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Kegeln Die Zerbster sind besser als die Bayern

Kegeln wird in Zerbst groß geschrieben. Der SKV Rot-Weiß Zerbst ist dabei sogar erfolgreicher als der FC Bayern München.

19.11.2015, 23:01

Zerbst l In den vergangenen Jahren hat der FC Bayern München den deutschen Fußball wie kein anderer Verein dominiert. Zwischendurch gab es zwar eine Phase, als Borussia Dortmund stärker schien, doch diese haben die Männer von der Säbener Straße auch überlebt.

In der deutschen 120er-Kegelszene ist es ganz ähnlich. Nur, dass es eben keine Phase gab, wo eine andere Mannschaft mal Meister wurde oder ernsthaft die Vormachtstellung des SKV Rot-Weiß Zerbst in der Bundesrepublik gefährdete. Haben die Münchener Fußballer beispielsweise seit 2003 sieben deutsche Meisterschaften auf ihren Visitenkarten stehen, übertreffen es die Zerbster Kegler mit zehn. Auch einen Titel in der Champions League haben die Sachsen-Anhalter den Bayern in diesem Zeitraum voraus. Und im Weltpokal so oder so. Den hat der deutsche Fußballrekordmeister (inklusive der Fifa-Klub-WM) „nur“ dreimal gewinnen können. Die Rot-Weißen aus dem Fläming jedoch bereits sechsmal seit 2003. Zweite und dritte Plätze sind gar nicht mit einberechnet.

Warum taucht immer 2003 als Parameter auf? Weil es den SKV erst seitdem in der Bundesliga gibt. „Wir haben uns 1999 ausgegründet“, blickt Präsident Lothar Müller zurück. Zuvor gehörten die heutigen Akteure zur Abteilung Kegeln des TSV Rot-Weiß Zerbst. Nur vier Jahre nach der Ausgründung gelang der Sprung in die oberste deutsche Liga. „Unsere Herren haben auch schon zu DDR-Zeiten in der Oberliga gespielt“, erinnert sich Müller. Mit dem neu gegründeten Verein ging es in der Bundesliga anschließend rasant aufwärts.

„Wir haben erst nur Spieler aus der Umgebung verpflichtet“, sagt der Präsident. Er war selbst langjähriger Kegler. Doch mit der Zeit und dem Erfolg wurde der Radius immer größer. „Wir holen aber nur Männer, die wirklich ins Team passen und nicht einfach irgendwelche Top-Athleten“, versichert Müller. „Jeder muss sich der Mannschaft unterordnen.“ Inzwischen stehen dennoch mit Boris Benedik und Uros Stoklas zwei slowenische Topspieler in Zerbst unter Vertrag.

Auch der deutsche Nationaltrainer Timo Hoffmann wirft in Zerbst. Mit ihm stehen zudem fünf der insgesamt sechs deutschen Vize-Weltmeister im Kegeln in Anhalt auf dem Parkett.

„Timo Hoffmann ist unser sportlicher Kopf“, sagt Lothar Müller. Er spiele seit Jahrzehnten an der Weltspitze. Nun gibt er sein Wissen auch noch weiter. Neben den regelmäßigen Auftritten in der Bundesliga oder auf der internationalen Bühne muss Hoffmann auch sein Amt als Bundestrainer unter einen Hut bringen. „Seit 2009 bin ich Nationaltrainer“, sagt Hoffmann. Seitdem hat er die sportliche Verantwortung für die besten deutschen Kegler. Und auch er muss harte Entscheidungen treffen. „Ich habe einen Pool von zehn bis zwölf Spielern“, sagt der Coach, „aber zu einer Weltmeisterschaft nehmen wir immer nur acht mit.“

Ähnlich wie Bundestrainer Joachim Löw im Fußball muss auch Timo Hoffmann nach den Lehrgängen vor den Turnieren einige Spieler wieder heim schicken. Die Vorbereitungsphase erstreckt sich von Januar bis in den Mai. „Dann treffen wir uns oft an den Wochenenden und trainieren gemeinsam.“

Wie Joachim Löw durch das Land reisen und Spieler bebeobachten muss er aber nicht. „Ich bin ja selbst noch aktiv und sehe die Nationalspieler bei den Auftritten in der Bundesliga so ganz automatisch“, erklärt der Nationaltrainer. Obwohl sie kein Geld mit ihrem Sport verdienen, ihn nur neben dem Beruf als Leidenschaft machen, werden sie von der Nationalen Anti-Doping-Agentur Nada wie Profis behandelt. „All unsere National- und A-Kader-Spieler stehen im Testpool der Nada“, erläutert Lothar Müller.

Das heißt, sie müssen ihre Aufenthaltsorte auf ein halbes Jahr im Voraus angeben und jede Veränderung der Agentur melden. Dabei müssen die gelisteten Spieler genauestens aufzeigen, wo sie sich wann befinden. Selbst spontan nach der Arbeit mit der Familie oder Kollegen müsste eigentlich wochenlang im Voraus geplant werden. „Tun sie es nicht, drohen Strafen“, weiß Müller, ergänzt aber auch: „Die Kontrolleure rufen natürlich auch an, die Sportler müssen aber definitiv erreichbar sein.“ Sie können aber auch Termine nachmelden, sodass sich beispielsweise Dienstreisen dennoch planen lassen.

Nicht nur aus diesem Grunde ist Kegeln auf diesem Niveau mehr als ein pures Hobby. Die Spieler trinken keinen Alkohol, ernähren sich gesundheitsbewusst und stellen das eigentliche Hobby in den Mittelpunkt ihres Lebens. Spricht Präsident Müller vom Kegeln, dann redet er von einem „Hochleistungssport“ auf der harten Plastikbahn. Immerhin dauert ein direktes Duell zwölf Minuten. Das heißt, dass in dieser Zeit 30 Würfe gemacht werden müssen. Mit einer rund drei Kilo schweren Kugel und ohne Pause keine Leichtigkeit. Die Zerbster müssen fit sein, fordert Müller von seinen Spielern: „Denn die Weltspitze ist so eng beieinander, da entscheidet die Tagesform.“ Training ist samt Fitnesseinheiten zweimal die Woche. „Viele betreiben auch noch einen Ausgleichssport, die meisten Fußball“, erklärt Lothar Müller.

Dass sich der Aufwand lohnt, zeigt sich im VIP-Raum der Kegelsporthalle. Neben den Pokalen und Titeln finden sich dort Ehrenurkunden und weitere Auszeichnungen auf Kreis- und Landesebene. Erst vor wenigen Tagen wurden die Rot-Weißen als Mannschaft des Jahrzehnts des Kreissportbundes Anhalt-Bitterfeld geehrt.

Geld und Ruhm, wie es beispielsweise die Spieler des FC Bayern München für ähnliche Erfolge bekämen, gibt es bei den Keglern nicht. „Wir haben noch nicht einmal Preisgeld bekommen“, überrascht Lothar Müller. Als mehrmaliger Weltpokal- und Champions-League-Sieger gab es noch nie Geld? „Nein“, betont Müller abermals. „Dabei kostet die Teilnahme an einer internationalen Saison viel Geld. Zwischen 15 000 und 20 000 Euro müssen wir veranschlagen“, rechnet Müller vor. Darin sind die Fahrt- und gegebenenfalls Übernachtungskosten einberechnet. „Manchmal müssen wir auch fliegen“, sagt Müller, „das wird dann noch einmal teurer.“ Knapp Drei Viertel des Etats in Höhe von 120 000 Euro geht für den Spielbetrieb der ersten Mannschaft drauf.

Reingespült wird Geld einmal durch Sponsoren, aber auch durch die Fans. Und davon gibt es in Zerbst einige. Im Heimspiel gegen Zwickau feuern und grölen rund 30 Anhänger ihre Kegler an. „Das ist noch gar nichts“, sagt Präsident Müller stolz. „Bei den Champions-League-Heimspielen sind es bis zu 80 oder mehr.“ Dann bräuchten die Verantwortlichen noch die Extra-Tribüne im Gastro-Bereich. Wie ist wohl die Stimmung, wenn es noch 50 Mann mehr sind? Schon bei den 30 Leuten wird laut gefeiert, geklatscht, gesungen, der Vorsänger stimmt jedes Mal, wenn alle neun Pins gefallen sind, an, die Halle stimmt ein und am Ende singen alle Menschen mit und treiben lautstark die Kegler an.

Die Anhänger sind jung und alt, kommen regelmäßig und seit Jahren in das Kegelcenter am Schützenplatz. So wird es auch sein, wenn die Duelle in der Champions League ab morgen aufwarten. Dazu empfangen die Zerbster St. Pölten aus Österreich. „Erst im August haben wir gegen sie ein Freundschaftsspiel absolviert“, erinnert sich Müller.

Am Sonnabend wird es dann jedoch ernst. Im Achtelfinale der Königsklasse greift der Titelverteidiger erstmals ein. Das Ziel ist es, den Pokal auch zu verteidigen. Da zählt am Ende oftmals die bereits erwähnte Tagesform an der Weltspitze.

Noch hofft Lothar Müller als Präsident auf viele weitere Titel mit seinen Rot-Weißen. Doch der 62-Jährige wird nicht jünger. Seine eigene Laufbahn hatte er bereits mit der Ausgründung aufgegeben. „Der Rücken und die Knie haben nicht mehr mitgespielt“, sagt er und zeigt die typische Kegler-Bewegung: Bei einem Ausfallschritt wird der Oberkörper nach vorn gebeugt und der Wurfarm entsprechend bewegt. Die Haltung ist kein Luxus für den Rücken. „Viele Sportler versuchen es durch Bandagen zu ertragen“, sagt Müller und zeigt auf einige Spieler in der Halle.

Wie lange er noch als Präsident und Seele des Vereins wirkt, könne der gelernte Maschinenbauingenieur nicht sagen. „Aber es ist mein Lebenswerk und so lange ich kann, werde ich für den Verein da sein“, versichert Müller. Man kann es ihm sofort glauben.