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SC Magdeburg„Geld wird nicht mehr verpulvert“

Nach den Rio-Spielen wird es beim SCM einen harten Schnitt geben, erklärt Präsident Dirk Roswandowicz (44) im Volksstimme-Interview.

Von Janette Beck 19.10.2016, 01:01

Volksstimme: Bewerten Sie mit etwas Abstand und nach inzwischen erfolgten Gesprächen mit den betreffenden Athleten und Trainern die olympische Saison und die Ergebnisse von Rio anders als zu dem Zeitpunkt, da Sie bereits von einer „tiefen Enttäuschung“ sprachen und einen „harten Schnitt“ ankündigten?

Dirk Roswandowicz: Nein. Wie auch? Die Fakten haben sich ja nicht geändert. Und deshalb bleiben das Vereinspräsidium und ich bei der Einschätzung, dass wir mit dem Abschneiden in der Olympiasaison absolut nicht zufrieden sind. Auch wenn sich das Ergebnis mit acht Olympia-Teilnehmern – und da rechne ich alle Sportler ein, die vom Verein in irgendeiner Form mit Sponsorengeldern – bezahlt oder finanziell unterstützt wurden. Also auch die Profi-Handballer, auch wenn das Gros für andere Nationen ins Rennen gegangen ist. Und von denen hatten wir immerhin mit Marko Bezjak, Bronzemedaillen- gewinner Finn Lemke und den Olympiasiegern Michael Damgaard, Mads Christiansen und Jannick Green gleich fünf dabei.

Wenn man so sieht, also acht Olympioniken, vier Medaillengewinner – das ist insgesamt doch gar keine so schlechte Ausbeute, zumindest gemessen an London (siehe Infokasten), oder?

Die Ansprüche, die wir, aber auch unsere Athleten und die Trainer hatten, waren andere. Zielstellung waren acht bis zehn Olympia-Teilnehmer – die Handballer hier mal rausgerechnet. Dass kein einziger Kanute oder auch Leichtathlet den Sprung nach Rio geschafft hat, ist ein Drama und absolut unbefriedigend. Da sind die Erwartungen aller nicht erfüllt worden. Und nicht zuletzt sind wir ja auch unseren Sponsoren rechenschaftspflichtig. Die wollen ja auch wissen, warum trotz ihres Engagements letztlich so wenig rauskommt. Deshalb musste es ganz einfach Konsequenzen geben. Der Schnitt in unserer Förderstruktur ist zugegeben für einige hart, andere kommen indes künftig besser weg.

Was wird sich genau ändern?

Wider Erwarten, und das sollte zunächst einmal positiv gewertet werden, geben wir allen Schwerpunktsportarten, die wir bis jetzt gefördert haben, auch im neuen Olympiazyklus eine Chance. Heißt konkret: Spitzensport wird es beim SCM weiter in den Sportarten Rudern, Kanu, Schwimmen, Leichtathletik und im Handball geben. In welchem Maße aber was wie gefördert wird, hängt ganz stark von den Rahmenbedingungen ab und der Frage, in welchen Sportarten der Status als Bundestützpunkt erhalten bleibt. Die Diskussion über die Reformen im deutschen Spitzensport ist voll im Gange und erst im Dezember sollen die neuen Strukturen stehen. Und da werden wir als Verein an der Basis gar nicht gefragt, was im unseren Interesse ist und was nicht. Wir können also nur das grundlegend verändern, was in unserem Einflussbereich liegt.

Nämlich?

Die vorhandenen Mittel besser und gerechter verteilen und Schwerpunkte setzen, statt alles machen zu wollen. Konkret heißt das, dass der SCM künftig verstärkt auf den Nachwuchs setzt und sich in den Sportarten auf die Stärken, sprich bestimmte Sparten, konzentriert – wie beispielsweise in der Leichtathletik auf den Bereich Wurf/Stoß. Zudem werden die etablierten Athleten im Spitzenbereich noch stärker leistungsbezogene Verträge erhalten. In der Umsetzung sieht das folgendermaßen aus: Es wurde eine Liste erstellt mit insgesamt 34 Athleten, die einen Vertrag erhalten werden. Dieser sichert ihnen monatlich eine Summe X zu. Diese finanzielle Unterstützung fängt bei Talenten im Altersklassenbereich U 18 an und hört bei unseren absoluten Leistungsträgern wie Franziska Hentke, Florian Wellbrock, Rob Muffels, Finnia Wunram oder auch Martin Wierig und Anna Rüh auf.

Über welche Summen sprechen wir da?

Zu Vertragsdetails werde ich nichts sagen. Nur soviel: Die Summen sind natürlich nach Leistungs- und Altersbereich gestaffelt, und das Gesamtbudget – inklusive Prämien für Titel, Medaillen oder auch eine Teilnahme an einer internationalen Meisterschaft – für alle Sportler des SCM bewegt sich pro Jahr im unteren sechsstelligen Bereich.

Wird insgesamt mehr oder weniger investiert?

Die Gesamtsumme für das kommende Jahr ist ungefähr die gleiche wie im Olympiajahr 2016. Wie gesagt, das Geld wird nur künftig nicht mehr verpulvert, sondern bestmöglich und gerecht verteilt. Dabei haben wir auch das bestehende Wertesystem gekippt, so dass uns künftig eine Medaille im Freiwasser mit dem Team genauso viel wert ist wie eine Medaille mit der Sprintstaffel oder eine im Doppelvierer im Rudern.

Und wie war die Reaktion bei den Sportlern?

Zunächst einmal möchte ich vorausschicken, dass wir uns die Entscheidung, wer auf die Liste gehört, und wer nicht, keineswegs leicht gemacht haben.

Auf welcher Basis wurde sie denn getroffen?

Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Über jeden einzelnen Athleten wurde im Präsidium diskutiert, das Pro und Kontra abgewogen. Dazu haben wir uns zunächst die Meinung der Trainer zum derzeitigen Status quo der Sportler eingeholt. Das sind zwar alles Berufsoptimisten, aber es sind nun mal die Fachleute, die am Mann arbeiten und am besten beurteilen können, ob Perspektive und Entwicklungspotenzial da sind und wie die realen Chancen stehen, sich auf internationaler Bühne vorn zu platzieren. Wir mussten darauf vertrauen, dass die Einschätzung der Trainer seriös, ehrlich und uneigennützig erfolgt. Grundsätzlich waren es aber gute Gespräche mit den Athleten. Dass es einigen nicht gefallen hat, dass sie künftig gar nichts, weniger, oder nur prämienbezogen ihre Leistungen honoriert bekommen sollen, ist doch klar und auch verständlich. Und mit den Konsequenzen müssen und können wir leben.

Sie sprechen damit auf mögliche Vereinswechsel an – vor allem in der Leichtathletik?

Ja, da sind die Einschnitte wohl am größten. Auch, weil wir uns entschieden haben, explizit den Langsprint-Bereich in der Spitze nicht mehr wie bisher zu fördern. Dass den betreffenden Athleten, die wir gerne behalten hätten, das von uns angebotene Prämiensystem zu wenig ist und sie ihren Marktwert höher einschätzen, sei ihnen zugestanden.

Was versprechen Sie sich von den nunmehr eingeleiteten Veränderungen?

Die Neuausrichtung des Vereins zielt klar auf eine deutliche Steigerung der Teilnehmerzahl bei den Olympischen Spielen 2020 und 2024 ab. Was die Spiele in Tokio in vier Jahren betrifft, sieht das auch gar nicht so schlecht aus. Vorausgesetzt, unsere neue Förderstruktur greift und die Athleten, die in dem entsprechenden Alter sind, entwickeln sich progressiv weiter und bleiben gesund.

Dass vom SCM acht bis zehn Athleten den Sprung ins Olympia-Team 2020 schaffen könnten, erscheint aus heutiger Sicht nicht unmöglich. Aber das Beispiel Rio hat ja gezeigt, was solche Rechnungen im Voraus am Ende wert sind. Und, um das noch einmal deutlich zu sagen, was den Leistungssport betrifft, haben die Fachverbände das letzte Wort. Wir als Verein sind das schwächste Glied und bekommen regelmäßig die Prügel, wenn es nicht läuft. Und wer weiß, vielleicht gibt es am Olympiastützpunkt Magdeburg in vier, fünf Jahren gar keine Spitzensportförderung im Kanu oder Rudern mehr?!

Und Medaillen interessieren schon gar nicht mehr?

Wir müssen von diesem Medaillenzählen weg. Angesichts der steigenden Anforderungen und der massiven Probleme, mit denen der Leistungssport weltweit zu kämpfen hat, vom Reizthema Doping angefangen bis hin zur Globalisierung, ist ein solcher Maßstab nicht mehr zeitgemäß. Da bin ich mit unserem Bundespräsidenten Gauck ganz einer Meinung. Für uns als Verein ist künftig die Olympia-Teilnahme das Ziel, das wir ausgeben.