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Fifa-Kandidatur Blatter will Mission fortsetzen

Die Demokratiereform ein Stückwerk, die Führungsspitze und der größte
Kontinentalverband im Zwist und die WM-Vergabe 2018 und 2022 weiter
unter der Lupe eines Ex-FBI-Mannes. Zum WM-Start gibt die Fifa kein
gutes Bild ab. Präsident Blatter sieht das ganz anders.

12.06.2014, 16:14

São Paulo (dpa) l Machtmensch, Tyrann oder Heilsbringer des Fußballs - die Lehre aus dem Kongress von São Paulo ist auf jeden Fall einfach. Das System Blatter funktioniert wie eh und je. Mit einer Demonstration von Kalkül und Durchsetzungsvermögen hat Fifa-Präsident Joseph Blatter am Vorabend des WM-Anpfiffs wieder einmal gezeigt, wie der Weltverband nach seiner Pfeife tanzt. Während Europas Vertreter grummelnd als erste WM-Verlierer von dannen zogen, stilisierte sich der 78-Jährige unter dem Applaus der anderen Konföderationsmitglieder zum wiederholten Male in seiner langen Funktionärskarriere zum Mann der Zukunft.

"Kongress, Du entscheidest, wer diese großartige Institution führen soll, aber ich kann sagen, ich bin bereit, dabei zu sein", sagte Blatter mächtig pathetisch in seiner cleveren Schlussansprache. Mit unglaublichem Geschick platzierte Blatter seine erneute Kandidatur für den Wahl-Kongress 2015 und stellte seine Gegner aus Europa nur einen Tag nach deren per Verbal-Attacke vorgetragener Rücktrittsforderung schlichtweg ins Abseits.

"Meine Mission ist noch nicht beendet, das sage ich Ihnen. Wir werden die neue Fifa errichten", versprach Blatter den Delegierten aus 209 Fifa-Ländern in der ihm vorbehaltenen Abschlussrede. Die Kontrahenten hatten laut Protokoll keine Chance mehr zu antworten.

Der Wahlkampf begann für Blatter schon vor der Ankündigung zur Kandidatur, der allerdings auch noch ein formaler Akt der neuen internen Präsidenten-Prüfung folgen muss. Den Mitgliedsverbänden versprach er nun auch vor Publikum neue Millionenzahlungen aus dem prall gefüllten WM-Geldtopf von 200 Millionen Dollar. Und dann verkündete er noch, dass er plötzlich den Video-Beweis im Fußball nicht mehr ausschließt. "Warum geben wir den Trainern nicht die Möglichkeit, zwei Entscheidungen anzuzweifeln, wenn sie anderer Meinung sind?", fragte Blatter.

Das war eine neue Breitseite gegen den möglichen Herausforderer Michel Platini. Der UEFA-Präsident konnte sich bislang noch nicht einmal mit der neuen Torlinientechnik anfreunden. Nun generiert sich sein Kontrahent schon als radikaler Erneuerer - im Alter von 78 Jahren. Und als sensibler Mensch noch dazu. "Ich habe schon sehr viel einstecken müssen in meinem Leben. Aber so etwas Respektloses habe ich noch nie erlebt, weder auf dem Fußballfeld noch im eigenen Hause", sagte er zu der Rücktrittsforderung durch die UEFA-Delegierten am Vortag im Hotel mit dem passenden Namen Renaissance.

Und wie reagierte Fußball-Europa? Die Funktionäre schwiegen den siebenstündigen Kongress im Transamerica Expo Center von São Paulo. Die UEFA-Delegierten hielten sich damit zwar ans Protokoll, doch eines ist seit Mittwoch auch klar: Ohne den Mut zur großen Revolution wird Blatter kaum aus dem Amt zu drängen sein.

Theoretisch könnte der Schweizer nun sogar noch viel länger Fifa-Chef bleiben, denn sowohl Alterslimit als auch Amtszeitbeschränkung wird es bei der Fifa nicht geben. Beide Anträge als Schlusspunkt der ohnehin dürftigen Demokratiereform schafften nicht einmal die fürs Erste notwendige einfache Mehrheit. Krachend gescheitert ist damit auch das deutsche Fifa-Exko-Mitglied Theo Zwanziger, der noch kurz vor der Abstimmung als Reformarchitekt um Zustimmung zumindest zur Mandatsbeschränkung geworben hatte. Damit geht die Funktionärskarriere Zwanzigers mit einer Niederlage zu Ende. Bis zu seinem geplanten Ausscheiden aus dem Fifa-Exekutivkomitee im Mai 2015 hat er praktisch keine relevante Aufgabe mehr.

Ganz im Gegenteil zu Michael Garcia. Auf den Fifa-Chefermittler werden sich in den kommenden Wochen viele Augen richten. Sein Gastauftritt war bemerkenswert, denn der Amerikaner scheute sich nicht, den Delegierten zu sagen, dass die Untersuchungen zu möglichen Bestechungen bei der WM-Vergabe 2018 und 2022 auf penible Weise fortgesetzt werden - inklusive Studium der Quellen der britischen Zeitung "Sunday Times", die mit ihren Enthüllungen um das Katar-Gate für Aufregung gesorgt hatte.