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Fußball Vorfreude, Ungewissheit und Zweifel

KFV-Präsident Heinrich Piep berichtet über seine Eindrücke vom abgesagten Länderspiel Deutschland gegen die Niederlande in Hannover.

Von Florian Schulz 21.11.2015, 00:01

Hannover/Diesdorf l Nach den erschreckenden Ereignissen in Paris am vergangenen Freitagabend sollte – und das auch völlig verständlich – der sportliche Aspekt im Klassiker zwischen der „Mannschaft“, wie die DFB-Truppe von Joachim Löw auch genannt wird, und den „Oranjes“ im Hintergrund stehen. Man wollte aber unbedingt spielen – genau genommen nicht gegen-, sondern eher miteinander. Man wollte zeigen, dass man zusammen stark ist. Man wollte für Frankreich spielen und ein Zeichen gegen den Terrorismus setzen. So zumindest lautete der Plan im Rahmen dieser Partie, die letztendlich aber doch nicht stattfand, weil nach einem geheimen Schreiben die Gefahr eines erneuten Anschlages durch islamistische Terroristen bestand. In den Medien war noch am Dienstagabend von konkreten Hinweisen eines ausländischen Geheimdienstes auf Sprengstoff oder Bomben im und am Stadion sowie aber auch in der Stadt zu lesen oder zu hören. Beweise gab es zwar nicht, doch es gilt: Die Sicherheit geht vor. Noch bevor überhaupt die Hälfte der Zuschauer oder auch die angekündigte politische Prominenz um Bundeskanzlerin Angela Merkel oder auch Innenminister Thomas de Maizière die WM-Arena in Niedersachsens Landeshauptstadt betreten hatten – auch die beiden Mannschaften befanden sich mit ihren Bussen noch rund fünf Kilometer vom Spielort entfernt – kam es zur Absage dieses „Symbolspiels“.

„Ich war neugierig, wie ein Spiel unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen über die Bühne gehen würde“, gibt Heinrich Piep zu. Der 58-jährige Diesdorfer, der in der Westaltmark den Vorsitz im Kreisfachverband Fußball hat, wollte sich das Duell in Hannover live im Stadion anschauen. Den Plan hatte er schon am Sonntag geschmiedet. „Das passte mir eigentlich ganz gut, zudem hatte ich das Duell zwischen Deutschland und den Niederlanden noch nie zuvor gesehen“, sagt der Westaltmärker, der voller Vorfreude war. Der Fußballenthusiast ist beruflich in Hildesheim tätig, was nur rund eine halbe Autostunde von der niedersächsischen Landeshauptstadt entfernt ist. Kein Problem also mit der Anreise, denn Piep kennt sich in der Umgebung gut aus. So setzte er sich am Dienstag gegen 18.45 Uhr in seinen PKW in Richtung Hannover. Am Aegidientorplatz stellte der Diesdorfer, der sich eine Karte übrigens erst vor Ort kaufen wollte, sein Auto ab, um den etwa zehnminütigen Fußmarsch in Richtung Stadion auf sich zu nehmen. Noch während der Fahrt hatte er im Radio immer wieder davon gehört, dass das Länderspiel definitiv stattfinden wird. Gegen 19.30 Uhr näherte sich der KFV-Präsident, der oft in Hannover Länderpartien verfolgt, immer weiter der 45.000 Zuschauer fassenden Arena und wunderte sich, warum ihm größere Menschenmengen entgegen kamen. Schon jetzt gab es erste verwunderte Blicke und Gespräche. „Von einem Jungen habe ich erfahren, dass das Spiel abgesagt sein soll. Ganz geglaubt habe ich das zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht“, gesteht Heinrich Piep. Also ging es weiter in Richtung Heimstätte von Hannover 96. „Ich hatte Zeit und war natürlich interessiert, was das alles auf sich hat. Umso näher man dem Stadion kam, umso größer wurde das Polizeiaufgebot. Ich wunderte mich noch immer, warum mir so viele Leute entgegen kamen. Sie wirkten aber sehr sachlich“, beschreibt der 58-Jährige, der schon zuvor wusste, dass Pyrotechnik in der Arena untersagt ist.

In Höhe des Maschsees war auch für Heinrich Piep Endstation. „Man sagte uns: ‚Bitte drehen Sie um und gehen Sie nach Hause.‘ Dabei wurden aber keine konkreten Aussagen gemacht. Die Polizei gab auf die Fragen keine Antworten“, erzählt Piep. Der versuchte sich über die Uferseite des Sees noch weiter der HDI-Arena zu nähern. Doch dieses Unternehmen zwar zwecklos. „Ich konnte schon im Dunkeln erkennen, dass sich überall zwei bis drei Polizisten positioniert hatten“, so der Diesdorfer. Die Zuschauer, die genau wie der Westaltmärker selbst abgewiesen wurden, verhielten sich „ruhig und sachlich“, wie Heinrich Piep schildert. Von Panik war keine Spur. In diversen Unterhaltungen hatte sich bereits herumgesprochen, dass die Sicherheit im Stadion nicht gewährleistet war und sich womöglich ein Terroranschlag angebahnt hatte. Davon erfuhr Piep erst, als er wieder am Auto angekommen war und dort im Radio halbwegs aufgeklärt wurde. „Erst hörte ich davon, dass der Polizeipräsident eine Absage gefordert hatte, dann war von einer Sprengung eines Koffers am Hauptbahnhof die Rede. Konkret genannt wurde allerdings nichts, es wurde von Seiten der Offiziellen sehr strategisch vorgegangen“, sagt der 58-Jährige. Es war schon eine Art Ausnahmezustand am Dienstag in Hannover. Wo man nur hinsah: Polizei und Blaulicht. „Ich hatte zuvor von einem Flaschensammler gehört, der seinen Beutel irgendwo stehen lassen hatte und der sofort auf mögliche Gefahren durchsucht wurde. Das war aber noch alles völlig harmlos“, erzählt Heinrich Piep. Das allerdings wusste er schon vor 19 Uhr, als das Spiel noch angesetzt war. „Die Polizei war ständig in Bewegung und eben sehr präsent – selbst in den Seitenstraßen, und dann auch teilweise mit Maschinengewehren“, schildert der KFV-Präsident. Es wurde gefühlt jeder Fußgänger auf Schritt und Tritt beobachtet, selbst Fahrzeuge im Stadionbereich wurden genau unter die Lupe genommen.

Den Besuchern des geplanten Länderspiels, aber auch allen weiteren Passanten wurde geraten, größere Ansammlungen zu vermeiden. „Davon konnte man auch keine beobachten. Das hatten die Sicherheitskräfte wirklich gut im Griff“, lobt Heinrich Piep. Da sich zum Zeitpunkt der Spielabsetzung erst um die 5000 Besucher im Stadion befanden, konnte womöglich bei der Evakuierung eine Massenpanik verhindert werden. „Das war sicherlich gut so, denn wenn es fast voll gewesen wäre, hätte es sicherlich Probleme gegeben“, mutmaßt Piep, der selbst gar nicht so weit gekommen war. Über Lautsprecher wurde es dann auch den Gästen vor dem Stadion zugetragen, dass die Partie abgesagt ist. „Auch dort wurden aber Beisätze vermieden“, erklärt der Diesdorfer. Wie gesagt: Über den Radiofunk wurde der 58-Jährige erst schlauer. „Als ich vom eingeschränkten Bahnverkehr sowie der zwischenzeitlichen Schließung des Hauptbahnhofes wegen einer Sprengung erfuhr, war meine Neugierde genau genommen erst einmal beendet“, verrät der Westaltmärker, der sich im Radio auch die Pressekonferenz mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und dem Interims-DFB-Präsident Dr. Reinhard Rauball anhörte. Auch dort wurde „nur“ von „guten Gründen“ gesprochen, weshalb das Duell abgesagt ist. Weiterhin wurden der Öffentlichkeit – womöglich zu deren Schutz – die genauen Gründe verschwiegen. Ebenfalls in Ungewissheit auf die Heimreise begab sich wie viele Deutsche, Niederländer, aber beispielsweise auch Franzosen Heinrich Piep, der gegen 21 Uhr wieder in Hildesheim ankam.

Im Nachhinein stellte sich auch für Piep die Frage: Was wäre passiert, wenn das Spiel ohne die Terrorwarnung doch angepfiffen worden wäre? Wäre die Sicherheit gewährleistet gewesen? „Es ist sicherlich schon ein komisches Gefühl. Das Auge ist sicherlich wachsamer, gerade wenn man allein ist“, erklärt der 58-Jährige. Der war und bleibt der Meinung, dass von Sonntag bis Dienstag genug Zeit gewesen wäre, um alles besser abzuschotten beziehungsweise zu sichern. Doch bleiben die deutschen Stadion auch in Zukunft sicher? „Ausgeschlossen ist sicherlich nichts. Der Staat, aber auch der DFB haben natürlich jetzt noch mehr Verantwortung. Doch genau genommen sind nicht nur Fußballspiele sicherlich ein beliebtes Ziel für die IS-Attentäter, sondern womöglich auch Weihnachtsmärkte oder Konzerte, wo viele Leute zusammen kommen“, weiß Heinrich Piep, der sich wünschen würde, dass der Bundesligaalltag wie gehabt fortgesetzt wird. „Ich denke, die Stimmung in den deutschen Stadien wird in den nächsten Wochen noch etwas gedämpft sein, bis wieder so etwas wie Normalität einkehrt“, mutmaßt der Präsident des Kreisfachverbandes, der davon ausgeht, dass auch die Sicherheitsvorkehrungen in Zukunft drastischer werden und das auch begrüßen würde.

Ob die Entscheidung nun richtig oder falsch war, das Länderspiel in Hannover abzusagen – darauf vermag niemand eine wirkliche Antwort zu geben. Auch nicht Heinrich Piep. „Das ist schwer einzuschätzen. Wenn diejenigen, die für Sicherheit sorgen, glauben, die Grenze sei erreicht, ist es sicherlich richtig. Schließlich geht die Sicherheit der Menschen dann doch vor. Deshalb habe ich auch großen Respekt vor der getroffenen Entscheidung“, erklärt Piep. Er selbst hat die Lust auf Fußball im Stadion dadurch nicht verloren und hofft, dass diese Partie in Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Frankreich im kommenden Jahr an gleicher Stelle noch einmal neu angesetzt wird. Und auch, wenn noch immer keine Sprengstoff- oder Bombenfunde und somit keine konkreten Beweise für einen geplanten Terroranschlag in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover vorliegen: Eine Karte für ein Fußballspiel hat noch längst nicht den Wert eines Menschenlebens.