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Schule Ein Karton voller Zeitzeugnisse

Der Abiturjahrgang 1956 organisierte regelmäßige Klassentreffen in Barby. Jetzt wurde deren Korrespondenz dem Stadtarchiv übergeben.

Von Thomas Linßner 01.12.2016, 19:04

Barby l Rüdiger Uhlmann hatte ganz schön zu schleppen, um den Karton mit Unterlagen ins Bürgermeisterzimmer zu tragen. Darin enthalten sind Ringordner zu Klassentreffen mit Rundbriefen und umfangreichem Briefwechsel. Auch Fotos findet man viele. Von früher, aus den 50er Jahren und halbwegs aktuelle.

„Wir haben zwischen 1997 und 2016 alle zwei Jahre ein Klassentreffen in Barby gemacht“, erklärt Rüdiger Uhlmann. Das „diamantene Abitur“ feierte die Gemeinschaft im vergangenen Sommer. Doch jetzt soll Schluss sein. Schließlich gehen die ehemaligen Oberschüler auf die 80 zu und wohnen verstreut in allen Teilen Deutschlands.

Alle organisatorischen Fäden liefen in all den Jahren bei Dr. Peter Liebs zusammen, der an der Berliner Akademie der Wissenschaften tätig war und in Groß Rosenburg aufwuchs. Er war auch Initiator der Treffen.

Weil es einigen Damen und Herren der Geburtsjahrgänge 1938/39 zunehmend schwerer fällt, alle zwei Jahre nach Barby zu reisen, soll 2016 als letztes Treffen in die Geschichte eingehen. Peter Liebs kam zu dem Schluss: Die Unterlagen sind am besten im Stadtarchiv aufgehoben, die sein Klassenkamerad Rüdiger Uhlmann nun übergab. Soweit die Vorgeschichte dazu.

Bürgermeister Jens Strube begrüßte diese Entscheidung, da die Ringordner ein Stück Barbyer und wohl auch deutsche Zeitgeschichte widerspiegeln.

Es sind solche Sätze in der Korrespondenz, die das unterstreichen: „Gleichfalls fehlte uns noch die Rückmeldung von ‚Minna‘, der Englischlehrerin ..., die unserer sozialistischen DDR damals ja so schnöde den Rücken gekehrt hatte. Das sie sich aber melden würde, darüber bestand kein Zweifel, schließlich war sie es ja, die uns gutes Benehmen lehrte ...“

Die Oberschule war für die Stadt ein fester Programmpunkt bei öffentlichen Veranstaltungen, ob das nun zum 1. Mai war oder einer Ehrenwache zu Stalins Tod 1953. Viele Fotos belegen das. Die jungen Leute sind bei Theater-, Chor- oder Volkstanzaufführungen zu sehen oder wie sie im FDJ-Hemd mit dem Luftgewehr auf dem Rücken marschieren. Ihre Generation spricht noch heute von der „Kulturscheune“, wenn von der „Kulturhalle“ die Rede ist. Was nicht abwertend gemeint ist: Denn Oberschüler waren es hauptsächlich, die 1952/53 eine alte Scheune zur Schulaula umbauen halfen.

Viele der Jugendlichen hatten traumatische Kindheitserlebnisse hinter sich: Bombardements der Heimatstädte, Luftschutzkeller, brennende Häuser, Flucht und Vertreibung, Hunger. „Es gab Waisen und Halbwaisen unter uns. Ein Schüler musste mit ansehen, wie Vater und Bruder erschossen wurden“, schreibt Peter Liebs in seinen Erinnerungen.

Die Klassentreffen und Korrespondenzen dazu reflektieren aber auch Lebenswege, die „nach Barby“ ihren Lauf nahmen. So schreibt eine Schülerin, die in der DDR begonnen hatte, Medizin zu studieren und in den Westen gegangen war: „Ich hatte mir mein Leben eigentlich anders vorgestellt.“ Ihr Mann, mit dem sie „glücklich verkuppelt wurde“ war Direktor eines der größten bundesdeutschen Baukonzerne. „Der Vorstand legte mir nahe, der Kinder wegen zuhause zu bleiben und dann die Betreuung von Gästen im In- und Ausland zu übernehmen.“ Ein westdeutsches Rollenbild der Frau, das für die 60er Jahre typisch war.

Bis 1962 bestand in Barby die (Erweiterte) Oberschule (später EOS) „Friedrich Engels“, deren letzter Direktor Musiklehrer Otto Brückner war. Sie befand sich auf dem Gelände von Marienstift (heute Awo-Pflegeheim) und Edelhof.

Die Schule besaß ein Internat, in dem auswärtige Schüler untergebracht waren. Das Barbyer Bildungswesen hatte einen überregional guten Ruf. Die Schüler kamen auch aus den Landkreisen Zerbst oder Bernburg und sogar aus Mecklenburg oder Sachsen. Die Barbyer Bildungstradition wurde im preußischen Lehrerseminar begründet, das in den 1920er Jahren zur Herzog-Heinrich-Schule wurde und im Schloss untergebracht war.

Nach Schließung der Oberschule übernahm die Marktschule den Namen „Friedrich Engels“, die ihn bis zur Wende behielt.

Nach der diamantenen Abi-Feier im Juni 2016 sprach Peter Liebs vom „Zuendegehen der Ära Klassentreffen“. Ein Umstand, der nicht traurig stimmen sollte, wie er sagte. „Unser gegenseitiges Interesse aneinander blieb bestehen. Wir trafen uns 14-mal und hatten uns noch immer was zu sagen.“