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"Streichle mich" Huhn, Katze und Co.: Tiere als Co-Therapeuten

Als Co-Therapeuten beim Menschen haben sich Tiere längst etabliert. Pferd, Hund oder Katze können kleinen wie großen Patienten helfen, zum Beispiel Angststörungen oder Depressionen zu überwinden.

Von Sabine Meuter, dpa 17.03.2017, 03:51
Cornelia Drees fährt mit ihren Tieren in Pflegeheime, Schulen oder Kindergärten. Hier ist Hahn Valentin im Ella-Ehlers-Haus der AWO in Bremen zu Gast. Foto: Ingo Wagner/dpa-tmn
Cornelia Drees fährt mit ihren Tieren in Pflegeheime, Schulen oder Kindergärten. Hier ist Hahn Valentin im Ella-Ehlers-Haus der AWO in Bremen zu Gast. Foto: Ingo Wagner/dpa-tmn dpa-tmn

Berlin/Worpswede (dpa/tmn) - Mit einem depressiven Menschen Kontakt aufzunehmen, ist gar nicht so einfach - selbst für Psychotherapeuten. Man stelle sich vor, während der Sitzung tollt ein kleiner Hund um den Patienten, schaut ihn aus schwarzen Knopfaugen an und signalisiert: "Streichle mich."

Das kann die Lage deutlich entspannen. Nicht nur Hunde, auch Pferde, Meerschweinchen oder Schildkröten werden deshalb manchmal als Co-Therapeuten eingesetzt.

"Vor allem bei der Behandlung von Angststörungen und Depressionen können mit tiergestützten Therapien große Erfolge erzielt werden", sagt Prof. Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe. "Depressive zum Beispiel haben mitunter Schwierigkeiten damit, Kontakt zu ihrem Gegenüber aufzunehmen und Vertrauen aufzubauen", erklärt Deister. Ein Hund sei dann ein guter Weg, die Barriere zu durchbrechen - vorausgesetzt, Patient wie Therapeut haben in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit Hunden gemacht. Dann fungiert das Tier als "Türöffner" zwischen Therapeut und Patient.

Dass Tiere auf die Stimmung wirken können, ist sogar empirisch bestätigt: "Bei Depressiven, aber auch bei alten und kranken Menschen verbessert sich die Stimmung, sobald sie Kontakt mit Tieren haben", erklärt Deister, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) ist. Er verweist auf eine US-Studie von 2007.

Auch Patienten mit Angststörungen kann der Umgang mit Tieren guttun. "Wer Angst hat, ist angespannt", sagt Deister. Ein Tier hilft im besten Fall, sich zu entspannen. Wirkung zeigt der Kontakt mit Tieren zudem bei Autismus. In einer Studie aus dem Jahr von 2009 waren autistische Kinder nach therapeutischen Reitstunden eher bereit zu kommunizieren. Und 2006 fanden die Autoren eines Studienüberblicks mehrere kleine Studien, die zeigten, dass eine tiergestützte Therapie auch bei Menschen mit Demenz zu mehr Offenheit führen kann. Erwiesen ist auch, dass Tiere stressreduzierend auf Menschen wirken. "Dabei muss der Patient nicht einmal einen Bezug zu dem jeweiligen Tier haben", sagt Diplombiologin Cornelia Drees, die selbst mit Tieren arbeitet.

Ein Geheimnis der Wirkung von Tieren auf den Menschen könnte darin liegen, dass Tiere nicht werten. "Sie akzeptieren Menschen mit all ihren Schwächen und Stärken", sagt Deister. Deshalb werden sie nicht nur therapeutisch eingesetzt. Neben der Therapie gibt es auch sogenannte tiergestützte Interventionen, also Aktivitäten mit Tieren. Sie werden nicht von Therapeuten durchgeführt, sondern zum Beispiel von Cornelia Drees, die Fachkraft für tiergestützte Interventionen ist. Sie besucht mit ihren Tieren Seniorenheime, Kindergärten, Schulen oder Heime für Menschen mit Beeinträchtigungen. Ein therapeutisches Ziel verfolgt sie nicht.

Drees lädt die Teilnehmer ein, sich in einem Kreis zusammenzufinden. Die Tiere - Meerschweinchen oder Kaninchen zum Beispiel - setzt sie in die Mitte. Dann stellt sie den Anwesenden jedes Tier vor, erzählt, wo es herkommt, was es mag und was nicht. Dabei beobachtet sie, wer sich zu welchem Tier hingezogen fühlt - und umgekehrt. Dann stellt sie den Teilnehmern Aufgaben: "Das kann zum Beispiel sein, ein Meerschweinchen durch Kraulen glücklich zu machen", erklärt Drees. Bemerkt der Streichelnde, dass das Tier sich wohlfühlt, stärkt das im besten Fall sein Selbstbewusstsein. Wichtig ist dabei allerdings auch, dass auf das Wohlergehen des Tieres geachtet wird. "Nur entspannte und zufriedene Tiere können eine positive Wirkung auf Menschen haben", sagt Drees, die ausgebildete Fachkraft für Tierintervention ist.

Eine Erfolgsgarantie gibt es allerdings genauso wenig wie bei anderen Heilmitteln. Das gelte ausdrücklich auch für eine Delfin-Therapie. "Eine solche Behandlung, die derzeit nur außerhalb von Europa angeboten wird, ist vergleichsweise teuer", erklärt Drees. Eine 14-tägige Therapie in Curacao kostet der Organisation dolphin aid zufolge rund 6900 Euro. Zusätzlich müssen Flüge und Unterkunft bezahlt werden. Deutlich günstiger ist eine tiergestützte Therapie bei einem Psychiater oder Psychologen, Ergotherapeuten oder Logopäden in Deutschland. "Je nach Qualifikation des Therapeuten und der Art des Einsatzes der Tiere können die Kosten pro Therapiestunde dabei zwischen 50 und 150 Euro betragen", erklärt Deister. Sie können aber auch im Einzelfall abweichen.

Grundsätzlich gehört eine tiergestützte Therapie nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, erklärt Ann Marini vom GKV-Spitzenverband. Wer sich als Kassenpatient für eine tiergestützte Therapie interessiert, sollte bei seiner Krankenversicherung nachfragen, ob und inwieweit sie eine tiergestützte Therapie bezuschusst. Ob privat Krankenversicherte die Kosten einer tiergestützten Therapie erstattet bekommen, hängt vom konkreten Einzelfall ab, sagt Jens Wegner vom Verband der Privaten Krankenversicherung.

Webseite des Berufsverbands Tiergestützte Therapie, Pädagogik und Fördermaßnahmen

US-Studie zu Depression und Tiertherapie

Studie zu Reittherapie bei Kindern mit Autismus

Review zu Tiertherapie bei Demenz