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Umflutkanal Der Deich des Anstoßes

Die Deiche von Elbe und Umflutkanal schützen sie bei Hochwasser vor Überschwemmung. Nur darf keiner der Deiche versagen.

Von Thoralf Winkler 31.07.2016, 23:01

Pechau/Elbenau/Ranies l Denn dann liefe das Gebiet voll wie eine Badewanne. Das wissen sowohl die Bewohner dieser Gebiete als auch die Behörden. Und wissen auch, dass beim Hochwasser 2013 nicht mehr viel bis zur Katastrophe gefehlt hat.

Einige der Deiche, die damals nur knapp gehalten haben, sind bereits saniert und wieder sicher: Die von Elbenau und Grünewalde gesehen elbaufwärts gelegenen Deiche sind entsprechend des neu berechneten Bemessungshochwassers (BHW) erhöht worden (am Umflutkanal vom Pretziener Wehr bis zur Haberlandbrücke und an der Elbe vom Pretziener Wehr bis zur Stein-ablage/Abzweig Ranies und von der alten Elbebrücke bis Apfelwerder) beziehungsweise erwiesen sich bisher als standsicher (an der Elbe zwischen Steinablage und Grünewalde).

Einer der Schwachpunkte des Hochwasserschutzes ist jedoch noch immer der linke Umflutdeich zwischen der Haberlandbrücke und Pechau. Bereits der Laie sieht Unebenheiten im Deichverlauf, die auf Setzungserscheinungen hindeuten.

Seit dem letzten großen Hochwasser sind drei Jahre vergangen, und vor allem die Bewohner der ostelbischen Dörfer Magdeburgs machen sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Häuser. Auch Elbenau und Grünewalde sind immer noch gefährdet, auch wenn die noch unsicheren Deiche ein Stück elbabwärts liegen.

Jetzt lud der Ortschaftsrat Pechau zur öffentlichen Ratssitzung Vertreter des Umweltministeriums und des Landesbetriebes für Hochwasserschutz (LHW) ein. Wegen des zu erwartenden großen Interesses wurde die Sitzung in das Gasthaus Kelly verlegt. Pechaus Ortsbürgermeister Bernd Dommning erläuterte, dass es eine Reihe von Fragen zum Deichbau gebe und die Bürger auf Antworten warten und darauf, dass es endlich losgehe.

Umwelt-Staatssekretär Klaus Rehda vertrat die urlaubsbedingt abwesende Umweltministerin und versicherte, Claudia Dalbert wäre sonst selbst nach Pechau gekommen und hätte sich den Fragen der Bürger gestellt. Er stellte dar, dass bereits seit Jahren Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt werden und auch im aktuellen Koalitionsvertrag enthalten sind. „Es ist nicht so, dass wir noch gar nichts gemacht haben“, erklärte er. Bezogen auf die im Raum stehenden Fragen nach den Ursachen der bisherigen Verzögerung wies er darauf hin, dass die Behörden „an Regularien gebunden sind“, die nicht umgangen werden können. Und er versprach den Bürgern, im Verlauf der Versammlung Lösungen vorzustellen.

Um diese zu erläutern, war Ronald Günther, Leiter des Flussbereiches Schönebeck des LHW, mit nach Pechau gekommen. Nach einer kurzen Darstellung der bisher sanierten Deichabschnitte (die noch schlechter und gefährdeter waren) kam er auf die noch fehlenden Lücken im Schutzsystem zu sprechen: „Ziel – und auch notwendig – ist der vollständige Ringschluss“. Damit meinte er sowohl die Stabilität der Deiche herzustellen, als auch deren Höhe an das Bemessungshochwasser anzupassen. Die dabei noch fehlenden Stellen zeigte Günther anhand einer „Freibordkarte“. Darin sind auf Basis von Vermessungsarbeiten die Höhen der Deiche bezogen auf die Höhe des BHW eingetragen. Freibord ist die beim Hochwasser verbleibende Höhendifferenz zwischen Wasser und Deichkrone.

Zumindest für Teilbereiche des linken Umflutdeiches machte Ronald Günther den Pechauern konkrete Zusagen. „Schon in den nächsten Wochen können Sie hier Bagger sehen“, sagte er. Allerdings zunächst für die Umverlegung von Leitungen und für archäologische Arbeiten. Auf eine Frage nach möglichen Funden und dadurch eintretenden Verzögerungen zeigte er sich zuversichtlich: „Bisher wurde an keinem der Deiche im Gebiet etwas gefunden, das die Arbeiten behindert hätte.“

Versprechen wollte er aber auch nichts, immerhin sind gleich neben dem Deich Reste einer slawischen Burg ausgewiesen. Für die Deich von Pechau bis zur Bundesstraße 1 in Heyrothsberge und von Pechau bis zum Pechauer Siel rechnet er noch für Herbst diesen Jahres mit einem Baubeginn. In Pechau selbst wird eine Schutzmauer errichtet werden.

Auch im Bereich der Finnhütten an der Straße nach Elbenau wird es bald losgehen. Diese sollten schon längst abgerissen sein, aber der letzte Kauf wurde erst im Mai rechtskräftig. Nun müssen die Abrissarbeiten warten, bis nach Ende der Brutzeit wieder Bäume gefällt werden dürfen.

Weit schwerwiegender ist aber die Frage der notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Diese stellt nun ausgerechnet die Sanierung des am meisten gefährdeten Deichabschnittes vor große Probleme. Der Deich zwischen der Haberlandbrücke und dem Pechauer Siel ist von Land aus nicht erreichbar. Deshalb wurde beim Hochwasser 2013 die notwendige Deicherhöhung mit Sandsäcken vor allem mit kilometerlangen Schubkarrenfahrten auf der Deichkrone sowie Hubschraubereinsätzen bewältigt.

Dass das noch einmal so funktioniert, bezweifelt Günther. Der Deich wird durch das Belaufen und Befahren extrem stark belastet und könnte dadurch sogar brechen. „Das gilt aber nur bei einem Hochwasser von der Höhe des BHW“, stellt er klar, „nicht bei durchschnittlichen Hochwasserhöhen“.

Später erläuterten Vertreter von der Stadt Magdeburg und von der Magdeburger Feuerwehr die möglichen Deichverteidigungskonzepte und gingen davon aus, auch bei einem erneuten Hochwasser den Deich mit schonenden Maßnahmen halten zu können. Dazu seien rund 1800 Einsatzkräfte, 50 000 Sandsäcke auf dem Deich und 100 000 als Reserve vor Ort notwendig.

Die Frage der UVP erläuterte Ronald Günther. Für den Deichbau müssen größere Flächen des angrenzenden Waldes gefällt und umgenutzt werden. Ab einer Fläche von fünf Hektar ist zwingend eine UVP durchzuführen (für die wenigstens zwei Jahre veranschlagt werden müsste, wie Günther schätzte). So sollte zumindest der Versuch gemacht werden, die UVP zu umgehen. Dazu wurde in den zurückliegenden Monaten eine Vorprüfung durchgeführt. Günstigstenfalls hätten diese ergeben, dass keine UVP notwendig wäre. Dann kam vor wenigen Wochen das Ergebnis: Es muss nun doch eine UVP erfolgen, mit einer entsprechenden Zeitverzögerung. Der Grund: geschützte Arten wie Fledermäuse und Spechte.

Anschließend stellte Günther eine Zwischenlösung vor, die kurzfristig möglich ist und genügend Zeit liefert, die UVP durchzuführen. Über viereinhalb Kilometer hinweg sollen Spundwände in den Deich geschlagen werden, die ihn bis zum Beginn des Neubaus des Deiches stabilisieren. Das klingt einfach – allein fehlt auch dafür die Zuwegung. Provisorische Baustraßen im Umflutgebiet sollen teilweise helfen und für die gar nicht zugänglichen Stellen gibt es inzwischen Baumaschinen, die sich an den bereits gesetzten Spundwänden entlanghangeln und Stück für Stück neue setzen. Nach der ingenieurmäßigen Auslegung und einer Ausschreibung könnten auch diese Rammarbeiten noch in diesem Jahr beginnen.

Kritik gab es an der langen Verfahrensdauer und an der UVP. Ortschaftsrat Carsten Kriegenburg fragte beispielsweise, ob man angesichts von vielen regulären und lange geplanten Baumaßnahmen mit einer standardmäßigen UVP im vorliegenden Fall nicht mit einem vorzeitigen Baubeginn anfangen könnte? „Die UVP ist zwar vorgeschrieben“, sagte er, „aber das Ergebnis ist doch bereits bekannt. Kann man dann nicht einfach anfangen und später die Ausgleichsmaßnahmen aushandeln?“ Auch andere Bürger verwiesen auf Maßnahmen bei einer hier doch vorhandenen „Gefahr im Verzug“.

Dies sei hier nicht machbar, sagten Holger Platz, Beigeordneter für Umwelt, und Rolf Warschuhn vom Umweltamt der Stadt Magdeburg. In Halle wurde genau so etwas probiert und dann gerichtlich gestoppt. „Bei einer Klage hätten wir hier dann keinen Deich, sondern eine Baustelle“. Genau das war am Grimnitzer Damm in Halle passiert.

So wird es jetzt wohl bei der Zwischenlösung bleiben, die (wie Zwischenrufe aus dem Publikum laut wurden) „unnötig teuer“ ist. Aber damit besteht spätestens im kommenden Jahr Sicherheit vor Hochwassser. Nach Aussagen von Staatssekretär Rehda wird die Maßnahme nicht am Geld scheitern. „Die Finanzierung dafür ist gesichert“, sagte er.

Ein Einwohner fasste die Stimmung innerhalb der Anwohner ganz treffend zusammen, als er sagte: „Ich bin verärgert, dass alles so lange dauert. Aber wenn wir jetzt die Spundwände im Deich bekommen, dann haben wir Sicherheit. Und das ist mir wichtiger.“

Einen von Carsten Kriegenburg befürchten Einwand konnte Ronald Günther zerstreuen. Kann es sein, dass nach Einrammen der Spundwände nichts weiter am Deich gemacht wird, weil er dann für sicher und fertig gehalten wird? Nein, lautete die Antwort von Günther, auf keinen Fall. Der Deich werde dann zwar für lange Zeit sicher sein, aber die Spundwände würden etwa einen Meter aus der Deichkrone ragen, und es wäre keine Befahrung des Deiches mehr möglich, weder zur Kontrolle noch zur Pflege. Schon aus diesem Grund muss das Provisorium durch einen regulären Deichbau ersetzt werden.