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Sportpolitik Schurs Scheitern hat Konsequenzen

Radsport-Idol Täve Schur ist auch im zweiten Anlauf nicht in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen worden.

Von Daniel Hübner 30.04.2017, 01:01

Magdeburg l Gustav-Adolf Täve Schur hat am Donnerstag früh sein Haus in Heyrothsberge verlassen und war deshalb weder persönlich noch telefonisch anzutreffen, um Fragen zu seinem erneuten Scheitern bei der Wahl in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ zu beantworten. Der „Jahrhundertsportler der DDR“ wird dem Ergebnis allerdings wenig Beachtung schenken. Denn bei dieser Wahl ging es auch diesmal weniger um sportliche, als vielmehr um politische Motive, die seine Aufnahme auch im zweiten Versuch nach 2011 verhinderten.

Am Donnerstag verkündete die Deutsche Sporthilfe nämlich: Weitspringerin Heike Drechsler, Skispringer Sven Hannawald, der Nordische Kombinierer Franz Keller und der Fußballer Lothar Matthäus werden im 50. Jahr der Institution in die Ruhmeshalle, einem virtuellen Raum im Internet, aufgenommen. Nicht aber der 86-jährige Schur, der zweimal die Friedensfahrt und zwei Weltmeistertitel gewann. „Ich bin sehr enttäuscht“, gestand Andreas Silbersack, der Chef des Landessportbundes Sachsen-Anhalt (LSB), gegenüber der Volksstimme. Silbersack selbst hatte Schur vorgeschlagen. Doch die meisten der 93 Jury-Mitglieder – Vertreter der Sporthilfe, des Deutschen Olympischen Sportbundes, Sportjournalisten, das Bundespräsidialamt sowie alle lebenden Mitglieder der „Hall of Fame“ – zeigten den Daumen nach unten. Schur blieb unter den erforderlichen 50 Prozent der Stimmen. Silbersack bezeichnete dies als „kapitalen Fehler“ mit Blick auf die gemeinsame Sportgeschichte. Die diesjährige Wahl stand im Zeichen der deutschen Einheit.

Der Wahl vorausgegangen war eine heftige Kontroverse. Erst erklärte Schur, 30 Jahre lang SED-Volkskammer-Abgeordneter, im „Neuen Deutschland“: „Der DDR-Sport war nicht kriminell.“

Dann schob Hans Wilhelm Gäb, Ex-Sporthilfe-Chef und 2006 Initiator der Ruhmeshalle, im Gespräch mit dem Sport-Informationsdienst (SID) nach: „Kein Mensch käme auf die Idee, einen im Sport erfolgreichen Nazi, wenn er auch heute noch die Untaten des Regimes verherrlichte, in die ,Hall of Fame‘ aufzunehmen. Warum dann Schur, der mit 86 Jahren immer noch als Propagandist einer Diktatur auftritt, die erwiesenermaßen Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat?“ Silbersack war empört: „Wenn jemand die Verherrlichung des Nazi-Regimes und die des DDR-Sports gleichsetzt, ist das mehr als widerwärtig.“ Allerdings räumte er mit Blick auf Schurs Aussagen ein: „Wahrscheinlich hat ein Interview die sportliche Lebensleistung von ,Täve‘ Schur in den Hintergrund gerückt.“

Ines Geipel, die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins und eine der größten Kritikerinnen Schurs, zeigte sich deshalb erleichtert. „Nach einer intensiven Diskussion ist die Jury ihrem Wertekodex gefolgt. Das ist sehr zu begrüßen“, sagte Geipel dem SID.

Schurs Scheitern hat dennoch Konsequenzen: Der Sinn der „Hall of Fame“ wird nun völlig in Frage gestellt. Der gesamten Diskussion um die deutsche Sport-Vergangenheit könne man nur gerecht werden, „wenn man sich nochmals grundsätzlich mit der Thematik auseinandersetzt und nicht nur über Jury-Stimmen redet“, erklärte Sporthilfe-Chef Michael Ilgner. Er kündigte sogleich ein Diskussionsforum im Herbst an. Es müssten im Jahr 27 nach der Wiedervereinigung überzeugende Antworten auf die Fragen gefunden werden: „Was soll, kann und muss eine ,Hall of Fame‘ des deutschen Sports‘ leisten?“ Immerhin sei die Ruhmeshalle eine Einrichtung der Erinnerung und Aufklärung, die auch „unangenehme Wahrheiten nicht verschweigen soll“. Ilgner wünscht sich eine Debatte ohne Emotionen. Aber das wird wohl ein Wunsch bleiben.

Täve Schur wird sich an der Aufklärung womöglich nicht mehr beteiligen. Die Aufnahme in die „Hall of Fame“ würde er wohl nur akzeptieren, wenn er dafür seine Meinung über den DDR-Sport nicht ändern muss. Und das ist unmöglich. Genauso wie eine erneute Wahl durch die Jury. Ilgner: „In dieser Weise wird es keinen dritten Anlauf geben.“s