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Geschichte Postkarten von der Front

Der Erste Weltkrieg hat im Leben von Dietrich Marquordt eine große Rolle gespielt - obwohl der Rübeländer ihn nicht selbst erlebt hat.

Von Katrin Schröder 19.09.2015, 01:01

Rübeland l Als Dietrich Marquordt geboren wird, ist der Erste Weltkrieg Geschichte. Dennoch wächst der Rübeländer, Jahrgang 1927, auf mit der Erinnerung an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie Historiker das Geschehen nennen. In Marquordts Familie war der Krieg stets ein Thema – denn er hat ihren Mitgliedern viel Leid gebracht.

Das galt vor allem für die Männer. Dietrich Marquordts Großvater Friedrich war Fischermeister und Forstarbeiter. 1917 wurde er eingezogen und musste seine Frau mit zwölf Kindern zurücklassen. „Er ist schweren Herzens gegangen“, sagt Dietrich Marquordt – das weiß er aus Berichten seiner Eltern. Die beiden haben häufig über den Krieg gesprochen. „Meine Mutter hat mir sehr viel erzählt“, erklärt der 88-Jährige.

Auch ihr Vater zog gezwungenermaßen in den Krieg. Karl Grupe war in Baranowitschi stationiert. In der Stadt im Westen Weißrusslands befand sich das Hauptquartier des russischen Generalstabes. Nach dem Rückzug der zaristischen Truppen im Spätsommer 1915 lag die Stadt an der Front. Im Juni 1916 fand in der Nähe eine der größten Schlachten des Krieges statt, bei der innerhalb weniger Tage fast 100 000 Menschen fielen.

Karl Grupe zählte nicht zu ihnen. An seine Tochter Helene schrieb er eine Karte, darauf der Poststempel vom 12. März 1917: „Liebe Tochter, sende Dir die besten Grüßen, mir geht es noch ganz gut, was ich auch von Dir wünsche. Sei vielmals herzlich gegrüßt von Deinem Vater und grüße Tante Anna.“ Die Zeichnung auf der Vorderseite zeigt eine Straßenansicht, „Post in Baranowitschi“ ist in schwungvoller Schreibschrift darauf zu lesen.

Es war das letzte Lebenszeichen, denn ihre Antwortkarte erhielt Tochter Helene zurück – mit dem Vermerk, dass ihr Vater am 27. März 1927 „den Heldentod gestorben“ ist. Dietrich Marquordt bedauert, dass er seinen Großvater nie kennen gelernt hat. „Er hat mir sehr gefehlt. Meine Mutter hat ihn so lebendig beschrieben, dass ich ihn mir richtig vorstellen konnte.“ Helene Grupe stand ihrem Vater nahe, gemeinsam waren sie oft im Wald unterwegs, gingen auf Forellenfang. Die Postkarten, die an ihn erinnern, hebt der Rübeländer sorgfältig auf – ebenso wie zwei weitere aus der Weltkriegszeit.

Eine von ihnen hat Marquordts Großonkel, Hermann Grupe, verschickt. Der Bahnarbeiter in Rübeland ist gleich zu Beginn des Krieges gefallen, am 30. September 1914 im französischen Reims. Die Stadt lag 1914 gleich hinter der Westfront und wurde von deutschen wie auch französischen Artilleriegeschossen und Luftangriffen zu 60 Prozent verwüstet. Auf der Postkarte, die Hermann an seinen Bruder Karl sandte, ist der junge Soldat mit Gewehr auf der Schulter und Pickelhaube auf dem Kopf zu sehen. Vermutlich hat er vor seiner Abreise im „Atelier M. Pomblitz, Braunschweig und Okerthal i./Harz“ Modell gestanden, wie der Stempel auf der Rückseite nahelegt.

Eine Karte mit seinem Portrait schickte auch der Großonkel väterlicherseits. Adolf Marquordt ist am 24. Oktober 1914 in Comines gefallen. Der Ort an der belgisch-französischen Grenze ist im Ersten Weltkrieg durch deutsche Truppen völlig zerstört worden. Eine Postkarte, die er bereits im August 1913 aus Metz sandte, zeigt einen ernst dreinblickenden jungen Mann in Uniform, mit Lanze und Pickelhaube auf einem Pferd – mit „besten Grüßen“ an seine Mutter und „an alle Bekannten“.

Für die Familien daheim hatte der Krieg ebenfalls massive Folgen. Die Männer hatten für das Einkommen gesorgt, das ihnen nun fehlte. „Man konnte leben, aber karg“, fasst Marquordt zusammen. Seine Großmutter Friederike Grupe erhielt als Kriegerwitwe nur eine geringe Rente. „Meine Mutter und meine Tante haben früh arbeiten müssen.“ Die Frauen gingen in Blankenburg und Halberstadt in Stellung. Oft legten sie die Strecke von Rübeland zu Fuß zurück. Es kam vor, dass ihr Verdienst in den zwei Stunden Fußweg rapide an Wert verlor – der galoppierenden Inflation wegen. „Wenn sie ankam, bekam sie für ihr Geld oft nur noch einen Hering.“

Als Junge lernte Dietrich Marquordt den Ersten Weltkrieg auch durch die Zigarettenbildchen kennen, die sein Album „Der Weltkrieg“ füllen. So wie Jungs heute Pannini-Bildchen von Fußballstars sammeln, hat Marquordt Bilder von Soldaten, Kriegsgerät, Schützengräben und anderen Kampfschauplätzen eingeklebt, die Zigarettenschachteln beigelegt waren. „Damals habe ich mir das gerne angesehen“, erinnert sich der 88-Jährige.

Neben technischen Fakten und geschichtlichen Daten liefert das undatierte Album, das vom „Cigaretten-Bilderdienst Dresden U1“ herausgegeben wurde, eine Weltanschauung, die von der Ideologie des Nationalsozialismus geprägt ist. Zum Beispiel seien am „Weltenbrand“, wie der Krieg rückblickend heute auch genannt wird, demnach Frankreichs Rachlust, die Sorge Englands um die Vormachtstellung im Welthandel und der russische Panslawismus schuld – nicht jedoch das Großmachtstreben des Deutschen Reichs. Den jungen Rübeländer konnten die Autoren mit ihrer Propaganda allerdings nicht überzeugen. „Mein Vater war ein alter SPD-Mann. Er hat mir erklärt, was wirklich vorgeht.“