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Porträt der Woche Sportlich ungleiche Geschwister

Maria Kuse spielt Badminton, Felix macht Karate. Wie die beiden zu ihren Leidenschaften kamen.

Von Enrico Joo 12.10.2016, 23:01

Hecklingen l Nein, die Hand möchte Maria Kuse nicht geben. Sie ist nicht unhöflich, aber sie kränkelt ein bisschen und will niemanden anstecken. Das ist ziemlich anständig von der 15-Jährigen. Gemeinsam steht sie mit ihrem 19-jährigen Bruder Felix im Haus der Familie in Hecklingen. Der erste Eindruck wird sich im Laufe des Gesprächs verfestigen: Zwei höfliche und bescheidene Sportler erzählen etwas aus ihrem Sportlerleben, das ja Anlass gäbe, ein bisschen zu prahlen.

Maria und Felix Kuse bestechen seit Jahren durch tolle Erfolge im Nachwuchs-Sport (siehe Info-Kasten). Felix hat auch schon prima Ergebnisse im Erwachsenen-Bereich eingefahren. Doch unterschiedlicher könnten die Sportarten der beiden nicht sein. Maria spielt Badminton, Felix macht Karate. Das war eigentlich nie anders. Aber warum eigentlich?

Felix erinnert sich, dass er drei Jahre alt war. Da stand der Dreikäsehoch mit den Eltern zum ersten Mal vor der Turnhalle und wollte sich beim Karate anmelden. „Da war ich aber zu jung“, sagt er. Zwei Jahre später kam er wieder. „Das war eine Eingebung. Ich hatte mich da früh festgelegt.“ Nebenbei angelt er gerne. Er mag das Zielstrebige. Den nötigen Einklang von Körper und Geist. „Man braucht sehr viel Disziplin“, sagt er unaufgeregt. Er sitzt an dem großen Esstisch im Wohnzimmer. Seine Schwester Maria ihm gegenüber.

Die kleine Schwester ist quirliger, was zu ihrem Sport passt. „Ich habe bei Felix mal das Eingrüßen vor dem Training in der Reihe mitgemacht“, sagt sie. Aber Karate? Nein, das war und ist nicht ihr Ding. „Das hat doch Felix schon gemacht. Das kann ich doch dann nicht mehr machen.“ Maria lacht.

Auch sie war schon als kleines Kind sportlich unterwegs. Leichtathletik hat sie mal gemacht. Mit sieben Jahren ist sie zum Badminton gekommen, nebenbei hat sie Volleyball gespielt. Mit 12 Jahren musste sie sich entscheiden. Beides ging nicht mehr. „Badminton habe ich länger gemacht“, sagt sie. Sie liebt die Schnelligkeit der Sportart. Der Weltrekord liegt bei 493 Kilometern. Die Geschwindigkeit wird direkt nach dem Schlag gemessen, danach bremst der Ball ab. Aber was macht das schon?

Maria kennt die Klischees. Federball heißt ihr Sport noch oft. „Das wird oft als Garten-Spiel bezeichnet.“ Wird es warm, strömen die Menschen in Parks und spielen sich – so oft es geht – die Bälle zu. Bei Maria heißt das Badminton und die Ballwechsel sollen kurz sein, nicht lang. „Es ist taktisch anspruchsvoll. Man braucht peripheres Sehen.“ Während der Ball in der Luft steht, müssen die Spieler erkennen, wo der Gegner auf der anderen Seite steht. Und möglichst platziert in die andere Ecke spielen. „Da denkt man nicht nach. Das ist Instinkt.“ Den hat man oder man hat ihn nicht. Maria hat ihn.

Seit drei Jahren geht die 15-Jährige in Jena auf die Sportschule. Da ist Badminton Unterrichtsfach. Zwischen zweieinhalb und vier Stunden trainiert sie jeden Tag. Zu Hause ist sie nur am Wochenende. Durch ihren Sport ist sie quasi eine Europabummlerin. Sie war schon bei Wettkämpfen in Russland oder Polen. Seit Dienstag und bis Ende der Woche ist sie im Trainingslager in Dänemark.

Ist der Bruder da neidisch, dass die Schwester herumkommt? Gibt es manchmal Eifersucht oder Neid auf die Erfolge? „Nein, wir haben uns doch gern“, prescht Maria vor. Felix ist ja nicht weniger enthusiastisch. Derzeit kuriert er einen Muskelfaserriss aus. Aber sonst trainiert auch er fünfmal die Woche. Und das, obwohl er in Magdeburg Maschinenbau studiert. Und auch er kam schon rum. In der Schweiz und in Ungarn war er. Jetzt im Sommer in der Slowakei. Ihm geht es aber wie seiner Schwester. „Man sieht nur die Turnhallen, fast nie etwas von den Städten. Dafür ist keine Zeit.“

Auf einer Sportschule war er nie. So etwas gibt es in Deutschland gar nicht. Karate ist ein Randsport. Wohl noch mehr als Badminton. Es ist nicht olympisch. Besser gesagt: War es nicht. Denn 2020 in Tokio ist Karate das erste Mal dabei. Vielleicht hat auch Felix die Chance auf das Weltsportereignis? „Da fehlt noch ein Stück“, sagt er bescheiden. Schön wär‘s aber, dabei zu sein.

Badminton hingegen ist in vielen asiatischen Ländern Nationalsport. Das zeigte auch die Medaillenverteilung im Sommer bei Olympia in Rio. Elf der 15 Medaillen gingen da nach Asien. Führende Nationen in Europa sind England oder Dänemark. Deutschland ist ein Entwicklungsland. Es ist unwahrscheinlich, dass Maria später Geld damit verdient. Das ist im Karatesport nicht anders, der seine Wurzeln in Japan hat. Das ist aber egal.

So unterschiedlich die Sportarten sind, eines eint Felix und Maria. Sie haben ein Herz für Randsportarten. Marias Freund ist Judoka. Und bei Olympia, da saß Maria zum Beispiel in jeder freien Minute vor dem Fernseher oder dem PC, nicht nur beim Badminton. Im Speiseraum in der Sportschule in Jena lief selbst beim Essen der Fernseher. Dort, wo sonst Handyverbot ist.

Die Kuses sind einfach offen. Hauptsache fit sein, sich bewegen, könnte ein Motto sein. Das haben sie vielleicht von den Eltern. Papa Steffen Kuse war Wasserballer und Schwimmer, Mama Silvana Leichtathletin. Auch heute sind die Eltern noch sportlich unterwegs. Wie die Eltern, so die Kinder also.