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Staatsanwaltschaft lässt Schuldfähigkeit der 18-jährigen Beschuldigten prüfen / Amtsleiter "bedauert den Tod sehr" Mutter schüttelt Säugling tot – Das Jugendamt war bereits eingeschaltet

09.04.2011, 04:26

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg lässt gegenwärtig die Schuldfähigkeit einer 18-jährigen Magdeburgerin prüfen, die bereits im Oktober vergangenen Jahres ihren nur wenige Wochen alten Säugling im Stadtteil Sudenburg zu Tode geschüttelt haben soll. Bereits drei Wochen nach der Geburt war der Junge mit einem Spiralbruch ins Krankenhaus gebracht worden. Ärzte schalteten das Jugendamt ein. Nach weiteren zwei Wochen, Tim war gerade fünf Wochen alt, wurde er zu Tode geschüttelt.

Magdeburg. Es ist eine Silvesterliebe. Maik M.* und die 18-jährige Mandy L.* lernen sich zum Jahreswechsel vor zwei Jahren kennen. Ein Jahr später, am Neujahrstag 2010 zeigt der Schwangerschafts-Teststreifen eine Färbung an. Die werdenden Eltern entscheiden sich für das Kind. Mandy L. hatte nach einem Betreuten Wohnen (Cornelius Werk) in der Bremer Straße gleich mit ihrem 18. Geburtstag sich selbst eine Wohnung in Sudenburg genommen. Der 24-Jährige wohnt zu diesem Zeitpunkt noch bei seinen Eltern.

Einige Familienmitglieder reagieren zwar skeptisch, dennoch wollen beide zusammenziehen. Die Schwangerschaft ist fortgeschritten. Alles geht sehr schnell. So entscheiden beide doch erstmal, alles so zu lassen, wie es ist. Der kleine Tim erhält sein kleines Kinderzimmer in der Wohnung der Mutter. Am 2. September 2010 ist es so weit. "Ich war bei der Geburt dabei und es war ein riesiges Gefühl", erzählt Maik M.

Anruf: "Der linke Arm hängt herunter"

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Welt für das Paar in Ordnung. Nach der Geburt kümmern sich beide fürsorglich um Tim. Da Maik M. bei seinen Eltern wohnt und in Schichten in einer Metallbaufirma arbeitet, kommt er zwar regelmäßig zu Besuch, aber er kann eben nicht immer in der Sudenburger Wohnung sein.

Nach drei Wochen passiert dann etwas, für das der junge Vater lange keine Erklärung findet. Er ist gerade in der Firma, als er einen Anruf der Kindesmutter bekommt. Nicht panisch, eher sachlich, soll sie am Telefon gesagt haben, dass der linke Arm von Tim irgendwie herunterhängt und wenn sie diesen berühre, dass das Kind dann schreit. Die Mutter bleibt ruhig. Sie könne sich das auch alles nicht erklären, sagt sie ihm gegenüber. Maik M. beendet zunächst seine Arbeit. Als er zu Hause ist und das Kind füttern möchte, fällt ihm ebenfalls der herunterhängende Arm des Säuglings auf. Beide fahren in das Medico-Center in der Leipziger Straße. Der dortige Arzt schickt die Familie ins Städtische Klinikum Magdeburg. Dort stellen die Ärzte einen Spiralbruch (Verdrehung) fest, der von gröberer Gewalteinwirkung stammen muss.

Für eine Woche bleibt Tim deshalb im Krankenhaus. In der Zwischenzeit haben die Ärzte das Jugendamt informiert. Es gibt mehrere Gespräche mit Sozialarbeitern des Jugendamtes und der Mutter. "Sie haben auch mich gefragt, ob ich eine Vorstellung habe, wo die Verletzung herkommt", sagt er. Doch zu diesem Zeitpunkt kann er sich keine Gewalttätigkeit der Mutter gegenüber seinem Sohn vorstellen. Maik M.: "Es war mir zu diesem Zeitpunkt unbegreiflich, woher die Verletzung kommen könnte."

Die Kindesmutter habe ihm damals sogar entrüstet erzählt, dass das Jugendamt ihr eine Mutter-Kind-Kur vorgeschlagen habe und dass das Jugendamt sogar Kameras mit ihrem Einverständnis in ihrer Wohnung aufstellen wolle. "Ich habe ihr bis zu diesem Zeitpunkt das alles abgenommen und war vermutlich auch zu gutgläubig", erzählt der 24-Jährige.

Der 6. Oktober ist der Schicksalstag. Maik M. ist gegen 20 Uhr gerade im Betrieb bei seiner Spätschicht, als er den aufgeregten Anruf von Mandy L. erhält. Die 18-Jährige sagt unter Tränen: "Unser Kind ist tot!" Der Metallbau-Angestellte lässt alles stehen und liegen und fährt in die Sudenburger Wohnung. Dort steht bereits der von Mandy L. gerufene Rettungswagen vor der Tür und er wird von Notfallseelsorgern empfangen. Beide Elternteile werden von den Seelsorgern ins Krankenhaus gebracht. Dort erfahren sie, dass alle Wiederbelebungsmaßnahmen keinen Erfolg hatten. Zur Todesursache konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas sagen. Erst die Obduktion bringt es einige Tage später ans Tageslicht: Schütteltrauma und abgerissene Nervenstränge im Nackenbereich haben zum Tod des Säuglings geführt.

Die Kriminalpolizei bittet den Kindesvater zur Vernehmung. Erst dort erfährt er das erste Mal von den Vorwürfen gegen die Mutter. Die 18-Jährige hatte da gegenüber den Beamten bereits eingeräumt, das Kind stark geschüttelt zu haben. "Ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Für mich brach erneut eine Welt zusammen", erinnert sich Maik M. Er sitzt am Grab von Tim, fast täglich. Frische Blumen stellt er in die Vase und fragt sich noch immer, wie alles passieren konnte. Er hat ein Gefühl der Ohnmacht. Soll der Tod von Tim ungesühnt bleiben? Eine Frage, die er sich immer wieder stellt, wenn er von anderen hört, dass das Leben von Mandy L. ganz normal weiterläuft.

Staatanwältin Sylvia Niemann bestätigte der Volksstimme gegenüber, dass die Ermittlungen der Kripo abgeschlossen sind und zurzeit die Schuldfähigkeit der Mutter durch einen Gutachter geprüft werde. Erst wenn dies erfolgt ist und eine Schuldfähigkeit nachgewiesen werden konnte, könne Anklage erhoben werden. Ansonsten müssten klinische Maßnahmen getroffen werden. Die Polizei hat während der Ermittlungen auch die Rolle des Jugendamtes überprüft, aber bisher kein Fehlverhalten feststellen können.

"Jugendamt bedauert den Tod sehr"

Der Leiter des Magdeburger Jugendamtes Detlev Klaus bestätigte der Volksstimme zunächst auf Anfrage schriftlich, dass das Jugendamt beim ersten Vorfall (Oberarmfraktur) vom Krankenhauspersonal informiert worden war. In der Stellungnahme heißt es: "Mit der Bekanntgabe der Tatsache, dass ein sehr junger Säugling Verletzungen aufwies, die einen Krankenhausaufenthalt nach sich ziehen mussten, begann das sofortige Handeln der Sozialarbeiter des zuständigen Sozialzentrums des Jugendamtes."

Auf Nachfrage der Volksstimme rechtfertigte Jugendamtsleiter Detlev Klaus, dass es zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Hebamme und des Sozialarbeiters keinen ausreichenden Grund gegeben habe, die Polizei oder das Familiengericht einzuschalten. Dies machten die Jugendamtsmitarbeiter vor allem daran fest, dass sich "die Kindesmutter kooperativ gezeigt" haben soll.

"Wir haben einen Vorsatz nicht erkennen können und uns deshalb für die breite Palette der Angebote entschieden. Zumal die Hebamme uns signalisiert hat, dass die Kindesmutter die Hilfe annimmt. Vor dem Familiengericht hätten wir keinerlei Argumentationsgrundlage gehabt." Der Jugendamtsleiter nimmt seine Mitarbeiter in Schutz: "Der tragische Verlauf trotz des umsichtigen und engagierten Handelns durch Sozialarbeiter unseres Amtes bleibt zugleich eine sehr belastende Tatsache. Das Jugendamt bedauert den Tod sehr." Zurzeit würde das Jugendamt die junge Frau auch noch im laufenden Ermittlungsverfahren begleiten und ist damit auch in der Pflicht gegenüber der Kindesmutter. Weitere Angaben könnten deshalb nicht weiter gemacht werden. Maik M. sieht damit seine Fragen weiterhin nicht beantwortet.

(* Namen von der Redaktion geändert)