1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Ereignisse, die das Leben bestimmen

EIL

Lesung Ereignisse, die das Leben bestimmen

In die Zeit der 1980-er Jahre der DDR ließen sich Schüler des Gymnasiums Gardelegen versetzen. Autorin Rita König las aus „Rot ist schön“.

Von Andreas Puls 26.05.2016, 14:10

Gardelegen l Phasenweise war es thematisch recht schwere literarische Kost, die den Zehntklässlern dargeboten wurde. Denn in dem Buch „Rot ist schön“, dem ersten Roman von Rita König, wird deutlich, wie bestimmte Ereignisse Einfluss auf Lebenswege nehmen können – zum Beispiel die Vergewaltigung einer Schülerin im Teenager-Alter.

Silke ist 15, als die Mutter die Familie mitsamt dem jüngeren Bruder verlässt. Sie kehrt erst Brandenburg und später Deutschland den Rücken. Ohnmächtig, die entstandene Lücke zu schließen, bleibt Silke beim Vater zurück. Fortan ist sie auf der Suche – nach Stabilität, nach sich selbst. Als Einstieg hat Rita König ein Kapitel ausgesucht, das die Zehntklässler in die Kindheit von Silke zurückversetzt. In dem Dorf, in dem das Mädchen aufwuchs, gab es eine einsame und zurückgezogen lebende, alte Frau. Über sie wurde immer nur geredet – meist Schlechtes. „Hexenhaus“ hieß ihr Haus im Volksmund. Diese Frau sollte in Silkes Gedankenwelt noch öfter eine Rolle spielen – und übrigens nicht nur dort...

Das nächste Kapitel versetzt die jugendlichen Zuhörer in die Teenager-Zeit von Silke. Sehr eingehend beschreibt die Autorin die enge Freundschaft, die zwischen Silke sowie den beiden gleichaltrigen Mädchen Heike und Ina entsteht. Eines Tages erscheint Heike nicht zum regelmäßigen Treffen der drei Freundinnen. Wie Silke und Ina erfahren, hatte sich Heike mit einem Mann getroffen – noch dazu ohne dass diese sie darüber zuvor eingeweiht hatte. Geschockt sind die beiden, als sie erfahren, mit wem sie sich getroffen hatte – nämlich mit einem Sträfling, der bereits zweimal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war. Schließlich treffen Silke und Ina ihre weinende und verstörte Freundin wieder. Was ihr zugestoßen war, lag auf der Hand. Denn sie hatte Striemen im Gesicht und wie Silke später sah – Blutergüsse, Prellungen und andere Verletzungen am ganzen Körper...

Heike hüllt sich in Schweigen über ihr traumatisches Erlebnis, aber Silke und Ina vermeiden es ihrerseits ebenfalls, mit ihrer Freundin darüber zu reden. Als die Teenagerin Wochen später schließlich zwecks Abtreibung in der Klinik liegt, greifen Silke und Ina zur Selbstjustiz und nehmen Rache am Peiniger von Heike. Sie suchen den Betrunkenen in seiner Wohnung auf, fesseln und schlagen ihn und ritzen ihm mit Messern ein Kreuz in die Brust.

Doch auch das trägt nicht zur Aufhellung des Gemüts ihrer Freundin bei. Sie bleibt schwermütig und zieht sich immer öfter zurück. Um es vorweg zu nehmen: Die Vergewaltigung und wohl auch die mangelnde Aufarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses führt schließlich dazu, dass die Dreierfreundschaft allmählich zerbricht. Auf nähere Beschreibungen der Vergewaltigungstat und andere schwer verdauliche Detailschilderungen verzichtet die Autorin in der Lesung aus Rücksicht auf ihre junge Zuhörerschaft. Aber nach diesem Auszug aus ihrem Roman lädt sie die Zehntklässler zur Diskussion ein.

Rita König fragt die Jugendlichen, wie sie selbst damit umgegangen wären, wenn einer engen Freundin beziehungsweise einem engen Freund das passieren würde, was Heike widerfuhr. Doch den Schülern fällt es schwer, Antworten zu finden. „Sehr wichtig ist es, über so etwas zu reden“, lautet ein Vorschlag. Ein Zehntklässler meint, dass es sehr schwierig sei, jemanden zu erreichen, der einen depressiven Weg eingeschlagen habe. Für das im Buch beschriebene Mittel der Selbstjustiz äußern einige der jungen Zuhörer durchaus Verständnis. Die Frage der Autorin, ob von den Schülern ebenfalls jemand ein solches „Hexenhaus“ aus seiner Umgebung kenne, wird indes verneint. Rita König: „Solche Häuser und Menschen gibt es in vielen Orten.“

Die Romanheldin Silke erfährt jedenfalls später, warum die „Hexe“ aus ihrem Ort so geworden ist, wie sie ist... Rita König, die 1962 in Brandenburg an der Havel geboren wurde, ist seit etwa zehn Jahren freie Autorin. Zuvor hatte sie als Angestellte gearbeitet. Wie sie gegenüber den Schülern berichtet, habe sie an ihrem Roman „Rot ist schön“ mehrere Jahre geschrieben – allerdings in dieser Zeit parallel auch an zahlreichen anderen Texten gearbeitet. Derzeit schreibt die Rathenowerin an ihrem zweiten Roman „Greta“. Die Romanheldin Silke erfährt jedenfalls später, warum die „Hexe“ aus ihrem Ort so geworden ist, wie sie ist...

Aktuell genießt die Schriftstellerin eine weitgehend ungestörte Schaffensperiode im Künstler- und Stipendiatenhaus Salzwedel.