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"Entzauberter Olympia-Arzt"DOSB begrüßt Studie über Keuls Rolle im Doping

Der Freiburger Joseph Keul war einer der bekanntesten Sportmediziner Deutschlands. Von 1960 an war er auch ärztlicher Betreuer der deutschen Athleten bei Olympischen Spielen. Eine Studie zeigt nun, welche Rolle er beim Doping in der Bundesrepublik spielte.

Von Andreas Schirmer, dpa 19.03.2017, 12:22

Freiburg (dpa) - Der DOSB fordert nach der Veröffentlichung eines Gutachtens zur Rolle des früheren Olympia-Arztes und Freiburger Sportmediziners Joseph Keul im Doping eine lückenlose Aufklärung der Vergangenheit.

"Für den Deutschen Olympischen Sportbund hat die Aufklärung der Ereignisse in Freiburg hohe Priorität", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Sie sei wichtig, um Doping aktuell und in Zukunft aktiv wirksam bekämpfen zu können.

Der DOSB appelliert an die Verantwortlichen, trotz aller Diskussionen um die Evaluierungskommission sämtliche Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Damit ist auch eine leistungssportliche Neubewertung damaliger Ergebnisse der deutschen Mannschaft vorzunehmen", forderte Hörmann.

Die Kommission untersuchte die Verstrickung der Universität Freiburg in das Doping, hatte sich aber nach Streit mit der Uni vor einem Jahr aufgelöst. Die Uni hatte die Keul-Studie beim Wissenschaftler Andreas Singler, der das 401 Seiten umfassende Gutachten am 18. März auf eigene Initiative publik machte, in Auftrag gegeben.

Danach sei der Keul, der von 1960 bis Ende der 90er Jahr Olympia-Arzt gewesen war, einer der "am meisten dopingbelasteten Sportmediziner in Westdeutschland" gewesen. Der 2000 gestorbene langjährige Leiter der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg sei in seiner Karriere zum "zentralen Garanten" der Doppel-Moral und der Vereinbarkeitsfiktion "des eigentlich Unvereinbaren gewesen, von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und vom manipulationsfreiem Spitzensport als Normalfall".

Für den Doping-Experten Fritz Sörgel, bis zur Auflösung Mitglied der Evaluierungskommission, ist Keul ein "entzauberter Olympia-Arzt". Freiburg sei das Dopingzentrum gewesen, "Keul war die graue Eminenz. Er war der Ordinarius, er gab den Ton an." Zwischen Forschung und Betrug sei nicht zu unterscheiden gewesen, da lief es Hand in Hand.

Laut Singler und Co-Autor Gerhard Treutlein hat Keul selbst nicht viele Sportler gedopt. Dafür habe er "mit jahrzehntelangen Marginalisierungen, Verharmlosungen und Täuschungen über die wahren Verhältnisse" Wirkungen erzeugt, wozu im bundesdeutschen Sport vor allem nach der Manipulationsdebatte von 1976/77 geschwiegen werden sollte: Doping.

Allerdings lieferten die Gutachter Belege, dass Keul nachweislich vereinzelte Athleten dopte. Als sicher gilt dies im Zusammenhang mit dem Doping zweier Hammerwerfer, die vor dem offiziellen Verbot 1977, aber zumindest in einem dieser Fälle bereits zu Zeiten des Verbots durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF seit 1970/71, mit Anabolika gedopt worden waren. Keul hatte aktives Doping stets bestritten.

"In den 1970er Jahren, bis zur großen Manipulationsdebatte 1976 und 1977 im Nachgang zu den Olympischen Spielen in Montreal, stand Keul zumindest vereinzelt nachweisbar auch für aktives Doping beziehungsweise die aktive medizinisch nicht indizierte Intervention zum Zweck der Leistungssteigerung", schreiben die Autoren in ihrer Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag.

Dazu gehöre die "Kolbe-Spritze", die dem damaligen Ruder-Weltmeister Peter-Michael Kolbe vor dem Einer-Finale der Sommerspiele von 1976 gegen Ermüdung verabreicht worden war, und die Aktion "Luftklistier". Damit wurde bei bundesdeutschen Schwimmern zur Verbesserung der Wasserlage Luft oder ein Luft-Gas-Gemisch in den Darm gepresst. In beiden Fällen habe Keul laut Gutachten mitgewirkt. Allerdings habe er Kolbe nicht selbst gespritzt. Hingegen setzte der Mediziner, so Singler, die Spritze beispielsweise bei Schwimmern.

Die "eigentliche Mittäterleistung" Keuls beim bundesdeutschen Doping habe im Imagemanagement für den Hochleistungssport bestanden, in einzelnen Fällen seien auch "handfestere Maßnahmen nachweisbar: die Vertuschung von vorliegenden Dopingfällen", stellten die Wissenschaftler fest. Darüber würden für die Zeit zwischen 1983 und 1996 neben Akten aus Archiven auch Zeitzeugen Aufschluss geben.

Geschildert wird in dem Gutachten das Management eines Testestoron-Dopingfalls 1983 und mutmaßliche anabolikagestützte Olympia-Vorbereitung für 1984 unter Aufsicht Keuls und des Doping-Analytikers Manfred Donike. Ein Leichtathlet sei bei der Doping-Kontrolle bei den deutschen Meisterschaften 1983 in Braunschweig der Einnahme von Testosteron überführt worden. Das Mittel war erst Anfang 1982 auf die Dopingliste gesetzt worden. Der Athlet bestritt die Einnahme, konnte aber wegen der von der IAAF noch nicht veröffentlichten Grenzwerte nicht offiziell gesperrt werden.

In der Folge sei von Keul und Donike bei dem Sportler über Jahre hinweg das Testosteron-Abbauverhalten überprüft worden. Dabei war laut Studie den obersten deutschen Doping-Bekämpfern laut Akten auch bekannt, dass der Athlet über Testosteron hinaus synthetische Anabolika eingenommen hatte. "Eingedenk dieser Tatsache ist es ein Skandal von historisch fast einmaligem Ausmaß, dass der Sportler von höchster Stelle wissenschaftlich begleitet 1983 bei der WM in Helsinki und 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles mit beträchtlichem Erfolg teilnehmen konnte", schreiben die Autoren.