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Geisterkulisse bei WM: "Fünf Leute und drei Hunde"

13.08.2013, 09:58

Moskau - Leere Ränge, maue Stimmung, kein Flair. Die 14. Ausgabe der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau sind keine große Werbung für die olympische Kernsportart.

Selbst Zuschauer-Magnet und Sprint-Superstar Usain Bolt füllte bei seinem 9,77 Sekunden langen Auftritt am Sonntagabend nur gut zur Hälfte das 80 000 Zuschauer große Luschniki-Stadion. Einen Tag später kamen gerade noch knapp 20 000 Besucher, um die Läufer, Werfer und Springer zu sehen. "Es war etwas schade, dass im Stadion nur fünf Leute und drei Hunde die Siegerehrung mitbekommen haben", meinte Christina Schwanitz, die WM-Silber im Kugelstoßen gewann.

Auch der US-Amerikaner Ashton Eaton marschierte an den zwei Zehnkampf-Tagen vor einer Geisterkulisse zum Welttitel. "Das ist ein schönes Stadion, aber keiner ist drin", sagte der Weltrekordler. Dabei hatten die russischen Veranstalter kurz vor dem WM-Start noch verkündet, 80 Prozent der Tickets - die billigste Karte kostet nur 150 Rubel oder umgerechnet 3,42 Euro - für die neun Wettkampftage verkauft zu haben.

Aus IAAF-Kreisen war am Dienstag zu hören, dass gerade mal 100 000 Tickets für die komplette WM wirklich verkauft worden sind. Dafür hat Bediensteten der Stadt Moskau zufolge die Verwaltung der Metropole rund 240 000 Karten verschenkt, berichtete die Zeitung "Kommersant". Leichtathletik ist bei den Russen, die nach den USA zweitstärkste Nation in dieser Sportart weltweit, eben nicht so populär wie Eishockey, Biathlon oder Fußball.

"Mir scheint da in der Werbung einiges nicht gut gelaufen zu sein", kritisierte die russische Olympia-Zweite im Weitsprung, Jelena Sokolowa. "In unseren postsowjetischen Ländern kennt man die Sportarten nicht so gut", sagte der ukrainische Zehnkämpfer Alexej Kassjanow. "Wenn du \'Leichtathletik\' sagst, antworten manche Menschen: \'Ach, das mit den Pferden\'."

Für das deutsche Council-Mitglied im Weltverband IAAF, Helmut Digel, ist dies nicht nur ein russisches Problem, sondern auch ein grundsätzliches Dilemma der olympischen Kernsportart. "Die Leichtathletik muss begreifen, dass sie nicht mehr attraktiv genug ist für junge Leute", übte Digel Selbstkritik.

Wie es geht, die Leichtathletik optimal zu präsentieren, hatten die Olympia-Organisatoren 2012 gezeigt, die neue Maßstäbe setzten. Das Olympiastadion war an den Vormittagen und Abenden mit 80 000 Zuschauern immer restlos ausgefüllt. Zudem wurde den Besuchern durch ein ausgeklügeltes Musik-Programm und durch eine fachlich-witzige Moderation beste Unterhaltung geboten.

"Der Unterschied zu London ist enorm. Da kam man in ein Stadion mit 80 000 Leuten, das hat einen total geflashed", beschrieb die deutsche Hindernisläuferin Gesa Felicita Krause den Unterschied. "Wir hatten in London eine unglaubliche Atmosphäre. Dieser Maßstab ist extrem hoch. Das kann Moskau gar nicht schaffen", sagte ihr Cheftrainer Idriss Gonschinska.

"Der Erfolg der Olympischen Spiele 2012 in London kann nicht fortgeschrieben werden, wenn die Leichtathletik allein präsentiert wird", stellte Digel fest. Dafür biete das neuntägige WM-Programm zu viel Leerlauf - allein am ersten Tag gingen nur zwei Finals über die Bühne. "Warum sollten junge Leute am ersten WM-Abend fünfeinhalb Stunden zuschauen, wenn es nur zwei Endkämpfe gibt?", fragte der Tübinger. "Bei 47 Disziplinen wäre es einfach, jeden Abend fünf Finals zu präsentieren."

Allein der Wille fehlt bei der IAAF, die es vor allem den Sponsoren und dem Fernsehen Recht machen will. "Die Lösungen liegen auf der Hand, da braucht man nicht auf Wunder hoffen oder zu großen Werbeagenturen laufen", sagte Digel.