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Olympiasiegerin sieht sich als "Gewinnerin der Wende" Dagmar Hase hat ihren Platz gefunden

1989, im Jahr des Mauerfalls, gelang Olympiasiegerin Dagmar Hase der sportliche Durchbruch. Bei der Schwimm-EM in Bonn gewann sie Gold über 200 Meter Rücken. 25 Jahre später ist Wasser immer noch ihr Element, nur hat sich die Perspektive ein wenig geändert. Und das nicht nur, weil die 44-Jährige als Trainerin beim SCM am Beckenrand steht.

10.08.2014, 15:43

Magdeburg l Dagmar Hase muss lachen, wenn sie an den Mauerfall denkt - um genau zu sein, an den Tag danach. "Ich bin wie immer zum Training in die Schwimmhalle gegangen und war fast die Einzige. Alle anderen waren ,rüber`, oder was weiß ich. Die Freiheit feiern vielleicht", erinnert sich die Ex-Schwimmerin, die damals die Kinder- und Jugendsportschule in Halle besuchte. "Für mich kam Schwänzen im Training überhaupt nicht in Frage. Jeder Tag ohne Schwimmen war eine Strafe. Das war mein Leben", blickt die gebürtige Quedlinburgerin zurück auf den Alltag als Leistungsschwimmerin in der DDR, der beileibe kein Zuckerschlecken war.

"Aber das war er nach dem Mauerfall erst recht nicht", sagt die 44-Jährige angesichts stupiden "Kachelnzählens", das 18 Jahre lang ihr Leben - vor und nach der politischen Wende -bestimmen sollte. "Von nichts kommt nun mal nichts, egal in welchem Gesellschaftssystem man seine Bahnen schwimmt", weiß die erfolgreichste deutsche Schwimmerin der 90er Jahre, die im Jahr 2013 in die internationale Hall of Fame aufgenommen wurde, zu berichten.

"Abzuhauen, auf diese Idee wäre ich gar nicht gekommen."

1989 sei für die damalige Schwimmerin des SV Halle ein vor allem sportlich bedeutendes Jahr gewesen. "Ich war 10. Klasse und stand auf der Kippe: Entweder, ich schaffe endlich den Sprung in die Nationalmannschaft, oder das war`s mit dem Schwimmen. Ab nach Hause."

Doch der unbändige Ehrgeiz, die große Triebfeder im Leben der Dagmar Hase, die mit Sohn Oskar (12) und Lebensgefährte Ulli in Danstedt (Harz) heimisch geworden ist, führte die damalige Schwimmerin wie erhofft zum Durchbruch: Bei den DDR-Meisterschaften, die 1989 in Magdeburg, ihrem späteren Lebensmittelpunkt, ausgetragen wurden, trumpfte Hase erstmals groß auf und qualifizierte sich für die EM in Bonn. Dort trug sie mit Gold über 200 Meter Rücken zum brillanten Gesamt-erfolg der DDR-Mannschaft bei, die mit 37 Medaillen, davon allein 16 aus Gold, haushoch die Nationenwertung gewann.

Trotz der Fokussierung auf den Sport habe sie im Jahr des Mauerfalls natürlich auch die politischen Veränderungen mitbekommen, die Entwicklungen in der Zeitung oder im Fernsehen verfolgt. Und sie habe versucht, sich selbst ein Bild zu machen von dem, was da passiert, so Hase. "Klar hörte sich das alles schön an und es war schon eine andere, glitzernde Welt, als wir damals in Bonn waren. Aber abzuhauen, mein Land zu verraten, das stand für mich nie zur Debatte", so Hase, die nicht verstehen konnte, warum es dennoch immer wieder DDR-Sportler gegeben hat, die nach Reisen ins westliche Ausland nicht mehr in die DDR zurückgekehrt waren. "Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen, ich hatte daheim doch alles, was ich brauchte, um glücklich zu sein." Sie habe immergewusst, wohin sie gehöre. Und den Drang nach Reisefreiheit kannte sie nicht, "denn um raus zu dürfen, musste ich ja nur sportlich erfolgreich sein".

Bei der WM 1991 sollte erstmals zusammenwachsen, was zusammengehört. "Das war echt spannend, und natürlich gab es auch Vorbehalte gegenüber den Ossis, die den Wessis die Startplätze weggenommen hatten", erinnert sich die noch immer gertenschlanke Blondine, die in Perth Gold und Silber gewann. Nur ein Jahr später bei den Olympischen Spielen in Barcelona schrieb das Aushängeschild des SC Magdeburg Geschichte, als sie das einzige deutsche Schwimm-Gold holte.

"Im Nachhinein muss ich allerdings sagen, unter den Athleten gab es die allerwenigsten Probleme." Man habe sich irgendwie zusammengerauft . Für Sportler gelte ohnehin zuallererst das Leistungsprinzip. "Und ob nun Wessi oder Ossi - mit dem einen kam ich gut aus, mit dem anderen nicht so gut", so die Ex-Schwimmerin, die bis heute eine Freundschaft mit ihrer damaligen Zimmerkollegin, der Wuppertalerin Simone Osygus, verbindet. "Probleme hat es vor allem auf der Trainer- und Funktionärsebene gegeben. Und wenn ich ehrlich bin, hat sich das bis heute nicht groß geändert. Das ist das wirklich Traurige an der gesamtdeutschen Sportgeschichte", geht Hase, die schon als Athletin nie mit ihrer Meinung hinter den Berg gehalten hat, hart mit der Gegenwart im deutschen Sport ins Gericht. "Es fehlt ein klares Bekenntnis der Politik und Wirtschaft zum Sport. In Deutschland regieren Neid und Missgunst, der Schein bestimmt das Sein. Die Sportstrukturen sind veraltet, jeder kocht sein eigenes Süppchen und es wird gegeneinander statt miteinander gearbeitet."

Dieses seien die Gründe, warum es mit dem Leistungssport im Allgemeinen "und dem Schwimmsport im Besonderen immer mehr bergab geht". Die ungeschminkte Wahrheit sei, dass andere Nationen Deutschland längst den Rang abgelaufen haben, erklärt die siebenfache Europameisterin mit Blick auf den "totalen Untergang" vor zwei Jahren bei Olympia in London. "Deswegen sind auch meine Erwartungen an die Heim-EM ab kommende Woche in Berlin nicht die größten."

Dagmar Hase weiß, wovon sie spricht, denn nachdem die siebenfache Olympia-Medaillengewinnerin 1998 ihre Karriere beendete, wechselte sie die Perspektive. Die Erfahrungen, die sie seit 2001 als Nachwuchs-Trainerin beim SCM sammelt, sind nicht nur gute. "Ich mache meinen Job wirklich mit viel Liebe und Leidenschaft, und ich bin glücklich damit. Doch um das zu sein, musste ich mit meinen Ansprüchen weit runtergehen. Und ich muss einsehen, dass auch ich aus Karpfen keine Delphine machen kann", gesteht Hase, die sich beim SCM hochgearbeitet hat und inzwischen die sogenannten Aufbaukader trainiert - das sind Talente der 6. bis 8. Klasse. "Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen suchen wir im Schwimmsport die Nadel im Heuhaufen."

"Ich kann als Trainerin aus Karpfen keine Delfine machen."

Dass das Sportsystem in Deutschland nicht unbedingt leistungsfördernd ist, erlebe sie dabei jeden Tag. So habe sie "50 bis 60 Prozent mehr" trainiert als die Talente heute. Die Umfänge und Intensitäten seien mit früher nicht zu vergleichen. Es werde ignoriert, dass es in Sportarten wie Schwimmen oder Turnen schon in frühen Jahren im Training zur Sache gehen muss, kritisiert Hase, "aber das ist ohne Schulzeitstreckung gar nicht möglich. Da fangen die Ungereimtheiten im System doch schon an. Vom Umfeld, das für den Leistungssport eher suboptimal ist, oder die fehlende Bereitschaft, dem Sport alles unterzuordnen, mal ganz zu schweigen."

Was Dagmar Hase auch ärgert, ist der geringe Stellenwert, den der Trainerjob in Deutschland hat. Dabei sei nicht nur die soziale Verantwortung immens, gibt sie zu bedenken. "Trainerin zu sein ist praktisch ein Fulltime-Job, den wir als Psychologe, Erzieher, Organisator, Berater und Trainingswissenschaftler in einer Person ausüben." Das erfordere jeden Tag jede Menge Enthusiasmus und Idealismus. Was das betrifft, habe sie in ihrem ehemaligen Trainer Bernd Henneberg das leuchtende Vorbild gehabt. In dessen Fußstapfen zu treten und "irgendwann als Trainerin mal genau so erfolgreich zu sein wie ich es als Athletin war, das wär`s."

25 Jahre nach dem Mauerfall sieht sich Dagmar Hase als "Gewinnerin der Wende" - und das, obwohl sie sich alles hart hatte erarbeiten müssen und sich ihre sportlichen Erfolge nicht so ausgezahlt haben, dass sie im Geld schwimmt: "Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich bin Olympiasiegerin, habe mich neun Jahre ununterbrochen in der Weltspitze gehalten. Und ich habe auch nach Ende meiner Karriere die Kurve gekriegt und meinen Platz gefunden. Und das kann nicht jeder 25 Jahre nach der Wende von sich behaupten."

Der Blog zur Serie: mauerfall@volksstimme.de