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Arbeitsmarkt Arbeitslosenzahlen steigen

In Deutschland bald zehn Millionen Kurzarbeiter?

Von Michael Donhauser 01.05.2020, 23:01

Nürnberg (dpa) l Die Bundesagentur für Arbeit sitzt auf einem gigantischen Haufen Geld: 26 Milliarden Euro beträgt die Rücklage, die sich in den vergangenen Jahren bei der Behörde in Nürnberg angesammelt hat. Und selbst dieses dicke Finanzpolster wird womöglich nicht reichen, um die Folgen der Corona-Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bekämpfen. Was der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, am Donnerstag in Nürnberg verkünden musste, macht das Ausmaß der Krise für die Wirtschaft mehr als deutlich. Die Arbeitslosigkeit nehme zu, das Kurzarbeitergeld steige exponentiell auf „ungeahnte Höhen“, die Stellenzugänge brächen ein – fasste Scheele die Negativzahlen zusammen.

751 000 Unternehmen haben bis Ende April für 10,14 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet. Weit mehr, als Volkswirte prognostiziert hatten. „Das ist eine Zahl, die uns auch ein bisschen hat den Atem stocken lassen“, sagte Scheele. Aber hinter diesen 10,14 Millionen Namen steckten Menschen, deren Arbeitsplatz erhalten werde.

Damit könnte nicht nur jedes dritte dazu berechtigte Unternehmen von Kurzarbeit betroffen sein, sondern auch fast jeder dritte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland. In der Gastronomie – einer der am stärksten betroffenen Branchen, ist sogar für neun von zehn Beschäftigten Kurzarbeit angemeldet worden.

Die Bundesagentur geht davon aus, dass am Ende nicht alle Personen, für die ein Antrag gestellt wurde, tatsächlich Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen. Valide Schätzungen gibt es nicht, da die Situation nicht mit einer konjunkturellen Krise vergleichbar ist. Unklar sei auch, wie lange und zu welchem Prozentsatz die Kurzarbeit am Ende erfolge.

Trotz der enorm hohen Kurzarbeitsanzeigen ist die Zahl der Arbeitslosen – untypisch für einen April – um 308 000 im Vergleich zum März auf 2,644 Millionen gestiegen. Damit liegt sie um 415 000 höher als im April 2019. Saisonbereinigt waren im April 373 000 Menschen mehr ohne Job – ein Anstieg wie nie zuvor um die Jahreszeit. Die Arbeitslosenquote kletterte um 0,7 Punkte auf 5,8 Prozent. Massenentlassungen aber finden nicht statt, die Unternehmen halten Mitarbeiter und überbrücken die Krise mit Kurzarbeit.

In Sachsen-Anhalt sind mehr als 190 000 Beschäftigte und damit fast ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von Kurzarbeit betroffen. Zugleich stieg die Arbeitslosigkeit das erste Mal seit 1991 von März auf April an, wie aus Zahlen der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen hervorgeht. Demnach sind 87 900 Menschen arbeitslos gemeldet, was einem Anstieg von 8100 im Vergleich zum Vormonat entspricht.

Die Arbeitslosenquote stieg um 0,7 Punkte auf 7,8 Prozent. Auch im April 2019 war die Zahl der Arbeitslosen um 7000 niedriger. Normalerweise profitieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im April von einer Frühjahrsbelebung.

Insgesamt seien seit März rund 20 100 Anzeigen auf Kurzarbeit eingegangen.

Im Krisenjahr 2009 waren bundesweit in der Spitze 1,44 Millionen Menschen in Kurzarbeit – der bisherige Rekord. Im Gesamtjahr 2009 summierte sich die Zahl auf 3,3 Millionen.

Die Bundesagentur geht in ihrem Negativszenario davon aus, dass es in der Spitze bis zu acht Millionen Kurzarbeiter werden und der Jahresdurchschnitt bei gigantischen 2,8 Millionen liegen wird. Zusätzlich könnte die Zahl der Arbeitslosen um 200 000 im Jahresdurchschnitt steigen.

In diesem Szenario würde die Rücklage von 26 Milliarden Euro nicht reichen. „Wir hätten einen Finanzbedarf zwischen vier und fünf Milliarden Euro aus den Mitteln des Bundes in diesem Jahr“, sagte Scheele. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände und Co-Vorsitzender im Verwaltungsrat der Bundesagentur, übte Kritik an der aus seiner Sicht allzu großzügigen Arbeitsmarktpolitik: „Durch politische Entscheidungen schmilzt allerdings die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit schneller als Schnee in der Sahara.“

Scheele, in seiner bisherigen Amtszeit als BA-Chef eher an positive Meldungen gewöhnt, ist sichtlich mitgenommen, als er in Nürnberg die Aprilzahlen verkünden muss. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte habe er oder einer seiner Vorgänger im Amt mit solchen Zahlen vor die Presse treten müssen. Meinung