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FIFA-Skandal Abgründe des Fußballs im Garcia-Report

FIFA-Chef Infantino will den russischen WM-Testlauf als großen Erfolg feiern. Die Veröffentlichung erster Details aus dem Garcia-Report zur umstrittenen Vergabe 2018 und 2022 kommen da reichlich ungelegen. Den entscheidenden Beweis für WM-Bestechung gibt es aber wohl nicht.

Von Arne Richter und Florian Lütticke, dpa 25.06.2017, 23:01

St. Petersburg (dpa) - Mitten in der heißen Phase der russischen WM-Generalprobe wird die FIFA von den Schatten ihrer Vergangenheit eingeholt - und wieder gerät besonders Katar durch massive Anschuldigungen ins Zwielicht.

Mit der erstmaligen Veröffentlichung von Details aus dem bislang streng vertraulichen Garcia-Report durch die "Bild"-Zeitung werden Ermittlungen um die Skandal-Vergabe der WM-Turniere 2018 und 2022 publik, die der Fußball-Weltverband lieber weiter unter Verschluss gehalten hätte.

FIFA-Boss Gianni Infantino musste bei seiner Rückkehr nach Russland zu den Halbfinal-Spielen des Confed Cups zwischen Deutschland und Mexiko sowie Portugal und Chile registrieren, dass die Altlasten der Blatter-Ära auch seiner Präsidentschaft einen Makel verpassen könnten. Für seinen mehrfach postulierten moralischen Neuanfang im Weltfußball kommen die Details und die neuerliche Debatte Infantino jedenfalls reichlich ungelegen.

Auch am Tag nach der ersten abendlichen Vorab-Meldung aus Berlin ließ eine Stellungnahme des Weltverbandes auf sich warten. Zwischen der Zentrale in Zürich und dem Turnierhauptquartier der FIFA im schicken Four Seasons Hotel in St. Petersburg liefen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur zahlreiche Gespräche.

Russland und Katar müssen als international dauerhaft umstrittene WM-Gastgeber wohl erstmal keine Angst vor brandneuen Erkenntnissen oder gar erdrückenden Beweisen für Korruption und Bestechung haben. Forderungen nach einer WM-Neuvergabe haben vorerst wenig Aussicht auf Erfolg. Hier ruhen die Hoffnungen der Kritiker weiter auf den laufenden Ermittlungen der Schweizer Justiz, die unter anderem mehrere Dutzend Verdachtsfälle auf Geldwäsche untersucht. Allerdings: Mit einem Abschluss der Ermittlungen in Bern ist wohl erst zu rechnen, wenn zumindest die WM in Russland längst gespielt ist.

Schwarz auf weiß lesen sich die Erkenntnisse des US-Top-Juristen Michael Garcia aus den Jahren 2012 bis 2014 wie ein erschreckendes Sittengemälde und gewähren Einblick in die Abgründe der Fußball-Welt in der Ära von FIFA-Ex-Chef Joseph Blatter, in die auch das mittlerweile vom eigenen Vergabe-Skandal betroffene deutsche WM-Sommermärchen fiel.

Laut "Bild" schreibt Garcia in seinem Untersuchungsbericht unter anderem von aus Katar bezahlten Lustreisen von Fußball-Funktionären nach Rio de Janeiro, Millionenzahlungen auf ein Konto der damals 10 Jahre alten Tochter eines FIFA-Wahlmannes und einem E-Mailverkehr mit Danksagung für den Erhalt von sechsstelligen Zahlungen aus dem Emirat. Einige dieser Vorwürfe sind nicht neu, waren vielfach auch schon vorher publik geworden und wurden von den WM-Machern am Arabischen Golf immer dementiert. Dass sie auch Garcia in seinem Report festhielt, geben ihnen aber nun einen offiziellen Anstrich.

Russland wurde in dem "Bild"-Bericht noch nicht erwähnt. Die Zeitung kündigte weitere Detail-Veröffentlichungen für die nächsten Tage an. Möglicherweise genau dann, wenn Infantino in St. Petersburg eine prächtige Bilanz der WM-Generalprobe präsentieren will.

Zu Chefermittler Garcia hatte Russland eine schwierige Beziehung. Dem Juristen wurde die Einreise verweigert, da die Russen ihn für die umstrittene Inhaftierung des Waffenhändlers Viktor Bout in den USA mitverantwortlich machten. Als Garcias Stellvertreter Cornel Borbely nach Moskau reiste, waren die Computer der WM-Bewerber zerstört. Dokumentiert wurden Verstöße gegen Meldepflichten von Kontakten zu Exekutivmitgliedern - für ein offizielles Verfahren reichte das der FIFA nicht. Auch nicht gegen Katar, trotz der jetzt auch öffentlich dokumentierten Verfehlungen.

Garcia trat im Dezember 2014 von seinem Posten als Chef der ermittelnden Kammer der FIFA-Ethikkommission zurück. Er empfand seine Erkenntnisse im Abschlussbericht von Hans-Joachim Eckert, dem damaligen Chef der rechtsprechenden FIFA-Ethikkammer, nicht richtig interpretiert.

"Kein unabhängiges Governance Komitee, Ermittler oder Schiedsgericht kann die Kultur einer Organisation ändern", lautete Garcias vernichtende FIFA-Kritik damals. In der Liste der vielen schmutzigen Details fehlten dem deutschen Topjuristen Eckert aber dingfeste, justiziable Beweise für einen konkreten Einfluss auf die WM-Vergabe. Die Veröffentlichung des Berichts wurde später vielfach gefordert, auch von Blatter, aber juristische Bedenken verhinderten dies schließlich. Auch Infantino wollte eine mögliche Klagewelle gegen die finanziell durch die Skandale belastete FIFA lieber vermeiden.

Der international geachtete Eckert wurde im Mai auf Initiative von Infantino an der Spitze der FIFA-Ethikkommission abgelöst. FIFA-intern galt er wegen seines rigorosen Vorgehens in Ethikfragen als umstritten. Zum Garcia-Report äußern wollte sich der Münchner am Dienstag auf Anfrage nicht.

Angestoßen wurden die Garcia-Ermittlungen ironischerweise noch von Blatter, der letztlich wie viele der 22 Wahlmänner vom 2. Dezember 2010 später über andere Verfehlungen stürzte. Im FIFA-Amt sind von damals nur noch der Spanier Angel Maria Villar Llona und der Ägypter Hany Abo Rida.

Infantinos Karriere begann im Windschatten des gemeinsam mit Blatter aus dem Amt gespülten ehemaligen UEFA-Chefs Michel Platini. Für den Schweizer stellt sich nun die Frage, wieso das brisante Garcia-Dokument ausgerechnet jetzt den Weg an die Öffentlichkeit fand und durch wen? Nur wenige Kopien wurden angefertigt, angeblich alle mit einem Namenssiegel versehen.

FIFA-Homepage zu WM 2018

FIFA-Homepage zu WM 2022

FIFA-Ethikkommission

BILD-Bericht, Bezahlschranke