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Olympia Die Kurve neun wird zum Scharfrichter

Die Kunsteisbahn im Alpensia Sliding Centre stellt eine große Herausforderung für die Sportler dar. Besonders gefährlich: Die Kurve neun.

Von Janette Beck 15.02.2018, 00:01

Magdeburg/Pyeongchang l „Selektiv“, „krass“, „fair“, „machbar“ „anspruchsvoll“ - so unterschiedlich die Urteile über die olympische Eisrinne in Pyeongchang auch ausfallen mögen - in einem waren sich alle Rennrodler einig: Die Kurve neun ist der Scharfrichter. „Hier trennt sich wohl die Spreu vom Weizen. Wer da jeweils die wenigsten Fahrfehler macht, hat die größten Chancen vorn zu landen“, war sich Rennrodler Toni Eggert bereits vor den Abflug nach Südkorea sicher. Und er sollte Recht behalten ...

Felix Loch kann inzwischen das Klagelied singen. Für den Olympiasieger von Vancouver und Sotschi zerschellte der Traum vom Gold-Hattrick in besagter Kurve. Natalie Geisenberger meinte: „Diese Kurve ist hart. Wenn du sie triffst, ist alles in Ordnung. Wenn du sie aber nicht richtig triffst, dann bekommst du am Kurvenausgang links eine Watschn.“

Soll heißen: Es gibt einen heftigen Kontakt mit der Eisrinne. Das Resultat zeigt sich wenig später als Blaufärbung am Oberschenkel. Und auf der Anzeigetafel. „Ich kenne nichts Vergleichbares“, sagt die neue Olympiasiegerin aus Miesbacherin, die die Kurve neun weitaus besser meisterte als ihr Berchtesgardener Teamkollege.

Das heimtückische an der Schlüsselstelle sind die Folgen eines Fahrfehlers: Wer sie nicht sauber durchfährt, der schlängelt sich wie ein hilfloser Regenwurm in einem Wasserglas durch die folgenden zwei leichten Kurven zehn und elf (Schikane genannt), und weil der Schlitten pendelt und nicht richtig ausgerichtet ist, springt man wie über eine kleine Schanze hinein in Kurve zwölf. Guten Flug, und vor allem sichere Landung möchte man da sagen. „Ein minimaler Fahrfehler führt zu riesigen Auswirkungen“, wusste auch Eggert um die Schikane, die heute noch einmal auf die Rodler beim Team-Wettbewerb und die Bob- und Skeletonfahrer in den nächsten Tagen wartet.

Und wer hat‘s erfunden? Ausgerechnet ein Deutscher: Uwe Deyle. Der Ingenieur, der sich die spezielle Streckenführung ausgedacht hat, zeichnete bereits für die Bahnen in Winterberg, Oberhof und Innsbruck verantwortlich. Und auch die Olympiabahnen in Sarajevo, Salt Lake City und Turin entsprangen seinem klugen Kopf. „Mein Ansatz für die Olympiabahn war, dass der gewinnen soll, der das beste Fahrgefühl besitzt, der den besten Schlitten hat, die beste Aerodynamik an den Tag legt und die beste Fahrlinie findet“, so der 57-jährige Stuttgarter. „Ein Zufallssieger wäre für Olympia nicht würdig.“

Beim Bau der Kurven durfte Deyle natürlich nicht schalten und walten wie wer wollte. Die Bahnkommission des Internationalen Bob- und Schlittenverbands (IBSF) hatte beim der Konstruktion ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Markus Aschauer, Bahnbeauftragter des Weltverbandes, betonte im Deutschlandfunk, dass die Eisrinne bewusst so gebaut, „um den Sport interessant und die Bahn selektiv zu machen“.

Die Kurve neun habe eine extrem lange Ein- und Ausfahrt, so Aschauer. „Der Mittelbereich ist indes ganz kurz. Der Bereich, auf dem der Rodler lenken kann, misst nur zehn Zentimeter.“ Bei Geschwindigkeiten von mehr als 120 Stundenkilometern und innerhalb von 0,1 Sekunden diesen Punkt zu treffen, sei die große Kunst. Klingt kompliziert, und ist es wohl auch ...