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Kanu Im Gleichschritt nach oben

Die SCM-Kanuten Felix Gebhardt und Michael Müller sind Malocher, die vom Sport nicht leben können und ihre Karriere dual planen müssen.

Von Janette Beck 25.01.2017, 00:01

Magdeburg l Am vergangenen Donnerstag war es soweit: Felix Gebhardt erhielt die sogenannte Freisprechung. Der Kanute vom SCM darf sich nach erfolgreichem Abschluss seiner Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme „Facharbeiter“ nennen. Entsprechend dieser Qualifikation wird der 20-Jährige, der von seinem Ausbildungsbetrieb, der Bundesnetzagentur in Magdeburg (Bereich Funk und Messdienst), künftig bezahlt. Nicht ganz unmaßgeblich für jemanden, der eine Randsportart betreibt und dessen selbsterklärtes Ziel es ist, 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio dabei zu sein.

„Es war nicht immer einfach, Sport und Ausbildung unter einen Hut zu bekommen.“ Morgens früh aus dem Bett, dann zur Schule oder zur praktischen Ausbildung und danach noch ein oder zwei Trainingseinheiten hinten dranhängen – das sei nicht ohne gewesen. „Aber ich bin glücklich und stolz, dass ich das so durchgezogen habe“, strahlt Gebhardt, zumal er auch noch die Regelzeit von dreieinhalb Jahren eingehalten hat. „Das ging aber nur, weil meine Chefs voll hinter mir standen.“

Bei den Freistellungen für Trainingslager, kompakte Trainingsblöcke oder Wettkämpfe sei man ihm immer entgegengekommen. „Mein Ausbilder Stefan Wilzer war in den letzten Wochen sogar oft nach Ende seiner Arbeitsszeit noch geblieben, um mir bei der Prüfungsvorbereitung zu helfen. Das ist ganz sicher nicht selbstverständlich, und ich rechne ihm das hoch an“, ist Gebhardt angesichts der Manpower, die ihm zu einem Abschluss mit „Zwei“ verholfen hat, „dankbar ohne Ende“.

Im Gleichschritt mit seinem Teamkollegen vollzog auch Canadierfahrer Michael Müller die letzte Etappe seiner Ausbildung zum Industrie-Mechatroniker bei der Getec AG. Allerdings benötigte der 23-Jährige für seinen erfolgreichen Abschluss ganze fünfeinhalb Jahre. „Deshalb ziehe ich echt den Hut vor Felix, dass er das in der normalen Zeit geschafft hat. Krass!“, staunt der WM-Siebte von 2015 im Canadierzweier über die Zielstrebigkeit.

Ein Grund für die längere Dauer war unter anderem, dass Müller in der Vorsaison voll und ganz auf die Karte „Olympia“ gesetzt und seine Ausbildung quasi auf Eis gelegt hatte. „Deshalb tat es ja auch doppelt weh, dass ich Rio am Ende dann trotzdem verpasst hatte“, ärgert sich der Rechtspaddler, der seit 2014 zum Kreis der Nationalmannschaft in der Leistungsklasse zählt.

Doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Denn DKV-Bundestrainer Detlef Hummelt, der die beiden Canadierfahrer im Sommer neu übernommen hat und mit ihnen vor Ort in Magdeburg das Fernziel Tokio 2020 ansteuert, musste bei seinen Schützlingen deutliche Abstriche beim Training machen. Dabei stehen die Herbst- und Wintermonate traditionell im Zeichen von knüppelharter Arbeit in den Bereich Grundlagenausdauer und Kraft.

Müller schätzt, dass er „im Vergleich zur olympischen Saison rund 50 Prozent weniger trainiert“ habe. Hummelt erklärt dazu: „Wir haben bewusst den Fokus auf den Abschluss der Ausbildung gelegt – wann, wenn nicht in einer nacholympischen Saison bietet sich das an?“ Die Jungs würden nie von ihrem Sport leben können, „deswegen ist es wichtig, dass sie die duale Karriere erfolgreich meistern und sich auch beruflich eine Perspektive verschaffen“, betont der Trainer.

In dem Zusammenhang lobt Hummelt die Bereitschaft der regionalen Firmen, Leistungssportler bei ihrer Ausbildung in der Region zu unterstützen. „Wenn, wie im Fall Gebhardt, die Bundesargentur den Jungen auch noch übernimmt und ihn beim Betreiben des Leistungssports unterstützen will, dass ist das wie ein Sechser im Lotto“, urteilt Hummelt. Zumal seine Jungs auch den „etwas steinigeren Weg über eine normale Facharbeiter-Ausbildung“ gewählt haben. Im Vergleich dazu hätten es die Olympia-Hoffnungen Yul Oeltze, Jasmin Fritz und Nina Krankemann, die parallel zu den Azubis Gebhradt/Müller in den letzten vier Monaten am Bundesstützpunkt in Kienbaum ihre straff durchorganisierte Ausbildung bei der Bundespolizei vorangetrieben haben, „doch ein wenig bequemer“, vermutet der Coach.

Nichtsdestotrotz ist er überzeugt, dass die Trainingsrückstände aufholbar seien. „Wenn nicht in diesem Jahr mehr, dann auf jeden Fall 2018.“ Hauptstoßrichtung sei ohnehin Tokio, und bis dahin sei noch genug Zeit, um sich ins Training richtig reinzuhängen. „Das Wichtig war jetzt erst einmal, dass die Jungs für die allerletzte Etappe ihrer Ausbildung und die entscheidenden Prüfungen die Zeit, Ruhe und den Kopf frei hatten. Ab sofort können sie sich voll auf den Sport konzentrieren.“

Und so freuen sich die Weg-gefährten Müller und Gebhardt, die im vergangenen Sommer das Abenteuer Marathon-WM wagten (Platz 9), Seite an Seite den Halbmarathon in Magdeburg überstanden haben und zuletzt gemeinsam bei minus 13 Grad auf den Brocken gewandert sind, auch „wie Bolle“ auf die nunmehr bevorstehenden Verbands-Trainingslager in Sabaudia/Italien. „Da geben wir Vollgas“, versprechen sie unisono. Wettkampfhöhepunkt ist in diesem Jahr die WM in Racice, für die U-23-Kanuten und Junioren ist es die WM in Rumänien. Auf dem Weg dahin sind für alle SCM-Asse die nationalen Qualifikationsrennen Ende April/Anfang Mai in Brandenburg die härtesten Prüfsteine. Und erst da wird sich für die Facharbeiter Gebhardt und Müller zeigen, ob sie auch wahre Meister der dualen Karriere sind.