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Kirche Fischbeck Relief erinnert an den Deichbruch

Entwurzelt - getrieben - gestrandet. In der Kirche bildet Treibholz den Mittelpunkt auf dem Relief zur Erinnerung an die Flut.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 01.11.2015, 09:06

Fischbeck l Mehr als nur die blanken Fakten vom Juni 2013, als in Fischbeck der Deich gebrochen ist, wollen die Dorfbewohner weitergeben an die folgenden Generationen. Auch von den Gefühlen und Gedanken, Ängsten und Sorgen soll man sich noch in vielen Jahren ein Bild machen können. Dabei hilft das Relief, das am Sonnabend an der Südwand der Kirche enthüllt worden ist. Der Schönhauser Tischlermeister und Restaurator Hagen Siedler hat es angefertigt – nach den Vorstellungen der Fischbecker, die gern ein Stück Treibholz zum Gedenken verarbeitet haben wollten. Ein Team um die Kirchenälteste Susanne Northe hatte Ideen gesammelt und diese auch mit Kunsttherapeutin Stefanie Spilles von der Caritas besprochen. Hagen Siedler hat das umgesetzt, als selbst von der Flut Betroffener auch noch seine eigenen Gedanken eingearbeitet und im Juni dieses Jahres den Entwurf vorgestellt. Nach der Zustimmung machte er sich an die Arbeit, für die er am Sonnabend Applaus und Anerkennung von den Anwesenden in der Kirche erhielt.

Die Zeremonie bot den guten Anlass, auch denen Danke zu sagen, die durch ihre Spende die Erstellung des Reliefs möglich machten: die Jagdgenossenschaft, die Caritas, Paul Eckhoff, die Künstlergemeinschaft aus Vorsfelde bei Wolfsburg, die im Sommer 2013 zu den Helfern gehörte, der örtliche Förderverein zum Erhalt der Kirche und auch der Kammerchor aus Wernigerode, der ein Benefizkonzert in der Kirche gegeben hatte.

So beschreibt Hagen Siedler sein Werk, das in insgesamt rund 400 Stunden kreativer Überlegungen, Ausprobieren und Arbeit am Objekt entstanden ist:

Das ausgewählte Treibholzstück stammt von einer durch Hochwasser zerstörter Robinie. Das grüne Splintholz dieses toten Baumstückes verweist interessanter Weise bereits auf die zu erwartende Erneuerung der heimischen Natur. Es hat zudem die Form des Deichbogens, an deren Stelle der Deich in der Nacht zum 10. Juni 2013 gebrochen ist.

Die unterhalb des Treibholzes erhöhten Wellen symbolisieren den Wasserstand der Elbe, die oberhalb der Bruchstelle flacher geschnitzten Wellen bilden den Hintergrund für das überflutete Gelände.

Der perspektivische Blick auf das geschnitzte Dorf entspricht der realen Sicht etwas südlich der tatsächlichen Deichbruchstelle. Größenverhältnisse und Anordnung der Gebäude weichen zu Gunsten der Bildgestaltung etwas von der Realität ab. Im Vordergrund sind das Stallgebäude und das Wohnhaus des nach dem Hochwasser abgetragenen Bauernhofes dargestellt (jetzt Baustelle des neuen Feuerwehrgebäudes). Im Hintergrund befinden sich das durch seine Gaube prägnante Haus der Familie Weise sowie eine schematische Teildarstellung eines weiteren Hauses. Im Zentrum des Dorfes steht die Kirche. In dem Relief wird sie als einzige im Dorf von der Beschädigung durch die Wassermassen verschont.

Durch die Zerstörungen der Überschwemmung eröffnet sich für den, der dazu bereit ist, die Möglichkeit, über den Sinn und die bisherigen Werte des eigenen Lebens nachzudenken. Sollte es eine Lehre aus der Überflutung unserer Dörfer, Wälder und Felder geben, besteht sie darin, unser Leben nicht zu sehr an vergänglichen materiellen Werten auszurichten. Das Einzige, das immer bleibt und durch alle Höhen und Tiefen zuverlässig tragen kann, ist der Glaube an Gott – gleichsam durch die vom Wasser verschonte Kirche und die Sonne dargestellt.

Das Bild wird geteilt durch einen Baum, der im Treibholz wurzelt. Auf der Wasserseite ist er kahl, die Äste sind abgebrochen. Eine übergroße Knospe verkündet jedoch die Wiederherstellung der Natur sowie unserer gewohnten Lebensbedingungen. Der Kreislauf von Werden und Vergehen ist seit Menschengedenken nie abgebrochen und wird es auch künftig nicht. Die Knospe korrespondiert mit der Zusage Gottes (Keilschrift am linken Tafelrand): „Ich gebe euch zurück die Zukunft und die Hoffnung“.

Die linke Seite des Baumes wird überstrahlt von der Gott symbolisierenden Sonne mit dem wachsamen, alles beobachtenden Auge Gottes. Die satten bewegten Blätter und die reifen Samenfrüchte stehen für die Vielfalt der Natur vor dem Deichbruch. Die reifen Samen stehen bereit für die Erneuerung der Natur und unserer Lebensgrundlage und verweisen in ihrer Bewegung auf die Knospe. Die Hoffnung auf Gottes Zusagen bleibt bestehen, auch – und gerade im – Katastrophenfall.

Dargestellte Blätter sind Ahorn und Linde als Pionierbäume bei der Waldbildung, die Esche als mystischer Baum, am Anfang und Ende Eichenblätter „in Trinitate Robur“ für die Dreieinigkeit und die Kraft.

Die Schrift an den erhöhten Außenrändern ist von oben nach unten zu lesen. Somit drängt sie nicht plakativ dem Betrachter und dem regelmäßigen Gottesdienstbesucher aufdringlich ins Auge. Vielmehr wirkt sie auf den ersten Blick wie biblische Abkürzungen, beispielsweise oben neben der Sonne GEN für Genesis/Schöpfung. Der Betrachter soll angehalten werden, in erster Linie die Bildaussage auf sich wirken zu lassen und seine eigenen Gedanken zu entwickeln, auch für eigene Lebenssituationen, die nicht oder nur bedingt mit dem Bruch des Elbdeiches in Verbindung stehen.

Lange betrachteten die Anwesenden auch später bei Punsch und Plätzchen das Relief, entdeckten die Kleinigkeiten und ließen die Gedanken zurückschweifen zum Juni 2013.