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Wolmirstedter Ex-Radprofi Wesemann In den Bergen angekommen

Die Volksstimme stellt in einer Serie über den Jahreswechsel Sportler
vor, die ihre Karriere in Sachsen-Anhalt begannen, und erzählt, wo und
wie sie heute leben. Den Anfang macht Ex-Radprofi Steffen Wesemann.

Von Klaus Renner 24.12.2014, 02:10

Magdeburg l Einen Schweizer zwischen 12 und 13 Uhr anzurufen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der im Wolmirstedter Ortsteil Elbeu geborene ehemalige Radprofi Steffen Wesemann, offiziell einer der 8,2 Millionen Staatsbürger der Schweizer Eidgenossenschaft, erachtet diese für das Alpenland typische Sitte als nur einen von vielen Gründen dafür, dass er 2005 seinen deutschen Pass abgegeben hat: "Das war aus innerer Überzeugung, sonst hätte ich in dem Jahr nicht für die Schweiz bei der WM starten dürfen."

Mit seiner Frau Caroline (beide haben die gemeinsame 15-jährige Tochter Svena) betreibt "Wese" im eigenen Haus in Küttingen eine Firma. Das Ehepaar verkauft in der Schweiz und in Liechtenstein superleichte Karbonräder wie auch spezielle Einlegesohlen für Radschuhe.

Darüber hinaus konnte der einst als Spezialist für die Frühjahrsklassiker bekannte "Neu-Schweizer" noch nie von seiner Rad-Renner-Karriere lassen. Gemeinsam mit dem zehn Jahre älteren Schweizer Ex-Radprofi Tony Rominger betätigt sich Wesemann darüber hinaus als Manager für aktuelle Radrenner. 15 Pedaleure hat das Duo unter Vertrag. Aus einer anfänglichen Geschäftsbeziehung ist eine Freundschaft bis in die Familien hinein geworden.

Mit seinen fünf Gesamtsiegen bei der Internationalen Friedensfahrt hat der damalige Amateur Wesemann Radsportgeschichte geschrieben.Und heute blickt er lächelnd zurück: "Daran hat Täve Schur immer noch schwer zu knabbern." Schur, populärster Sportler der untergegangenen DDR, war zweimal Straßenweltmeister geworden, hatte die Friedensfahrt jedoch "nur" zweimal gewonnen.

Der als bescheiden und sehr bodenständig geltende Ex-Profi Wesemann geht mit seinen sportlichen Meriten alles andere als hausieren. Pokale, Siegerkränze und -schleifen sowie Urkunden bewahrt der 43-Jährige auf dem Hausboden auf, weil er meint: "Alles kann man sich ansehen. Aber viel wichtiger sind meine Erinnerungen, die ich im Kopf und im Herzen trage." Auch dem siebenfachen Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong, dem wegen Dopings sämtliche Erfolge später aberkannt worden sind, könnne niemand "die Emotionen nehmen, als er als Sieger siebenmal den Champs-Elysees hoch- und runtergefahren" sei. Selbst die später zu Siegern erklärten Zweiten stünden "zwar in den Büchern, aber die Emotionen fehlen ihnen".

Wie in anderen Sportarten

Wesemann erkennt, dass im Radsport nach den erschütternden Doping-Enthüllungen der vergangenen Jahre "langsam wieder etwas in Gang kommt". Doch dann wird seine Stimme entschlossener: "Das ist in anderen Sportarten auch nicht anders." Und er nennt als "Paradebeispiel" Pep Guardiola, den derzeitigen Trainer der Kicker von Bayern München (Guardiola war 2002 gesperrt worden, weil er das anabole Steriod Nandrolon zu sich genommen hatte, ein Gericht hatte ihn zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt, in der Berufungsverhandlung wurde er später freigesprochen/d. Red.).

Zum Abschluss seiner Karriere als Radsportler hatte der in Elbeu Geborene 2008 vor mehr als 10 000 Zuschauern das Kriterium mit rund 50 seiner engsten Sportfreunde in seiner Heimatstadt gewonnen. Jetzt, so gesteht er, habe er "nicht mehr den Ehrgeiz, mich sportlich auf dem Rad zu betätigen". Sein altes Wettkampf-Fieber stieg dann aber doch wieder an, als er kürzlich einen Helm aufbekam und in einem Porsche saß: "Da war der Gedanke des Siegen-Wollens wieder da, aber quälen muss ich mich dafür nicht mehr, es gilt mehr der Fun-Faktor."

In seiner Schweizer Heimat ist Wesemann ganz offensichtlich so recht angekommen. Er genießt neben der täglichen Pause über Mittag das "entspannte Leben" im Lande der Eidgenossen ("Selbst Michael Schumacher hat es stets genossen, dass er hier ins Kino gehen konnte, ohne immer wieder Autogramme schreiben zu müssen"). Ein weiterer Grund, sich in den Schweizer Bergen wohlzufühlen, seien abgesehen von der malerischen Landschaft die dortigen Steuergesetze, die nicht nur Wesemann als "wahnsinnig einfach" bezeichnet. Und dann natürlich die "richtig guten und abwechslungsreichen Trainingsbedingungen, den Rhein entlang flach und zur Abwechslung die steilen Anstiege zu den Pässen".

Und als würde es weiterer Beweise für die enge Verbundenheit des Wolmirstedters mit der Schweiz bedürfen, kommt "Wese" nun tatsächlich ins Schwärmen, wenn er über sein ehrenamtliches Engagement spricht. Da ist zum einen der sechsköpfige Kochclub im Dorfe, der sich alle vier Wochen trifft (ohne Frauen, diese werden zweimal im Jahr dazugeladen), dann der "Panathlon-Club", ein Zusammenschluss von Sportlern und Sportjournalisten, die Schweizer Sportlern finanziell unter die Arme greifen, sowie, unterstützt von seinen zwei englischen Jagdhunden, die regelmäßige Teilnahme an Treibjagden. "Als ehemaliger Deutscher in solche illustren Schweizer Gemeinschaften zu kommen, ist nicht so einfach. Es zeigt mir aber, dass ich in meiner neuen Heimat mit Leib und Seele angekommen bin und das von den Einheimischen ebenso gesehen wird", sagt er nicht ohne Stolz und macht sich wie an jedem Tag mit seinen Hunden zu Fuß auf den rund zweistündigen bis zu zehn Kilometer langen Auslauf ...