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"Dieselgate" in Ingolstadt Dobrindt nimmt Audi-Chef Stadler in die Pflicht

Kaum kehrt etwas Ruhe ein in Wolfsburg und den Konzernstandorten - schon kommen neue Vorwürfe ans Licht. Die Dieselaffäre von VW und seinen Töchtern zieht weitere Kreise, die Oberklassetochter Audi und ihr Chef Rupert Stadler geraten immer stärker unter Druck.

Von Andreas Hoenig, dpa und Marco Engemann, dpa-AFX 02.06.2017, 16:33

Berlin/Ingolstadt (dpa) - Der im Herbst 2015 aufgeflogene und von Volkswagen in den USA ausgelöste Dieselskandal ist mittlerweile ein Dickicht an Beteiligten, Vorwürfen und Ermittlungen. Ein Überblick über neue Entwicklungen:

NEUE VORWÜRFE: Dass Audi bei den Software-Betrügereien des VW-Konzerns rund um Dieselabgase eine tragende Rolle gespielt hat, war bekannt. In den USA war ein stattlicher Teil der dort betroffenen Fahrzeuge mit Motoren aus der Audi-Entwicklung ausgestattet - wofür das Unternehmen auch Milliarden an Vergleichzahlungen, Entschädigungen und Bußen hinblättern muss. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wirft Audi nun in einem technisch anderen Fall vor, in Deutschland eine "unzulässige" Abschalteinrichtung verwendet zu haben.

In den Nachprüfungen von Bundesverkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt (KBA) war zwar im vergangenen Jahr auch ein Audi A6 auffällig gewesen - in dem Fall hatte sich nach Angaben von Dobrindt der Verdacht aber nicht erhärtet. Jetzt standen Autos der Modellreihen A7 und A8 mit der Euro-5-Abgasnorm auf dem Prüfstand, in denen mit einer sogenannten Lenkwinkelerkennung die Abgasnachbereitung geregelt wurde. Laut Audi beeinflusste die Getriebesoftware die Motordrehzahl "ungünstig". "In bestimmten Situationen" lag der Stickoxid-Ausstoß demnach doppelt so hoch wie der Grenzwert.

AUSMASS DES VORWURFS: Es geht um rund 24 000 Audis der Modelljahre 2010 bis 2013, wie Audi angibt. Davon sind 14 000 in Deutschland zugelassen. Die nun angekündigte Umrüstung soll lediglich aus einem Softwareupdate bestehen, das den Audi-Kunden rund eine halbe Stunde in der Werkstatt koste, so das Unternehmen. Voraussichtlich im Juli soll der Rückruf beginnen.

Die Umrüstaktion trifft aber die Renditeperle der Oberklassetochter des VW-Konzerns. Die Luxuskarossen fahren dank hoher Preise viel Gewinn für das Unternehmen ein, nicht zuletzt deshalb ist Audi neben Porsche der wichtigste Gewinnbringer für den Wolfsburger VW-Konzern. Doch auch wenn Audi in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist: Unter den Oberklassemarken wurden die Ingolstädter von Daimlers Hausmarke Mercedes-Benz und von BMW abgehängt.

LENKWINKELERKENNUNG: Die Lenkwinkelerkennung steht bereits seit längerem im Verdacht, vor allem für Zwecke der Prüfstandserkennung verwendet zu werden. Auf der Prüfrolle werden die Räder üblicherweise nur gering eingeschlagen. Bei der betroffenen Motor-Getriebe-Kombination sorgte nun nach Angaben des Ministeriums ein Winkel von mehr als 15 Grad für ein Herunterregeln der Abgasreinigung. Heißt: Im normalen Fahrbetrieb auf der Straße stoßen die Autos deutlich mehr aus als im Abgastest - nach Worten von Dobrindt ist dies "unzulässig".

Viele vom Verkehrsministerium im vergangenen Jahr im Zuge von Überprüfungen nach dem VW-Skandal beanstandeten Automodelle nutzen dagegen ein sogenanntes "Thermofenster", bei dem die Abgasreinigung nur in bestimmten Temperaturbereichen auf voller Stufe läuft. Bei einigen verwendeten Thermofenstern ist mindestens fraglich, ob sie wie von den Herstellern angegeben nur dem Motorschutz dienen.

Beim ursprünglichen VW-Skandal, der im Herbst 2015 ans Licht kam, waren vor allem Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189 betroffen. Die Fahrzeuge wurden mit einer Software ausgestattet, die dafür sorgte, dass die Abgasreinigung einzig im Testmodus voll aktiviert ist und die Grenzwerte einhielt; auf der Straße stießen die Autos aber viel mehr Stickoxide aus. Bestandteil der Software soll auch damals eine Lenkwinkel-Erkennung gewesen sein - daneben gab es aber in einem komplexen System noch andere Komponenten. Im Herbst 2015 hatte das KBA einen Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen in Deutschland angeordnet, darunter waren auch Audi-Modelle. Die Auffassung des VW-Konzerns ist, in Europa nicht gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Neu ist nun, dass Dobrindt Audi im Zuge von Nachprüfungen in einem technisch anderen Fall eine "unzulässige" Abschalteinrichtung vorwirft.

ROLLE DOBRINDTS: Im neu entdeckten Fall hatte Audi nach Firmenangaben die Auffälligkeiten selbst festgestellt und sie dem KBA gemeldet. Aus Unternehmenskreisen hieß es, es sei bereits an einer Lösung gearbeitet worden. Umso erstaunter dürfte Audi gewesen sein, als Dobrindt am Donnerstag eilig zu einem Statement einlud, die Sache öffentlich machte und den Ingolstädtern damit zuvorkam. Selbst VW-Konzernchef Matthias Müller sei "einbestellt" worden, so der Minister - schließlich habe man vereinbart, der Konzern sei verantwortlich für die Auffälligkeiten auch bei seinen Tochtermarken. Müller habe überrascht gewirkt, sagte Dobrindt. Der Minister muss sich seit Aufflammen der Dieselaffäre Vorwürfen erwehren, er tue nicht genug gegen die Schummeleien.

ROLLE STADLERS: Der Audi-Chef steht schon seit längerem unter Druck, daran änderte auch die demonstrative Unterstützung der VW-Konzernführung und seine jüngst erfolgte Vertragsverlängerung nur wenig. Stadlers kernige Aussagen wie "als Konsequenz aus der Diesel-Affäre stellen wir bei Audi alles auf den Prüfstand" wirken im Licht der neuen Vorwürfe wie ein Lippenbekenntnis, Dobrindts Pressekonferenz am Donnerstag wie ein Weckruf. Stadler ist nicht nur Audi-Chef, sondern als solcher auch VW-Konzernvorstandsmitglied.

Ermittelt wird von der Staatsanwaltschaft München ohnehin bereits gegen Audi, pünktlich zur Bilanzpressekonferenz im März durchsuchten Ermittler Büros des Konzerns. Am Freitag weitete die Behörde ihre Betrugs-Ermittlungen gegen Audi aus. Bisher ging es um die in den USA verkauften Diesel mit Schummelsoftware, nun sind auch die Verkäufe in Deutschland und Europa Thema.

STICKOXIDE, FAHRVERBOTE, KLIMASCHUTZ: Auch wenn der Autokäufer angesichts anhaltender Dieselturbulenzen den Selbstzünder immer mehr meidet, setzen die Autobauer auf die Dieseltechnik zur Reduktion des klimaschädlichen CO2-Ausstoßes. Grund ist die auf CO2 ausgerichtete Abgasregulierung in der Europäischen Union, die anders als in den USA nicht so sehr auf das gesundheitsschädliche Stickoxid abzielt. Schaffen die Autobauer gewisse Reduktionsziele beim CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte in den nächsten Jahren nicht, drohen hohe Strafen aus Brüssel.