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Fußball Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt

Die Fußballer von Union Schönebeck blicken auf ein sehr ereigsnisreiches Jahr zurück. Die Erste stieg auf, die Zweite aber ab.

Von Enrico Joo 19.06.2017, 23:01

Schönebeck l Doch ganz geräuschlos verlief das Jahr nicht. Die Zweite stieg sang- und klanglos ab. Vorher trennten sich die Wege von Union mit Mario Katte, dem Aufstiegstrainer der Ersten. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Volksstimme-Mitarbeiter Enrico Joo traf sich mit den stellvertretenden Abteilungsleitern Dorian Reichelt (Leiter Seniorenabteilung) und Stefan Schäfer (Leiter Nachwuchsabteilung) zum Gespräch.

Volksstimme: Ein Jahr Union Schönebeck, ein Jahr Fusion. Aus zwei Vereinen, die sich beinahe spinnefeind waren, ist innerhalb eines Jahres ein Verein geworden. Gab es eigentlich je Zweifel, dass das mit der Fusion klappt?

Reichelt: Es war im Oktober 2015 schon klar, dass die Fusion kommen wird. Da gab es keinen Weg mehr zurück. Es stand aber die Frage in der Luft, wie das klappen wird. Es hatte sich aber schnell abgezeichnet, dass in beiden Vereinen viele der Fusion offen gegenüber stehen. Man wusste, dass es funktioniert. Wie groß die Reibung ist, konnte aber keiner abschätzen.

Der wievielte Versuch war das?

Schäfer: Der dritte. Einer war im März 2013 gescheitert, einer um die Wendezeit.

War die Fusion aus sportlichen und finanziellen Gründen alternativlos?

Reichelt: Durch den demographischen Wandel stehen immer weniger Fußballer zur Verfügung. Die Fülle an Spielern ist einfach nicht mehr da im Nachwuchs. Das ist auch ein Grund dafür, dass zwei so große Vereine in einer Stadt sportlich nicht mehr erfolgreich sein können. Sicher ist der finanzielle Part auch eine Komponente. Das wichtigste ist aber der Nachwuchs. Und das geht bei einer Stadtgröße wie Schönebeck auf dem Niveau nur mit einem Verein.

In vielen anderen, selbst einwohnerstärkeren Städten, gab es ja ähnliche Gespräche, die meist ergebnislos blieben. Ist da auch Stolz dabei, das geschafft zu haben?

Reichelt: Wenn man den Gesamtverein betrachtet, ist das sehr gut verlaufen. Sicher mit dem Makel zweite Mannschaft. Zwei Mannschaften im Land zu halten, das ist schon eine Bärenaufgabe, ein riesiger Aufwand. Es wäre natürlich optimal für den Nachwuchs später in der Landesklasse zu spielen.

Muss man im Nachhinein vielleicht sagen, dass eine Mannschaft in der Landesliga und eine in der Landesklasse zuviel war?

Reichelt: Das ist eigentlich absolut notwendig, wenn die Jugendspieler aus dem Nachwuchs Luft schnuppern sollen im Männerbereich.

Der direkte Wiederaufstieg mit der Zweiten ist das Ziel?

Reichelt: Da müssen wir einiges für machen. Aber das soll schon der Weg sein.

Bleibt der Kader zusammen?

Reichelt: Der 30. Juni ist der Stichtag. Das ist schwer vorherzusagen. Wir haben mit vielen Spielern gesprochen.

Hat es der zweiten Mannschaft an Anführern gefehlt?

Reichelt: Für junge Spieler ist das schwer. Gerade nach der Hinrunde. Die Trainer haben viel probiert. Aber es hat von der Mannschaft her nicht zueinander gepasst. Von Anfang an kam da kein Teamspirit zusammen. Da haben viele Komponenten nicht zu 100 Prozent zusammengepasst. Es ist nie eine Mannschaft geworden. Jeder, die Trainer klammere ich aus, hatte seinen Anteil am Abstieg. Es war aber auch ein Stück weit Pech dabei.

Waren die Spieler zu jung?

Reichelt: Wir haben ja mit den Neugebauers in der Ersten Spieler, die heiß sind. Die kannst du Heiligabend um 23 Uhr oder Silvester um 1 Uhr anrufen zum Training. Dann stehen die auf der Matte. Oder Aaron Schäfer und Robert Soethe. Das sind die gleichen Beispiele. Die haben sich hereingebissen in der Ersten. Das sind Identifikationsfiguren im Verein. Wenn da aber kein Team ist, dann wird es für jeden einzelnen Spieler schwer. Die Generation ist da auch ein bisschen anders als früher. Da fehlte auch Führung in der Mannschaft.

Trainer Steffen Grohe wirkte in den vergangenen Wochen ernüchtert. Gab es Gespräche darüber, ob er auch in der Salzlandliga Trainer bleibt?

Reichelt: Wir haben mit ihm gesprochen und wollen weiter mit ihm zusammenarbeiten. Wenn es eine schlagkräftige Truppe gibt, da bemühen wir uns zusammen mit ihm darum, wird er auch in der Salzlandliga Trainer sein.

Es liegt also an ihm?

Reichelt: Bis 30. Juni ist alles möglich. Wenn er mit dem Kader eine Chance hat, bleibt er.

Kommt aus dem Nachwuchs etwas nach?

Schäfer: Das waren in den letzten Jahren sehr geburtenschwache Jahrgänge. Kevin Lindner (Trainer der A-Jugend, Anm. der Red.) hat trotzdem sieben Punkte geholt. Da hatte keiner mit gerechnet. Wir saßen am Anfang der Saison zusammen mit acht Leuten, haben dann vier B-Jugend-Spieler mit hochgegeben, sind zu jedem Spiel angetreten. Das wird sich aber in den nächsten Jahren relativieren. Ab 2000 geht es dann wieder bergauf. Meine U 17 geht komplett hoch bis auf fünf Spieler. Da haben wir dann 25 Spieler mit dem neuen Trainer Michael Böhm. Da kommt ein sehr fähiger Mann. Er hat zu mir gesagt, dass Union in Magdeburg und Umgebung eine tolle Strahlkraft entwickelt hat. Das war mit ausschlaggebend dafür, dass er sich ab Sommer für Union entschieden hat. Wir wollen auf den eigenen Nachwuchs und das eigene Leistungszentrum setzen.

Durch den Abstieg der Zweiten und dem Aufstieg der Ersten werden drei Ligen zwischen den Mannschaften liegen. Ist das ein Problem?

Schäfer: Optimal ist es natürlich einen A-Jugend-Spieler im Land unterzubringen. Das ist auch unsere Idee. Wir haben uns die Suppe mit der Zweiten aber eingebrockt. Da nehme ich mich als Leiter der Nachwuchsabteilung nicht mit aus.

Vor der Saison gab es bei der Ersten das Ziel einstelliger Tabellenplatz. Hat jemand vielleicht im Hinterstübchen daran gedacht, dass ein Medaillenplatz möglich ist?

Reichelt: Die Mannschaft hatte einen ungebrochenen Willen und sich auch von Nebengeräuschen rund um die Fusion, die es ja gegeben hat, abgeschottet und auf sich konzentriert. Das war für uns auch im Winter etwas schwierig. Wir wollten uns eigentlich auf die Zweite konzentrieren und da alles für den Klassenerhalt tun. Aber die Resonanz von der Zweiten kam jetzt nicht so. Die Erste hatte sich vehement durchgesetzt. Sie wollte an Calbe heran, an Calbe vorbei. Das brachte natürlich auch Pulver herein.

Sie haben gerade gesagt, die Mannschaft hat sich trotz der Nebengeräusche auf sich konzentriert. Was meinen Sie damit?

Reichelt: Es gab immer wieder Sachen, wo sich Fans über Entscheidungen aufgeregt haben und ihren Unmut Preis gegeben haben. Es gab immer wieder Kleinigkeiten, wo geordnet werden musste. Ein Beispiel ist die Platzsituation. Da standen früher beide Stadien zur Verfügung. Der Platz an der Barbarastraße ist aber eben nicht für das Training, der ist für das Spiel. Das ist so vorgegeben. Genauso in der Magdeburger Straße.

Schäfer: Aber das macht ja das Vereinsgefüge auch ein Stück weit aus. Davon lebt auch ein Verein. Aber Stand 1. Juli 2016 gab es kein Grün oder Rot mehr. Und das haben wir auch so vorgelebt. Es gab nur noch einen Verein.

Aber die Diskussion im Stadion lebt ja schon davon, ob das jetzt eine Entscheidung für Grün oder Rot war. Da wurde auch gesagt: Es ist viel zu viel Rot mittlerweile im Verein.

Reichelt: Wir haben uns auch im Winter intensiv damit beschäftigt und viele hat das geärgert, was da so nach außen getragen wird, weil das einfach nicht so ist. Wenn man sich auch die Strukturen der Leitung anschaut, ist das immer noch im gleichen Verhältnis. Und außerdem ist das nicht mehr relevant. Das ist Union.

Wann war denn der Moment da, in dem man gedacht hat: Wir können das schaffen mit dem Aufstieg? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Schäfer: Das war das Spiel gegen Bismark (Union verlor 0:3 am 11. März, Anm. d. Red.). Das war vielleicht der richtige Dämpfer zum richtigen Zeitpunkt. Da wurden alle noch einmal wachgerüttelt. Danach haben wir nichts mehr abgegeben. Trainer Mario Katte hat da auch grandiose Arbeit geleistet, einen unheimlichen Mannschaftsgeist entwickelt.

Trotzdem müssen irgendwann Probleme aufgetaucht sein mit ihm.

Reichelt: Man konnte sich einfach nicht einigen. Es gibt immer zwei Seiten der Medaille. Wir wollen aber keine dreckige Wäsche waschen. Das verlangen wir auch von Mario. Beide Seiten haben ihre Vorstellungen. Das ist eine professionelle Entscheidung, die gefällt wurde. Sicher stand das auch zur Debatte. Wir haben einen Trainer, der Erfolg hat, der ganz oben steht. Wir wissen auch, was das für Auswirkungen hat. Aber wir haben unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen gefällt. Das passte so zur neuen Saison nicht zusammen. Aber er wusste früh genug Bescheid. So hatten wir Zeit, einen neuen Trainer zu finden und Mario auch Zeit, sich umzuschauen. Daher auch vor dem Calbe-Spiel. Warum? Weil das eben einfach mal so ist.

Wann stand der Entschluss fest?

Reichelt: Einen Tag bevor wir es bekanntgegeben haben. Aber wir hatten natürlich vorher mit Mario gesprochen.

Lag es an der Kaderplanung? Waren die Vorstellungen zu unterschiedlich?

Reichelt: Wir wollen das nicht kommentieren. Das ist eine Sache zwischen Trainer und Leitung und das soll auch da bleiben. Das hat auch Niemanden zu interessieren. Wir danken auch Mario für seine Arbeit und können nichts Schlechtes sagen. Das muss so genügen. Wer meint, da am Biertisch darüber zu reden, der sollte erstmal Verantwortung übernehmen. Man muss eben manchmal nicht nur populäre, sondern auch unpopuläre Entscheidungen treffen.

Schäfer: Das ist ein ganz normaler Prozess. Wären wir Achter oder Neunter geworden, hätte das Niemanden interessiert. Das ist eine Dynamik, die sich über die Wochen und Monate bei Union entwickelt hat.

Kattes Vorstellungen und die des Vereins haben irgendwann zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr zusammengepasst?

Reichelt: Es ist alles gesagt. Für viele Außenstehende ist das sicherlich schwer zu verstehen. Die Fans haben ihr Recht darauf, so etwas zu fragen und zu sagen. So lange das im Rahmen bleibt, ist das vollkommen legitim. Ich als Kopf habe mir die Entscheidung nicht einfach gemacht. Ich hatte mit mir zu kämpfen und das hat man mir sicher auch angemerkt.

Ich ziehe mal das Beispiel Borussia Dortmund heran. Da gab es persönliche Spannungen zwischen Trainer Thomas Tuchel und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Kann man sagen, dass es in Schönebeck solche Gründe nicht gab?

Reichelt: Nein, gab es nicht.

Es gab keine menschlichen Differenzen?

Schäfer: Mario ist ein sehr menschlicher Typ, ein Kumpeltyp.

Reichelt: Wir werden keine Richtung herausfiltern. Uns ist es einfach auch wichtig, das Umfeld mitzunehmen. Aber in dieser Sache können wir das Umfeld im Detail eben nicht mitnehmen.

Mitnehmen ist ein gutes Stichwort. Fünf neue Spieler wurden bereits präsentiert. Wieviele Spieler braucht denn Union eine Liga höher?

Reichelt: Gerade in der Verbandsliga ist es wichtig, dass es einen erweiterten Kader gibt. Wir wollen auch aus der A-Jugend und der Zweiten Leute heranführen. 24 bis 25 Spieler sollte der Kader schon haben.

Muss eigentlich auch der Etat erhöht werden?

Reichelt: Nein. Wir haben mit der Verbandsliga nicht gerechnet, das kam überraschend. Das ist auch gar nicht möglich.

Auf deutsch: Die Spieler bekommen nicht mehr Geld oder mehr Aufwandsentschädigungen als vorher?

Reichelt: Das kriegt keiner. Und das wollen wir auch gar nicht, das Budget zu erhöhen.

Glauben Sie, dass der Klassenerhalt mit den gleichen finanziellen Mitteln gelingen kann in der Verbandsliga?

Reichelt: Wir wollen ja Typen in der Mannschaft haben. Das haben andere schon mit Geld probiert und die sind damit gescheitert.

Gibt es denn auch langfristige Ziele?

Reichelt: Das wurde mit der Fusion vor einem Jahr definiert. Wir wollen erstmal die Klasse halten und uns dann festbeißen in der Verbandsliga und auch mal oben eine Rolle mitspielen. Für Schönebeck ist es ein Ziel, mittelfristig an die Oberliga zu klopfen. Vielleicht kann sich Schönebeck als Nummer zwei hinter dem FCM etablieren in der Region rund um den Salzlandkreis. Letztes Jahr haben wir gesagt, dass das in acht bis zehn Jahren passieren soll. So würde ich das auch mal definieren. Jetzt wollen wir aber erstmal in der Verbandsliga drin bleiben und uns dann entwickeln.

Und dann im dritten Jahr vielleicht einen einstelligen Tabellenplatz anpeilen?

Reichelt: Genau. Wir könnten jetzt auch Spieler verpflichten, die aus der Oberliga kommen, das kostet aber alles Geld, das wir nicht haben. Das nimmt das Umfeld nicht mit. Das bringt nichts. Es muss sich entwickeln. Der Verein muss sich entwickeln, wie auch das Umfeld. Die Sponsoren müssen die Wege mitgehen. Dazu gehört ein gesunder Aufbau.

Mit einem neuen, engagierten Trainer.

Reichelt: Ja. Da hatten wir sehr gute Gespräche. Torsten (Brinkmann, Anm. d. Red.) ist sehr engagiert mit einem guten Konzept vom Training her. Ich denke, da wird Union Spaß dran haben.