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SCM-Präsident Roswandowicz kritisiert Politik Warme Worte, harter Alltag

Nach zum Teil enttäuschenden Ergebnissen in London und Sotschi werden
die Forderungen nach einer effizienteren Spitzensportförderung in
Deutschland lauter. Auch am Rande der Berufung des Sachsen-Anhalt-Teams für Rio klang Kritik durch. SCM-Präsident Dirk Roswandowicz blickt mit großer Skepsis in die Zukunft.

Von Janette Beck 17.10.2014, 01:08

Magdeburg l Die "durchaus erfreuliche Nachricht", dass insgesamt zwölf Athleten des SC Magdeburg am Mittwoch ins Team für Olympia 2016 berufen wurden, entnahm Dirk Roswandowicz bezeichnenderweise aus der Zeitung: "Wir als Verein wurden nicht vorher informiert, wer vom Land ins Oympiateam berufen wurde. Grundsätzlich muss ich dazu sagen, Auswahl und Zahl sind nachvollziehbar und erst einmal so in Ordnung."

Ein solcher Akt wie die Überreichung der Berufungsurkunden durch Sachsen-Anhalts Sportminister Holger Stahlknecht, den LSB-Präsidenten Andreas Silbersack sowie den Leiter des Olympiastützpunktes Helmut Kurrat am Mittwoch ist symbolkräftig. Aber die am Rande der Veranstaltung durchklingenden Sorgen und Probleme vieler Olympiahoffnungen im Alltag (fehlende soziale Absicherung, Existenzängste, unzureichende Gelder für Trainingslager oder die mangelnde Vereinbarkeit von Ausbildung/Beruf mit dem Leistungssport) lösen sich dadurch nicht automatisch in Luft auf. Auch wenn Stahlknecht versicherte: "Als Land lassen wir Sie auf dem Weg nach Rio nicht allein, sondern sorgen dafür, dass Sie hier die passenden Rahmenbedingungen vorfinden."

Solche Worte hört auch Roswandowicz wohl, doch allein ihm fehlt der Glaube: "Und ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Politik wirklich zum Sport bekennt. Alle waren nach der schlechtesten Bilanz aller Zeiten in London enttäuscht. Alle haben nach Veränderung und Verbesserung gerufen. Aber mir fehlt der ehrliche Ansatz. Die Wahrheit ist doch vielmehr, es ist in den zurückliegenden zwei Jahren nicht wirklich etwas passiert."

Während andere Nationen wie China oder Großbritannien massiv aufrüsten und sich auf Sportarten mit einem klaren Medaillen-Potenzial konzentrieren würden, "stagniert bei uns die Entwicklung", so der SCM-Präsident. "Wir als Verein stehen jedenfalls, was Zuschüsse oder so anbelangt, noch genauso da wie vor zwei oder vier Jahren."

Beispielhaft sei, dass der SCM trotz einer nachweislich positiven Entwicklung im Schwimmen "seit zwei Jahren vergeblich um eine zusätzliche Trainerstelle bettelt", so der selbständige Unternehmer, der bei seiner Kritik die Kommune und die Wirtschaft vor Ort ausdrücklich ausnimmt: "Was das lokale und kommunale Engagement betrifft, kann ich mich nicht beschweren. Die Sportstätten sind in einem guten Zustand, Stadt und Sponsoren helfen uns, wo sie können."

"Wir können uns glücklich schätzen, wenn in Rio ein SCM-Sportler eine Olympiamedaille holt." - SCM-Präsident Dirk Roswandowicz

Die gezeigten Leistungen der SCM-Asse bei den Saisonhöhepunkten 2014 sieht Roswandowicz mit einem lachenden und einem weinenden Auge: "Mit der Entwicklung von unseren jungen Sportlern wie Rob Muffels, Finnia Wunram, Yul Oeltze oder Varg Königsmark sind wir sehr zufrieden. Von den gestandenen Athleten hat allerdings nur Marcel Hacker richtig überzeugt. Und fehlt einfach die Breite. "

Doch nicht nur deshalb warnt er davor, Luftschlösser in Rio zu bauen: "Meine Erwartungen sind gedämpft. Wir müssen uns auf eine anhaltende Durststrecke einstellen und ich denke, wir können uns glücklich schätzen, wenn wir in Rio einen Medaillengewinner feiern können." Ohnehin stünden die Zeichen im internationalen Sport so, dass olympisches Edelmetall nicht mehr der alleinige Maßstab sein könne. "Wir müssen realistisch sein und schauen, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen überhaupt machbar ist. Und so wäre es eben genauso als Erfolg zu werten, wenn ein Königsmark oder eine Wunram sich für Olympia qualifizieren."

Dabeisein ist für einen wie Hacker, der seine fünfte Olympiateilnahme anstrebt und in Sydney 2000 Olympia-Bronze im Einer gewann, natürlich nicht alles. "Sportler werden nach wie vor zu allererst nach Medaillen abgerechnet." Und als Mann der klaren Worte drückt sich der diesjährige WM-Fünfte auch nicht wie sämtliche Sportfunktionäre und Politiker am Mittwoch um eine "Zielvereinbarung" für Rio herum. "Mein Traum ist und bleibt Olympiagold."

Obwohl er, wie er nach der Berufung feststellte, mit inzwischen 37 Jahren auf dem Weg nach Rio "mein Ding" macht, schaut Hacker über den Tellerrand hinaus. "Wenn ich hier bewegte Olympia-Bilder sehe, und sehe, wo wir 1992, als noch vom DDR-System profitiert wurde, mal waren und wo wir heute sind, dann stimmt mich das schon sehr nachdenklich."

Aus seiner Sicht werde nicht genügend in den Sport investiert. "138 Millionen Euro vom Bund sind einfach zu wenig", findet Hacker. Zwar könne er für seine Person sagen, dass er beim SCM mit Trainer Roland Oesemann und den Junioren-Weltmeistern Max Appelt und Philipp Syring ein optimales Umfeld vorfindet. "Und ich bin auch durch die großzügige An- bzw. Freistellung bei der Deutschen Bahn AG abgesichert, aber das alles habe ich mir hart erarbeiten müssen. Und wenn ich mich so umhöre, dann geht es längst nicht allen so gut wie mir."