg (Jerichower Land) streicht über das Fell ihrer Färse. Das Mädchen tritt in der Altersklassse der 7- bis 14-Jährigen an. Vorm Wettkampf spricht sie der hellbraunen Hurricane gut zu. „Wir sind ein perfektes Team“, sagt sie über sich und ihre Gefährtin. Seit November haben beide für diesen Tag geübt.

Dort, wo Jamie Lynn herkommt, machen es viele Jugendliche ähnlich. Auf dem Landgut Parchau bei Burg gibt es fast 15 Kinder, die sich um Rinder kümmern. „Wann immer ich kann, bin ich im Stall“, erzählt Jamie mit leuchtenden Augen. Ihr Hobby ist alles. „Schule mach ich nebenbei“, sagt sie. Doch warum geht man als Teenager ausgerechnet in den Kuhstall? „Na, weil wir Dorfkinder sind“, antwortet Jamie verwundert und rüttelt am Halsband ihrer Kuh. „Man ist viel draußen und kommt rum“, sagt sie lächelnd. Dann muss sie aber raus, der Wettkampf beginnt.

Nur Augenblicke später stehen Jamie und Hurricane in der Arena. Vor den Augen von Preisrichter Jannik Kastens geht es darum, das Tier „optimal zu präsentieren“. Konkret heißt das: Jamie und Hurricane müssen ein harmonisches Paar bilden. Die Kuh muss sich richtig aufstellen, wenn es der Preisrichter verlangt.

Dass das ganz und gar keine einfache Sache ist, zeigt sich bei anderen. Eine Kuh ist auch mit Halfter schließlich kein Pony. Mancher Jungzüchter wird von seinem Rind durch die Arena gezogen. Andere Tiere bleiben lieber zum Fressen an Grünpflanzen stehen. Besonders viel Pech hat die kleine Julia Kopecki. Ihr kräftiger Bulle tritt ihr mit seinen Klauen auf den Fuß. Noch beim Vorführen fließen die Tränen. Doch das gehört für Jungzüchter dazu.

Bei Jamie und Hurricane dagegen stimmt in dieser Runde alles. „Man sieht einfach, dass sie Freude haben“, sagt Preisrichter Kasten bei Auswertung. Jamie strahlt, sie hat den Zwischenausscheid gewonnen. Als Dank bekommt Hurricane einen dicken Knutscher auf den Kopf.

Zurück an den Boxen gerät Jamie Lynn ins Schwärmen: „Die Harmonie zwischen mir und meinem Tier ist so groß, ich krieg sie immer in den Griff.“ Aufgeregt vorm Finale? Nein, das ist die 14-Jährige nicht. „Ich kann verlieren oder gewinnen“, sagt sie. „Eigentlich bin ich entspannt.“

Während Jamie ihre Färse aufs Finale einstimmt, bleibt Zeit für ein Gespräch mit der Siegerin vom Anfang. Wie lange hat sich Lisa Sophie Vorreier auf den Wettkampf vorbereitet? „Gar nicht“, sagt die 19-Jährige. „Entweder es läuft oder eben nicht.“

Wie Jamie Lynn lebt aber auch Lisa-Sophie für die Tiere. Aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof in Aulosen im nördlichsten Zipfel Sachsen-Anhalts. Derzeit lässt sie sich zur Landwirtin ausbilden. „Wenn ich auf einem Trecker sitze, ist der Tag ein guter Tag für mich“, sagt sie.

Es sind Sätze, die, von jungen Leuten ausgesprochen, merkwürdig aus der Zeit gefallen klingen. Und doch sind sie auf dem Land offenbar verbreiteter als gedacht. Jessica Pionke von der ausrichtenden Jungzüchterallianz gefallen solche Einstellungen. Ihr Verein will mehr Kinder für Landwirtschaft und Tierzucht begeistern.

Der Verein ist dabei erstaunlich aktiv. Seinen Mitgliedern bietet er Betriebsbesuche, Fahrten und Intensiv-Übungstage mit Tieren an. Bei manchem Landkind scheint er damit einen Nerv zu treffen. 200 Mitglieder hat der Verein in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern schon gewonnen. „Häufig kommen auch Kinder, die vorher gar nichts mit Landwirtschaft zu tun hatten“, sagt Pionke.

Auch Jamie Lynn stammt nicht von einem Bauernhof. Und doch steht sie jetzt in Bismark mit Hurricane im Finale. Preisrichter Kastens macht es besonders spannend. Immer wieder lässt er die Jungzüchter neue Runden drehen.

Als am Ende der Sieger feststeht, lächelt Jamie Lynn nicht. Diesmal muss sie sich einem Besseren geschlagen geben. „Ich habe Hurricane am Hals gezogen“, sagt sie hinterher. So etwas sieht der Preisrichter nicht so gern.“ Dass sie enttäuscht ist, leugnet Jamie Lynn nicht. Aber sie wird auch nicht aufgeben. Nächstes Jahr gibt es einen neuen Wettkampf, sagt sie. „Dann werde ich es garantiert besser machen“, so Jamie. – Ein echtes Landkind eben.