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Weihnachtsgeschichte Gips zu Weihnachten

Ex-SCM-Trainer Willi Olfert (79) erinnert sich an sein sportliches Weihnachtsfest vor fast sieben Jahrzehnten.

Von Willi Olfert 23.12.2016, 23:01

Magdeburg l Wie in den anderen Jahren hingen 1948 die Weihnachtsbäume kopfüber an den Hinterhof-Fenstern der Magdeburger Altstadt und verbreiteten imaginäre Gerüche und Gefühle und Vorfreude. Wo kein Tannenbaum aus dem Fensterkreuz lugte, warteten zumindest Nadelbaumzweige darauf, am Heiligen Abend in einen Besenstiel versenkt zu werden. Der mit großer Liebe zusammengebastelte „Ersatzmann“ erfüllte oft mehr als seine Pflicht.

Mit großer Spannung erwarteten meine ältere Schwester Elfriede, mein Zwillingsbruder Ewald und ich die Bescherung. Die wie eine Ewigkeit anmutende Lauerstellung im Korridor wurde durch den Ruf unseres Vaters „Der Weihnachtsmann war da!“ beendet. Wir „Männer“ stürmten ungebremst in die Wohnstube und wurden erst gesitteter, je näher wir dem Weihnachtsbaum und den Geschenken kamen.

Ich war völlig „platt“, als ich ein Paar echte, lederne Feld-handballschuhe erblickte. Eine Rarität damals. Alle anderen Geschenke waren nur noch Beigabe! Ich konnte es nicht abwarten, sie trotz der Jahreszeit zu probieren. Schon am Weihnachtsmorgen zog ich mir die mit Querstollen unter der Sohle versehenen Schuhe an, um sie auf einem, uns Kindern als Spielfeld dienenden Trümmergrundstück zu testen. Die ersten der mit Blechleisten versehenen Stufen der drei Treppen von unserer Wohnung ins Erdgeschoss schaffte ich locker, wurde dann immer schneller und … stürzte schließlich ungebremst. Bevor ich meinen Handballkumpeln – in unserer Straße spielten fast alle Mädchen und Jungen bei der SG Altstadt am Sachsenring Feldhandball – meine fast neuen Schuhe präsentieren konnte, war ich ein „Sportverletzter“.

Mein einer Arm schien der Fehde zwischen den Stollen und den vermaledeiten Treppe nicht gewachsen gewesen zu sein. Er hatte es ihr mit einer dicken Schwellung verübelt. Eine dringende ärztliche Konsultation schien nötig. Natürlich wusste unsere Mutter Rat: In der Nähe wohnte und praktizierte ein älterer Haus- und Sportarzt, der im hohen Alter noch die Elbe schwimmend von Magdeburg nach Tangermünde bezwang. Ihm galt trotz Weihnachten unser kaum zumutbarer Besuch.

Dr. Maiser, der mit seinem weißen Rauschebart wie der Weihnachtsmann aussah, empfing uns mit keinem einzigen Wort der Abweisung. Er sah den bandagierten Arm und fragte: „ Wollt ihr reinkommen oder soll ich ihn gleich auf der Treppe amputieren?“

Nach einer gründlichen Untersuchung diagnostizierte der Doktor eine Verstauchung und „verpasste“ mir einen Gips. Ihn wollte er am ersten Tag nach Weihnachten kontrollieren. Als ich ihm zum Dank Konfekt und ein paar Nüsse schenkte, meinte er schmunzelnd, die Nüsse behalte, die kannst du mit dem Gipsarm knacken, so hart wird jener nämlich!

Ein folgenschwerer Hinweis! Pünktlich zum Visitetermin überraschten wir ihn dann mit einem vollends zerfledderten Gipsarm. Die Brille immer wieder zurechtrückend, als könne er seinen Augen nicht trauen, grollte er unter ihr hinauf: „Junge, hast du Eishockey auf dem Adolf-Mittag-See gespielt?“

Etwas verschämt stotterte ich: „Sie, sie haben doch gesagt, ich kann damit Nüsse knacken.“

„Donnerwetter, und du hast das wirklich getan?“ schmunzelte der hilfsbereite und humorvolle Mediziner.

Dann entschuldigte er sich und seine Frau für einen Augenblick, verschwand, so dass wir nur noch undefinierbare Geräusche aus dem Nebenzimmer hörten. Als würde er etwas suchen. Mit einem spitzbübischen Lächeln und einem funktionierenden Nussknacker in der Hand verabschiedete uns unser „Weihnachts-Doktor“. Nicht ohne mir vorher einen frischen Verband angelegt zu haben.