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Analyse Schwieriger Neuanfang in einer komplizierten Beziehung

Die deutsch-türkischen Beziehungen galten lange Zeit als hoffnungslos zerrüttet. Jetzt wollen beide Länder es noch einmal miteinander versuchen. Das ist aber leichter gesagt als getan.

Von Michael Fischer, dpa 18.02.2018, 16:40

München (dpa) - Deniz Yücel will jetzt erst einmal seine Ruhe haben. Am Samstag verschickte der 44-Jährige per Twitter ein Foto, auf dem er mit seiner Frau und acht weiteren Menschen sommerlich bekleidet auf einer Wiese zu sehen ist.

"Ich bin nicht in Deutschland. Aber ich bin unter Freunden", schrieb er dazu. Der 44-jährige Deutschtürke ist nach einem Jahr Untersuchungshaft also über Berlin direkt in südliche Gefilde weitergereist, um Urlaub zu machen.

Am Sonntag twitterte er ein Foto von sich und seiner Frau mit einer Katze auf dem Arm an einem Bistro-Tisch - wieder ohne Angaben zum Ort. "Ich danke für die Glückwünsche & bitte um Verständnis, dass ich derzeit nicht antworten kann. Ausnahmsweise sind wir mal zum Spaß hier", schrieb Yücel.

Der Korrespondent der Tageszeitung die "Welt" ist in den vergangenen zwölf Monaten zur Symbolfigur für das Zerwürfnis zwischen zwei Ländern geworden, die sehr eng miteinander verwoben sind. In Deutschland leben drei Millionen türkischstämmige Menschen. Millionen Deutsche machen Jahr für Jahr in der Türkei Urlaub. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind eng. Politisch hat es dagegen zwischen den beiden Ländern seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei 2016 so heftig gekracht wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Nach der Freilassung Yücels, dem Unterstützung von Terroristen und Volksverhetzung vorgeworfen wird, soll es jetzt einen Neuanfang geben. Noch während Yücel im Flieger von Istanbul nach Berlin saß, trafen sich die Außenminister Sigmar Gabriel und Mevlüt Cavusoglu am Freitag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. "Mein lieber Freund Sigmar" nennt Cavusoglu seinen Amtskollegen inzwischen. Die harten Auseinandersetzungen der vergangenen Monate haben die beiden am Ende irgendwie zusammengeschweißt.

Jetzt arbeiten sie daran, die Beziehungen ganz konkret wieder zu verbessern. Zunächst soll der Dialogprozess in den Bereichen Energie, Wirtschaft und Sicherheit verstärkt werden. Das kling erstmal sehr schwammig. Es gibt vor allem auf türkischer Seite aber auch ganz konkrete Punkte, an denen man weiterkommen will. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim trug am Wochenende in einem dpa-Interview eine erste Wunschliste vor.

- Die deutschen Behörden sollen noch härter gegen die auch in Deutschland als Terrororganisation verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und vor allem die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgehen, den die Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht. Immerhin sieht Yildirim erste Fortschritte dabei. Es gibt aber auch Grenzen, die bei der von der Türkei verlangten Auslieferung angeblicher Putschisten liegen.

- Vom Auswärtigen Amt erwartet Yildirim, dass es die Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei zurücknimmt. Derzeit warnt das Auswärtige Amt vor willkürlichen Festnahmen, zu denen es in allen Landesteilen "einschließlich der touristisch frequentierten Regionen" kommen könne. Yildirim verspricht sich von einer Entschärfung, dass die ohnehin bereits wieder anziehenden Touristenzahlen in die Höhe schnellen.

- Ganz heikel ist aber: Die Türkei will mit deutscher Hilfe türkische Panzer bauen. Yildirim meint, dass sei auch im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands. Politisch ist das aber derzeit ziemlich aussichtslos. Seit Beginn der türkischen Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz werden gar keine Waffenexporte an den Nato-Partner mehr genehmigt. Bei Yildirim stößt das auf Unverständnis. "Denn wir sind ein Nato-Mitglied, Deutschland ist ein Nato-Mitglied. Und in unserer Region schützen wir die Nato-Grenzen."

Grundsätzlich wird die Bundesregierung in dem jetzt anstehenden Entspannungsprozess das Problem haben, dass bei allem, was jetzt kommt die Frage gestellt wird: Hat es einen Deal gegeben? Beide Seiten dementieren solche Spekulationen empört. Klar ist aber auch, dass es parallel zu den Verhandlungen über Yücel Gespräche über eine Fortentwicklung der Beziehungen gab - auch wenn es kein Junktim zwischen beidem gegeben haben mag.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer noch jede Menge Probleme, die nicht so einfach wegzubekommen sind. Dazu gehören die fünf Deutschtürken, die immer noch aus politischen Gründen in der Türkei in Haft sitzen.

In München gab es am Wochenende einen Vorfall, der verdeutlicht, wie schwierig die Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen wird. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir übernachtete während der Sicherheitskonferenz in dem Hotel, in dem auch Yildirim und Cavusoglu untergebracht waren. Nach Özdemirs Darstellung reagierten die zahlreich dort postierten türkischen Sicherheitskräfte schon bei seiner Ankunft nervös auf ihn. Am nächsten Tag empfahl die Münchner Polizei ihm Personenschutz. Er sei von türkischer Seite als "Terrorist oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung" denunziert worden, sagte er. "Den Tag über haben mich drei Leute begleitet."

Cavusoglu sagte dazu nur: "Er lügt." Der türkische Außenminister warf dem früheren Grünen-Chef vor, sich damit wichtig tun zu wollen. "Er verliert Einfluss und wird sogar in seiner eigenen Partei diskriminiert. Ich glaube, er will wieder populär oder zumindest sichtbarer werden."

Özdemir sieht in dem Vorfall eine Art Nebeneffekt der Entspannung in den deutsch-türkischen Beziehungen. "In Berlin sollte man sich langsam fragen, ob das permanente Schönreden der Situation in Ankara nicht zu einem solchen Verhalten der türkischen Seite beiträgt", sagte er der "Rheinischen Post".

Auswärtiges Amt zur Türkei

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