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Mädchenfussball Keine Selbstverständlichkeit

Das Landesleistungszentrum besteht zehn Jahre.

Von Maria Kurth 25.09.2015, 23:01

Magdeburg l „Ich kann nicht mehr“, sagt Chantal Isabell Münch und stützt ihre Hände auf den Knien ab. „Komm, das ziehen wir durch“, entgegnet ihr eine ihrer Teamkolleginnen. Münch macht weiter: Drei schnelle Sprünge über die Hürden, ein Sprint über 15 Meter und wieder von vorn. Acht Durchgänge, keine Pause, zum Jammern fehlt der 15-Jährigen irgendwann die Kraft. Am Ende sollen es fünf kraftraubende Trainingstage im Dauerregen werden.

In Arendsee haben Trainer Steffen Scheler und sein Team mit der Saisonvorbereitung begonnen. Die 28 Nachwuchsfußballerinnen aus dem Landesleistungszentrum (LLZ) spielen erneut für den Magdeburger FFC in der B-Juniorinnen-Bundesliga „und das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt LLZ-Leiter Scheler.

Vor allem nicht für so einen Standort wie Magdeburg. Das Ansehen im nationalen Frauenfußball ist gering, die finanziellen Hürden oft zu groß. „Wir wollten mit der Gründung des LLZ vor allem eine stabile Leistungsspitze im Mädchenfußball schaffen“, sagt Steffen Rau. Er leitete das Landesleistungszentrum in den ersten beiden Jahren.

„Die Entwicklung ging ziemlich zügig, aber vor allem weil Frauenfußball vorher nur als Breitensport in Sachsen-Anhalt betrieben wurde“, sagt er. Zudem passte die Kombination zwischen dem kooperierenden Verein Magdeburger FFC, dem Fußballverband Sachsen-Anhalt und der Sportschule Magdeburg – „eine perfekte Verzahnung“, sagt Scheler: „Bessere Bedingungen gibt es auch woanders nicht.“

Das weiß auch Münch mittlerweile. Sie trainiert seit drei Jahren im LLZ, „beim ersten Spiel in der B-Juniorinnen-Bundesliga war ich extrem nervös, ich konnte davor kaum schlafen“. Beim Länderpokal in Duisburg, wo sich alljährlich die Landesauswahlteams messen, wurde sie von Scouts des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) gesichtet, vier Länderspiele hat Münch bereits absolviert.

Im nächsten Jahr macht sie ihren Realschulabschluss, „danach will ich eine Ausbildung zur Physiotherapeutin machen“. Über einen Wechsel zu einem größeren Verein hätte sie schon einmal nachgedacht, „aber da hätte ich keinen WG- und Ausbildungsplatz bekommen“.

Auch Anne Bartke entschied sich vor acht Jahren gegen die Frauenfußball-Hochburg in Potsdam und blieb in Magdeburg – oder besser gesagt: das Los hat entschieden. „Ich konnte mich lange nicht entscheiden. Am Ende haben meine Eltern und ich drei Lose gemacht. Jeder hat seine Wahl aufgeschrieben, auf allen drei Zetteln stand Magdeburg. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen“, erinnert sich die 25-Jährige. Sie gehörte zu den ersten Spielerinnen im LLZ. Von den heutigen Bedingungen konnten Bartke und ihre Mitspielerinnen vor zehn Jahren nur träumen. „Wir hatten lange Anfahrtswege zum Training, alles war viel unprofessioneller als jetzt.“ Und dennoch: „Ohne die Zeit hätte ich meine sportlichen Erfolge nie erreicht.“ Neben den Bundesliga-Stationen Bad Neuenahr und Jena wurde sie 2010 U-20-Weltmeisterin, „mein größter sportlicher Erfolg“.

Mittlerweile sind Sachsen-Anhalts Auswahlspielerinnen keine Seltenheit mehr bei DFB-Maßnahmen. „Das ist schon außergewöhnlich, dass wir das immer wieder schaffen“, freut sich Scheler. Wöchentlich bekomme er Anfragen von Spielerinnen aus anderen Bundesländern, aktuell stammen 12 von den 42 Spielerinnen im LLZ nicht aus Sachsen-Anhalt.

„Ohne diese Quote könnten wir in der Bundesliga nicht bestehen“, ist sich Scheler sicher. Zu gering sei das Angebot von leistungsorientierten Nachwuchsfußballerinnen im eigenen Bundesland. Gerade einmal sechs Vereine beteiligen sich aktuell am Mädchen-Spielbetrieb.

Da hätten es andere Bundesligateams einfacher, „in Potsdam oder Jena gibt es eine viel größere Auswahl und auch andere Strukturen. Da können weitaus mehr Spielerinnen ins Internat aufgenommen werden, wir haben offiziell nur 20 Plätze“, erklärt Scheler. Dennoch halten die Sportschule und das Sportgymnasium seit fünf Jahren den Status „Eliteschule des Fußballs“.

Eine Zertifizierung, die Strahlkraft besitzt: „Mittlerweile wiegt dieser Status mehr als der Name Landesleistungszentrum“, sagt Rau, der aktuell die Bundesliga-Frauen des SV Werder Bremen trainiert.

Und so verwundert es kaum, dass auch Münch und Co. oft über die Spiele der ersten Mannschaft sprechen. Nach sechs Jahren in der zweiten Bundesliga stieg der Magdeburger FFC in diesem Jahr in die Regionalliga ab. Gelingt der direkte Wiederaufstieg nicht, „ist die Zertifizierung gefährdet“, sagt Rau: „Das wäre dramatisch.“

Nicht nur die Anziehungskraft für talentierte Spielerinnen würde nachlassen, auch die finanzielle Unterstützung des DFB fällt dann weg. „Auch wir als B-Juniorinnen-Team machen uns darüber Gedanken. Hat der Verein dann noch genug Geld, können wir weiter so gut ausgebildet werden?“, sagt Münch. Dennoch bleibt sie. „Unsere Mannschaft ist für mich zu einer zweiten Familie geworden.“ Eine Familie, die erfolgreich ist. Nach den ersten beiden Spieltagen stehen sechs Punkte in der B-Juniorinnen-Bundesliga zu Buche.