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FCM-Präsident Volker Rehboldt zum Auftakt einer Ring-Vorlesung der Hochschule Magdeburg-Stendal über Herausforderungen und Probleme des Fußballs im Osten Neue Zeiten, schlechte Zeiten: Wohin rollt der Ball?

Von Rudi Bartlitz 22.04.2010, 05:17

Das Fußballfieber steigt auch in Sachsen-Anhalt langsam an. In genau 50 Tagen beginnt in Südafrika die Weltmeisterschaft. Wie bereits beim Sommermärchen 2006 organisiert die Hochschule Magdeburg-Stendal aus diesem Anlass eine Ringvorlesung zum Thema "Fußball total – zur gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballsports". Die Auftakt-Vorlesung befasste sich mit dessen Herausforderungen und Problemen in Ostdeutschland.

Magdeburg. Neue Zeiten, schlechte Zeiten. Wenn der geneigte Fußballfreund in Ostdeutschland in diesen Tagen zum Sportteil seiner Zeitung greift, kann es schon passieren, dass ihn geharnischte Wut packt. Oder sich einfach Trauer einstellt. Je nachdem.

Was der Fan in seinem Heimatblatt sieht, ist dies: erste Liga – Fehlanzeige. Kein Ostklub. Zweite Liga – drei kümmerliche Teams aus den neuen Ländern, und die auch mehr oder weniger im Abstiegskampf verwickelt.

Aussichten auf den Aufstieg in die Hautevolee-Klasse? Null komma null.

"Die wollen uns da einfach nicht", entfährt es dann so manchem.

Nun, ganz so einfach ist die Sache denn doch nicht. Zig selbsternannte Expertenrunden haben seit Jahren gerätselt, worin die Crux des Ost-Fußballs denn nun begründet liegt.

Manche sehen die Ursache nahezu allein in der Unfähigkeit der Macher und Manager, die im Verlaufe von zwei Jahrzehnten so manchen Traditionsklub auf Grundeis setzten. Das, so wird jedenfalls behauptet, träfe sowohl zu für indoktrinierte Altkader aus dem DTSB-System, die den Sprung an die Spitze der neuen Vereine geschafft hatten. Dies gelte aber ebenso für nach der Wende vielerorts aus dem Westen gekommene Fußball-Glücksritter.

"Es begann eine sportliche Erosion"

Jetzt hat sich einer an einer Bestandsaufnahme versucht, der als oberster Gralshüter eines ostdeutschen Viertligisten tagtäglich die Grenzen und zuweilen auch die Ohnmacht des hiesigen Kicker-Wesens am eigenen Leib verspürt.

Volker Rehboldt, Präsident des 1. FC Magdeburg, hat sich zum Auftakt der Ring-Vorlesung an der Hochschule Magdeburg-Stendal diesen Problemen zugewandt. Und zum Teil erhellende Tatsachen in die Diskussion eingebracht. Was Rehboldts Darlegungen so interessant machen: Hier hat sich einer zu Wort gemeldet, der den Fußball nicht von irgendeinem Katheder einer Sporthochschule aus verfolgt, sondern, der die Mühen der Ebenen in all ihren Facetten selbst durchlebt.

Der 41-jährige Anwalt nennt in seinem Vortrag vier Kriterien, an denen er die Probleme des Fußballs in Ostdeutschland festmacht. Erstens historisch-demografische, zweitens infrastrukturelle, drittens psychologische und viertens wirtschaftliche. Dass letzterer Punkt den meisten Raum einnimmt, zeigt schon, wo letztlich der Hase im Pfeffer liegt.

Zu historisch-demografischen Ursachen.

Dass mit dem Umbruch 1989 "ein ganzes Land auf den Kopf gestellt wurde", so Rehboldt, sei natürlich auch nicht ohne Einfluss auf den Fußball und seine Spieler geblieben: "Es brachte gewaltige Unruhe in den Fußball." Schon vor Ablauf des Jahres 1989 habe der Westen begonnen, "die Stars der DDR-Oberliga zu ködern". Hier fallen Namen wie der des Ex-Managers von Bayer Leverkusen, Reiner Calmund. Der FCM-Boss: "Es begann eine sportliche Erosion."

Dies habe sich in den Jahren 90/91 bei der Eingliederung der DDR-Mannschaften in die Bundesligen fortgesetzt. Hier kritisiert Rehboldt die Schnelligkeit, mit der seinerzeit dieser Prozess vorangetrieben wurde. Die Klubs hatten nur eine Saison Zeit, sich auf die für sie völlig neue Situation einzustellen. "Es wäre besser gewesen, ihnen einen längeren Zeitraum einzuräumen, um sich gewissermaßen im bezahlten Fußball zu akklimatisieren."

In jener Phase verloren die Ex-DDR-Klubs auch noch ihre letzten Leistungsträger an Westvereine, rekapituliert Rehboldt. "Das kam einer zweiten Erosion gleich." Für seinen Verein, der seit der Wende in allen Relegationen gescheitert ist, seien "die sportlichen Folgen bis heute nicht bewältigt".

Zur selben Zeit begann, so der Präsident der Blau-Weißen weiter, der Unterbau für die Vereine zwischen Rostock und Aue richtiggehend wegzubrechen. Zu schwachen Geburtenraten kam die jetzt einsetzende Abwanderung auch der besten Nachwuchstalente in Richtung Westen hinzu. Deshalb, so warf Rehboldt einen Blick nach vorn, bleibe für den Osten künftig kaum ein anderer Weg, als sich auf "einige, dann aber leistungsstarke Nachwuchs-Leistungszentren zu konzentrieren. Sechs bis sieben dieser Zentren sollten dafür sorgen, dass wieder ein Unterbau geschaffen wird. Und es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass diese Zentren nicht von Westklubs geplündert werden."

Der FCM-Präsident berichtete in diesem Zusammenhang von Erfahrungen seines eigenen Vereins, wo bei Spielen der Junioren zuweilen mehr als ein halbes Dutzend Scouts von Bundesligisten ("bei uns aus naheliegenden geografischen Gründen vor allem aus Wolfsburg und von Hertha") gesehen werden.

Zur Infrastruktur.

Rehboldts These: "Im Osten gab es nach der Wende kaum eine taugliche Infrastruktur für Bundesliga-Fußball." Dieser Nachteil sei erst zu spät beseitigt worden.

Und auch die Ergebnisse seien nicht immer und überall befriedigend. Die größte Arena in den neuen Ländern, das Leipziger Zentralstadion, sei "eine Invest- ruine". Dieses Stadion sei für die Vereine einfach zu teuer. In Rostock ("Nur dadurch konnte sich Hansa zeitweise in der Bundesliga halten.") und Dresden seien zwar inzwischen neue Spielstätten entstanden und in Cottbus sei das Stadion erweitert worden - "aber das hat Jahre gekostet".

"Der Ostfußball hat keine Lobby"

Einschränkend meinte Rehboldt jedoch: "Diesen Infrastruktur-Faktor können wir für den FCM nicht geltend machen. In dieser Hinsicht ist Magdeburg optimal ausgestattet. Unsere derzeitigen Schwierigkeiten sind hausgemacht."

Zur Psychologie.

"Was ich als Psychologie benannt habe, kann man gut und gerne auch als fehlendes Selbstbewusstsein des Ostens bezeichnen", so Rehboldt. Nicht nur, dass der Ostfußball "in Deutschland keine Lobby hat, er stellte jahrelang sein Licht auch unter den Scheffel". Hier müsse sich etwas ändern: "Wir müssen künftig mit wesentlich breiterer Brust auftreten."

Das Gewicht, "das die neuen Länder derzeit im Deutschen Fußball-Bund (DFB) besitzen, entspricht nicht ihrer Rolle im deutschen Fußball", stellt Rehboldt in diesem Zusammenhang fest. Die fehlende Lobby macht er auch dafür mitverantwortlich, dass es beispielsweise nicht gelungen sei, mehr Spiele der Frauen-WM 2011 in den Osten zu holen. Und dafür, dass Magdeburgs Bewerbung ohne Erfolg geblieben ist.

Sollte es nicht gelingen, hier im DFB in nächster Zeit ein Umdenken einzuleiten, werde "es vermutlich noch eine halbe Generation dauern", bis der Ostfußball die ihm zukommende Rolle spielen werde.

Zur Wirtschaftlichkeit.

In der fehlenden Wirtschaftskraft sieht Rehboldt weiterhin das "größte Problem des Fußballs im Osten". Wenn man dies nicht gelöst bekomme, "werden wir im Osten noch lange, lange Probleme haben".

Seine These: "Die regionale Wirtschaftskraft hier reicht einfach nicht aus." Schaue man sich die Vereine an, böte sich nahezu überall dasselbe Bild: "Zu den wichtigsten und damit zahlungskräftigsten Sponsoren gehören in der Regel ein regionaler Energieversorger, die Sparkasse und vielleicht noch ein Versicherer. Das war‘s dann aber auch."

In der Regionalliga zahlten die Hauptsponsoren im Schnitt zwischen 100 000 und 150 000 Euro. "Was uns fehlt, ist die Spitze. Das sind vielleicht jene drei Unternehmen, die eine halbe Million pro Jahr beisteuern, oder vielleicht noch ein bisschen mehr."

Für diesen Mangel an Großsponsoren im Osten macht Rehboldt auch den Umstand verantwortlich, dass sämtliche Budget-Entscheider von auch hierzulande tätigen Firmen im Westen sitzen. Ein Beispiel: Jahrelang habe der FCM versucht, den Henkel-Konzern, der bis vor kurzem eine größere Produktionsstätte in Genthin unterhielt, als Sponsor zu gewinnen. Vom Firmensitz in Düsseldorf (wo das Unternehmen durchaus auch den Fußball unterstützt) sei allerdings nichts anderes als ein ständiges "Nein" zu hören gewesen. Ähnliche Antworten habe man, so Rehboldt ohne Namen zu nennen, auch von Unternehmen bekommen, die ihrerseits durchaus auch selbst als Subventionsempfänger, beispielsweise des Landes, auftreten.

"Wir sponsern nicht, wir kaufen"

In diesem Zusammenhang macht Rehboldt auf eine ebenso interessante wie bezeichnende Entwicklung aufmerksam. Die offensichtliche Schwäche der ostdeutschen Traditionsklubs, finanzkräftige, überregional agierende Sponsoren zu finden, habe sich der österreichische Getränkehersteller Red Bull bewusst zunutze gemacht. Dort habe man sich gesagt: Wir sponsern nicht, wir kaufen uns selbst einen Verein. Und so sei aus dem Leipziger Rand-Verein SSV Meuselwitz eben Rasenballsport Leipzig geworden.

Rehboldt: "Dort hat man eine ganz klare Perspektive: in Leipzig einen Bundesligisten anzusiedeln." Durchaus bemerkenswert: Der FCM-Präsident sieht dieses Experiment offenbar keineswegs zum Scheitern verurteilt: "Auf Dauer wird man sie mit ihrer wirtschaftlichen Kraft nicht aufhalten können."

Rehboldts Resümee: "Sollten größere Unternehmen weiterhin nicht stärker in die Ostvereine investieren, wird sich der Fußball hier noch lange vielen Herausforderung gegenübersehen. Dann wird es schwer, im Osten dauerhaft Klubs zu etablieren, die ein stabiles Bundesliga-Niveau halten können."

Es sei allerdings dennoch nicht angeraten, "angesichts dieser Umstände den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen alles tun, selbst weiter Finanzmittel zu akquirieren, und wir müssen verstärkt unseren eigenen Nachwuchs entwickeln. Einen anderen Weg gibt es derzeit nicht. Alles, was darüber hinausgehen würde, geht nur mit wirtschaftlicher Hilfe von außen."

Eine nüchterne, für viele Freunde des Ostfußballs vielleicht sogar ernüchternde Analyse des FCM-Bosses.

Nichtsdestotrotz sollte man sich stets an den Satz eines gro- ßen Fußball-Weisen dieses Landes erinnern: Es kommt nicht darauf an, meinte der einst, den Ostfußball nur verschieden zu interpretieren, sondern ihn zu verändern.