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Olympia-AusSprachlos in Rio

SCM-Schwimmerin Franziska Hentke ereilte bei Olympia 2016 in Rio de Janeiro bereits im Halbfinale das Aus.

Von Daniel Hübner 11.08.2016, 07:38

Rio  de Janeiro l Ihre heimische Elbeschwimmhalle ist in der vergangenen Nacht leer geblieben, in dieser Nacht ihres so oft geträumten Finals. Kein Public Viewing. Kein Event namens „Wir für Franzi“, das der SC Magdeburg für seinen „Schmetterling“ geplant hatte. Erst recht kein Jubel. Traurigkeit hatte sich am Mittwochmorgen (MESZ) über Grün-Rot gelegt. Nicht etwa, weil die Schwimmerin Franziska Hentke den olympische Endlauf über die 200 Meter Schmetterling verpasst und Platz elf über ihre Paradedistanz belegt hatte. Sondern weil es dem Menschen Franziska Hentke passiert ist.

„Wir sind trotzdem stolz auf sie, und sie kann auf sich stolz sein. Wir werden auch in Zukunft immer hinter den Sportlern stehen, die die Olympia-Kohlen für uns aus dem Feuer geholt haben“, sagte Präsident Dirk Roswandowicz am Mittwochnachmittag. Wohlwissend, dass jedes tröstende Wort in diesen Stunden und in den nächsten Tagen die Athletin selbst nicht trösten oder überhaupt erreichen kann. „Sie hatte eben wenig Glück, und es kam am Ende wenig zusammen, es tut mir leid für sie.“

Etwa zehn Stunden lagen zwischen seiner Einschätzung und Hentkes Aus im Semifinale. Es war womöglich der bislang traurigste Moment der Spiele aus deutscher Sicht. Die 27-Jährige schüttelte nach dem Anschlag den Kopf, legte das Gesicht in ihre Hände. Ein paar Minuten später musste sie vor der TV-Kamera und der schreibenden Zunft in der Mixed-Zone des Aquatic Stadiums in Barra Rede und Antwort stehen. Sie hat die Tortur so professionell wie immer über sich ergehen lassen. Erst ohne Tränen, dann mit: Schluchzend stand sie in den Katakomben der Halle, trocknete ihre Augen mit einem weißen Handtuch, das sie zunächst über ihren Kopf und später schützend über ihre Schultern gelegt hatte. Was sie dann überall in ihrer Ratlosigkeit sagte: „Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert ist.“

Vielleicht war es die Tatsache, permanent als eine Medaillenkandidatin bei diesen Spielen gehandelt zu werden, wogegen sich Hentke mental nicht mehr wehren konnte. Für die Spiele 2008 in Peking konnte sie sich nicht qualifizieren, London 2012 verpasste sie wegen ständiger Infekte. Und nun, in Rio 2016, sollte sie die Medaillenbilanz der deutschen Beckenschwimmer retten?

Die Vorbereitung kann jedenfalls keine Schuld daran haben, dass sich der Finaltraum nicht erfüllte. Ihr Trainer Bernd Berkhahn hat nicht experimentiert. Er hat seinen Schützling mit dem entsprechenden Abstand vom Höhentrainingslager zu den Spielen geschickt. Sie war am 17. Tag nach ihrer Rückkehr aus der Sierra Nevada (Spanien) in Rio ins Becken gesprungen. „Das Trainingslager war definitiv kein Fehler, mit diesen Zeitabständen bin ich schon zwei Topzeiten geschwommen“, betonte Hentke. Zum Beispiel hat sie mit diesem Abstand im Juli 2015 den deutschen Rekord in 2:05,26 Minuten aufgestellt. „Ich bin in Topform, ich habe die Kraft und die Ausdauer. Ich kann mir nicht erklären, warum ich es nicht ins Wasser gebracht habe“, sagte Hentke noch. „Im Training hatte ich Bestwerte gehabt.“ Vielleicht hat sie in Rio einfach nie das nötige Gefühl fürs Wasser gefunden.

Coach Berkhahn konnte sich ihre Leistung auch nicht erklären. Er erinnerte an ihr Finale bei der Europameisterschaft im Mai in London, das sie in 2:07,23 Minuten gewonnen hatte. Damals übrigens „aus dem vollen Training heraus“, berichtete der 45-Jährige. Im Halbfinale von Rio war sie trotz der speziellen Vorbereitung 44 Hundertstelsekunden langsamer. „Eigene Dummheit“ hat Hentke irgendwann in den Stunden der Enttäuschung als Grund genannt. Aber Selbstvorwürfe sind weder angebracht, noch sinnvoll. Zumal der Gesamteindruck genug schmerzt: „Vier Jahre Arbeit für diesen Traum zerstört – ich bin enttäuscht und sprachlos.“

Dirk Roswandowicz weiß: „Sie wird sicher zwei, drei Tage brauchen, um das alles sacken zu lassen.“ Zugleich hofft er, „dass sie ihre ersten Sommerspiele trotzdem noch genießen kann“. Franziska Hentke mag ja Handball. Und so, wie es aktuell ausschaut, wird sie noch einige Spiele der deutschen Nationalmannschaft besuchen dürfen. Franziska Hentke wird sich außerdem irgendwann freuen, keinen Rock bei der Abschlussveranstaltung am 21. August tragen zu müssen. „Der ist dafür nicht vorgesehen“, hat sie vor einigen Tagen lachend erklärt. Röcke mag sie nämlich nicht sonderlich. Eis dagegen mag sie sehr, davon dürfte es irgendwo an der Copacabana reichlich und in allen Sorten geben.

Und dann wird sie an einem Tag im September, irgendwann nach dem Urlaub, wissen, dass es für sie weitergeht. Nach dem neunten Platz in Barcelona 2013 und dem vierten Platz in Kasan 2015 hat sie mit einer Weltmeisterschaft noch eine Rechnung offen. Die nächste steigt 2017 in Budapest.

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