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Boxen Das abrupte Ende einer Geisterjagd

Ex-Boxchampion Robert Stieglitz hat mit einem Sieg in der Nacht zu Sonntag in Dessau über den Weißrussen Sergey Khomitsky sein als "WM-Projekt" deklariertes Vorhaben vorangetrieben. Seine SES-Kollegin Christina Hammer holte sich bereits in der dritten Gewichtsklasse einen WM-Gürtel.

Von Rudi Bartlitz 28.07.2014, 01:31

Dessau l Was eigentlich als lustige Geisterjagd über die Bühne der Anhalt-Arena gehen sollte, stellte sich später als einigermaßen Rätsel aufgebende, bisher so noch nicht gesehene Box-Inszenierung dar. Zur Vorgeschichte: Stieglitz` Gegner hat sich, weil er im Ring meist so überraschend agiert und kaum zu fassen ist, den Kampfnamen "der Geist" zugelegt. Beim Magdeburger SES-Stall versuchte man nun, das zu konterkarieren, indem man den eigenen Athleten zur Gaudi des Publikums zum Titelsong des Hollywood-Erfolgsstreifens "Ghostbusters" (Geisterjäger) in die mit 4200 Zuschauern ausverkaufte Halle einmarschieren ließ. So weit, so gut.

Nur: Stieglitz (33) musste schnell erkennen, dass der sechs Jahre ältere Kontrahent kein tumbes Phantom war, das mit einer Handvoll parapsychologischer Tricks und ein wenig psycho-kenetischer Energie aus dem Seilgeviert zu beamen war. Khomitsky langte richtig hin, Stieglitz tat sich schwer. Bis zur achten, neunten Runde. Dann war allerdings klar, dass die Sahara-Temperaturen in der Halle (auf der Kampffläche wurden unter den Scheinwerfern nahezu 50 Grad gemessen) beim Gast Spuren hinterlassen hatten. Und so griff man in dessen Ecke zu Tricks, durch immer wieder sich lockernde Bandagen zusätzlich Zeit zu schinden.

Als dieses Prozedere zu Beginn der 10. Runde sich dann über knapp eine Minute hinzog, erklärte der polnische Ringrichter Stieglitz überraschend zum Sieger durch technischen Knockout. Großes Rätselraten in der Halle, Rätselraten bei vielen Experten. Die Delegierte des Weltverbandes WBO, Beate Poeske, klärte später auf: "Die Ecke hat gleich mehrere Regelverstöße begangen, so dass der Referee den Kämpfer disqualifizieren musste." Box-Experte Axel Schulz zur Volksstimme: "Die haben die Bandagen völlig abgewickelt, das gilt bei uns als Zeichen der Aufgabe." Stieglitz selbst meinte: "Das war einfach unfair. Aber was soll es, ich lag zu diesem Zeitpunkt nach Punkten ohnehin vorn." Sein Promoter Ulf Steinforth nahm`s humorvoll-gelassen: "Das ist der Reiz des Boxens, du erlebst immer wieder Dinge, die es so noch nie gab."

Es sollte nicht der einzige Spuk in dieser schweißtreibenden Geister-Nacht gewesen sein. Im Gefecht von SES-Championesse Christina Hammer, die es sich partout in den Kopf gesetzt hatte, nach den Gürteln im Supermittel- und Mittelgewicht als erste Frau der Welt auch den im Halbmittel zu holen, ereigneten sich ebenfalls merkwürdige Dinge. Zu Beginn von Runde fünf lag die in 17 Profigefechten ungeschlagene, bildhübsche 23-jährige Dortmunderin plötzlich für Sekunden regungslos am Boden.

Große Aufregung am Ring. Was war passiert? Ein Niederschlag - oder eine regelwidrige Aktion ihrer Gegnerin, der hochgelobten Französin Anne-Sophie Mathis? 20 Experten, 21 Meinungen. Jeder interpretierte die Szene etwas anders. Referee Manfred Küchler befand jedenfalls, dass Hammer durch einen Ellbogenhieb ins Genick kampfunfähig geschlagen wurde ("So habe ich es aus meinem Blickwinkel gesehen"). Andere bestritten das, sprachen, allerdings nach Studium der TV-Bilder, von einem (regelkonformen) Schlag aufs Ohr. Hammer selbst meinte zu der umstrittenen Szene: "Sie hat geklammert und nach dem Break-Kommando noch zweimal nachgeschlagen."

Da der Referee das letzte Wort hatte, disqualifizierte er die Frau aus dem Land der (Nächsten-)Liebe. Die verdrückte sich anschließend ganz still und leise und bekam so die sportliche Geste von Hammer gar nicht mehr mit: "So will keiner gewinnen. Ich biete ihr sofort einen Rückkampf an."